Subjektive soziale Stellung und Diskriminierung am Beispiel Bildung

07. Januar 2021

„Ich konnte nie an Schulschikursen teilnehmen, weil meine Eltern das nicht zahlen können
wir sind fünf Kinder, mein Vater verdient nicht so viel.“

„Meine Eltern sind arbeitslos, meine Mutter ist schwer behindert, und wir haben sehr wenig Geld –
ich trage ältere Sachen und werde deshalb oft gehänselt und nicht ernst genommen.“

„Während meiner Schulzeit wurde ich in den letzten Jahren oftmals von anderen gedanklich in Schubladen gesteckt,
wegen meiner Herkunft (Osteuropa) und meinen sozialen Umständen – das war für mich schwierig.“

Erfahrungen wie diese auf ihrem eigenen Bildungsweg oder dem ihrer Kinder schildern die TeilnehmerInnen einer Repräsentativbefragung von SORA im Auftrag der Arbeiterkammer Wien. Sie zeigen, dass die soziale Stellung eine wesentliche Rolle für das Erleben von Diskriminierung spielt. Insgesamt gaben 44% der Befragten an, in den letzten drei Jahren in zumindest einem Lebensbereich diskriminiert bzw. schlechter behandelt worden zu sein. Von diesen Betroffenen führt ein Viertel die erlebte Diskriminierung (ausschließlich oder unter anderem) auf ihre soziale Stellung zurück – sie ist damit der am häufigsten vermutete Diskriminierungsgrund von allen. Eine Sonderauswertung der Befragung setzt sich nun mit der Rolle der sozialen Stellung genauer auseinander und geht dabei insbesondere auf die Bereiche Arbeit und Bildung ein. Der folgende Beitrag stellt zentrale Befunde daraus mit Fokus auf den Bildungsbereich dar.

Soziale Stellung zwischen subjektiven und objektiven Indikatoren

Für eine genauere Analyse der Rolle von sozialer Stellung für das Erleben von Diskriminierung ist es grundsätzlich notwendig, subjektive Selbsteinschätzung und objektive Merkmale zu differenzieren: Denn die Selbsteinschätzung der eigenen sozialen Stellung hängt zwar stark mit den üblichen objektiven Indikatoren für den Sozialstatus (wie dem Einkommen oder dem beruflichem Status) einer Person zusammen – aber auch andere Merkmale (wie Migrationshintergrund, sexuelle Orientierung oder eine körperliche Beeinträchtigung) erhöhen die Wahrscheinlichkeit, sich subjektiv in der gesellschaftlichen Hierarchie weiter „unten“ einzuschätzen.

Wie Diagramm 1 verdeutlicht, erhöhen ein niedriger Bildungsstand der Eltern (17%), ein eigener niedriger Bildungsabschluss (15%), starke Armutsgefährdung (14%) oder unqualifizierte Berufstätigkeit (13%) die Wahrscheinlichkeit für eine niedrige Selbsteinschätzung deutlich. Aber auch Migrationshintergründe (türkisch: 17%; außereuropäisch: 14%; ex-jugoslawisch: 12%), eine homosexuelle Orientierung (13%) oder eine körperliche Beeinträchtigung (9%) tragen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu einer niedrigen sozialen Selbsteinschätzung bei. Zudem greifen diese Merkmale intersektional ineinander: D.h. je mehr dieser Faktoren auf eine Person gleichzeitig zutreffen, desto stärker steigt ihr Risiko, Diskriminierung zu erfahren.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Was hat die subjektive soziale Stellung mit Diskriminierungserfahrung zu tun?

Diese Selbstverortung am unteren Ende der sozialen Hierarchie hat weitreichende Folgen dafür, inwieweit Diskriminierung erlebt wird.

Denn Befragte, die sich subjektiv einer niedrigeren sozialen Stellung zuordnen, schildern zu einem wesentlich höheren Anteil Diskriminierungserfahrungen als jene, die sich einer mittleren oder hohen sozialen Stellung zuordnen (siehe Diagramm 2). Während unter den Personen mit niedriger Selbstscheinschätzung (0-3) noch rund 4 von 5 Befragten angeben, Diskriminierung erfahren zu haben, nimmt dies mit jeder weiteren Stufe ab. Auf den obersten Stufen (7-10) berichten schließlich nur mehr rund ein Viertel der Befragten davon.

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Im Bildungsbereich werden Schlechterbehandlungen dabei vor allem dann auf die soziale Stellung zurückgeführt, wenn es sich um Zugangsdiskriminierung handelt, also einen erschwerten bis verhinderten Zugang zu Bildungseinrichtungen, zu schulischen Aktivitäten oder Institutionen: Dazu zählen z.B. der Ausschluss von Exkursionen oder Schulveranstaltungen oder ausbleibende Übergangsempfehlungen für weiterführende Schulen aufgrund persönlicher Merkmale (wie z.B. der sozialen Herkunft oder dem Migrationshintergrund) anstatt schulischer Leistungen. Am Übergang zum Arbeitsbereich betrifft dies aber etwa auch die Nicht-Berücksichtigung für Lehrstellen.

Andere Formen von Diskriminierungserfahrungen – wie eine didaktische Diskriminierung durch Lehrkräfte im Unterricht (z.B. durch nicht nachvollziehbare Benotung) oder eine soziale Diskriminierung unter SchulkollegInnen (Gerüchte, Verleumdungen, etc.) – werden von den Befragten zwar ebenfalls berichtet, allerdings werden diese nicht signifikant häufiger auf die eigene soziale Stellung zurückgeführt, sondern ebenso auf andere persönliche Merkmale wie bspw. das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder eine körperliche Beeinträchtigung. Ähnliche Befunde zeigen sich auch bei den Diskriminierungsschilderungen im Arbeitsbereich.

Folgen für die Reaktionen auf Diskriminierungserfahrungen

Menschen können auf Diskriminierungserfahrungen in unterschiedlicher Weise reagieren, etwa indem sie die Erfahrung beiseiteschieben (ignorieren, verdrängen oder darüber zu stehen versuchen), sich offensiv nach außen wenden (also z.B. die Erfahrung thematisieren bzw. Hilfe und Unterstützung einholen) oder aber sich nach innen zurückziehen (und hilf- bzw. ratlos bleiben). Untersucht man diese Reaktionsmuster nach der subjektiven sozialen Stellung, dann reagieren Befragte mit einer niedrigen sozialen Selbsteinschätzung signifikant häufiger nach innen als Befragte mit mittlerer oder hoher Selbsteinschätzung: 51% wissen nicht, was sie machen hätten sollen (Schnitt: 39%). 54% sagen, sie hätten sich im Zuge der Diskriminierung zurückgezogen (Schnitt: 38%).

Im Bildungsbereich (siehe Diagramm 3) ist im Hinblick auf Personenmerkmale bei Befragten mit sichtbarem Migrationshintergrund wie auch bei jenen mit Eltern ohne Matura die niedrige soziale Selbsteinschätzung entscheidend für einen Rückzug nach innen – weisen diese eine mittlere oder höhere Selbsteinschätzung auf, reagieren sie nämlich signifikant seltener mit Rückzug (indirekter Effekt). Junge Frauen sowie homosexuelle Jugendliche ziehen sich der Befragung zufolge hingegen generell häufiger nach innen zurück und fühlen sich hilflos, unabhängig von ihrer subjektiven sozialen Stellung (direkter Effekt). Für Befragte mit einer körperlichen Beeinträchtigung lassen sich sowohl signifikante direkte als auch indirekte Effekte nachweisen.

Zudem zeigt sich in Diagramm 3 auch bezüglich der Diskriminierungsform, dass vor allem ein Rückzug infolge einer “Zugangsdiskriminierung” erst dann erfolgt, wenn Personen sich einer niedrigen sozialen Stellung zuordnen (indirekter Effekt). Fühlen sich die Befragten hingegen von Lehrkräften unfair behandelt und benachteiligt, dann ziehen sie sich generell (also unabhängig von ihrer sozialen Selbsteinschätzung) stärker zurück und wissen nicht, wie sie dagegen angehen sollen (direkter Effekt). Bei Mobbing- oder sozialen Ausschlusserfahrungen schließlich führt die Diskriminierungserfahrung selbst (direkt) bereits häufiger zum Rückzug der Befragten, aber nochmals verstärkt (indirekt), wenn sie sich einer niedrigen sozialen Stellung zuordnen.

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Fazit

Diskriminierung kann grundsätzlich jede/n betreffen – manche Personengruppen sind jedoch deutlich stärker von Erfahrungen der Schlechterstellung betroffen als andere. Eine besonders zentrale Rolle spielt die soziale Stellung von Menschen, und zwar nicht nur ihre objektive materielle Position, sondern auch ihre subjektive Einstufung am unteren Ende der sozialen Hierarchie. Wer sich selbst “unten” einstuft, gibt häufiger Diskriminierungserfahrungen an als jene, die sich einer mittleren oder hohen sozialen Stellung zuordnen – dieser Status macht sogar den häufigsten aller subjektiven Erklärungsgründe für Diskriminierung aus. Zudem ziehen sich diese Betroffenen häufiger zurück und fühlen sich hilflos – was die Notwendigkeit mehrgliedriger Gegenstrategien unterstreicht:

  • Im Bildungsbereich betrifft dies zunächst vor allem die strukturellen Zugangsmöglichkeiten zu gerechteren Bildungschancen. Die bedarfsgerechte Finanzierung von Schulen auf Basis des AK-Chancen-Index kann einen wesentlichen Beitrag leisten, Schulstandorten mit besonderen Herausforderungen die zusätzlichen Mittel zu deren Bewältigung zu geben.
  • Der Ausbau ganztägiger Schulformen ermöglicht zudem für eine größere Zahl an SchülerInnen aus sozioökonomisch schwächeren Haushalten ein breiteres Spektrum an schulischen und freizeitpädagogischen Inputs.
  • Gerade im Hinblick auf den Umgang mit Erfahrungen der Schlechterstellung kommt Empowerment-Maßnahmen für Betroffene eine wesentliche Rolle zu: Informationen über AnsprechpartnerInnen für Hilfestellungen, Reflexionsformate über Ursachen und Formen von Diskriminierung sowie Übungsangebote zu Gegenstrategien beim Erleben eigener Benachteiligung oder der von Zweiten.
  • Notwendige Schritte zur Eindämmung derartiger Erfahrungen sind neben der Schließung gesetzlicher Lücken beim Diskriminierungsschutz schließlich auch Sensibilisierungsmaßnahmen von Personal gegenüber stereotyper und vorurteilsbeladener Behandlung: Etwa von Lehrkräften für eine diskriminierungsfreien Schulbetrieb (wie von der Gleichbehandlungsanwaltschaft dokumentiert), aber auch in der Erwachsenenbildung sowie im Arbeitsbereich (etwa bei Recruitern oder Führungskräften).

Weiterführende Infos:         

Link zum Studienbericht:
Daniel Schönherr, Bettina Leibetseder. Soziale Stellung und Diskriminierungserfahrungen. Sonderauswertung der Studie „Diskriminierungserfahrungen in Österreich“. Wien: 2019.

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