Ein Jahr Lernen am Esstisch statt in der Klasse – eine Zwischenbilanz aus Sicht der Eltern

10. März 2021

Referate via Videokonferenz, Englischunterricht mit Eltern an der Seite und sehr viele erledigte oder verstaubte Arbeitsblätter brachte das COVID-Jahr 2020/21. In den langen Wochen und Monaten der Pandemie wurde der Schul- und Lernalltag der Kinder und Jugendlichen massiv eingeschränkt. Neben den Herausforderungen für den Lernerfolg kamen fehlende soziale Kontakte außerhalb der Familien, wie z. B. zu MitschülerInnen, hinzu. Auch Eltern, insbesondere berufstätige Eltern, sind Mehrfachbelastung und Betreuungsunsicherheit ausgesetzt. Die Herausforderung, Lernen zu Hause zu organisieren, ist seit einem Jahr enorm. Zwar wird seit Herbst der Schulbetrieb vonseiten der Schulen mittels Distance-Learning deutlich besser organisiert, die Entwicklung des Schulbetriebs stagniert jedoch auf Kosten aller Beteiligten: SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen. So sinnvoll das Einrichten von Distance-Learning kurzfristig war, es dauerte zu lange an. Für die kommenden Schulmonate sollte Schule verlässlich mit regelmäßigen Präsenzphasen geplant werden.

Bildungslücke und steigende Lernverluste

Wenn Schulen zur Pandemiebekämpfung geschlossen werden, sind die familiären Ressourcen für den Lernerfolg umso entscheidender. Kinder, deren Eltern nicht über Geld, Zeit und Bildung verfügen, spüren negative Konsequenzen auf ihrem Bildungsweg noch unmittelbarer: schlechtere Noten, Klassenwiederholungen und Schulabbruch werden wahrscheinlicher – wie nun auch die Ergebnisse des 3. Corona-Moduls der AK-Schulkostenstudie zeigen (1.234 befragte Eltern). Seit Beginn der Pandemie befürchten immer mehr Eltern Nachteile für die Bildungslaufbahn ihrer Kinder. Mehr als die Hälfte der befragten Eltern (54 Prozent) haben die Sorge, dass ihre Kinder zumindest in einzelnen Fächern Schwierigkeiten haben werden, mit dem Lernstoff im kommenden Halbjahr zurechtzukommen. Darüber hinaus rechnen sie mit deutlich schlechteren Noten im Jahreszeugnis (39 Prozent), und jeder Zehnte erwartet eine Klassenwiederholung seines Kindes. Jene Eltern, die ihre Kinder beim Lernen selbst kaum unterstützen können, befürchten zu einem deutlich höheren Anteil Lernschwierigkeiten für ihre Kinder (60 Prozent der Eltern ohne Studienabschluss gegenüber 40 Prozent der Eltern mit Studienabschluss). Obwohl die vergangenen zwölf Schulmonate historisch außergewöhnlich waren, wurden weder die Lernziele noch die Beurteilung maßgeblich an die neuen Voraussetzungen angepasst. Vielmehr werden spätestens seit dem letzten Herbst die hohen Ansprüche und Lernziele im Distance-Learning weitertradiert. Das bringt Druck, Frustration und psychische Konsequenzen mit sich.

Psychische Belastungen bei SchülerInnen nehmen immer weiter zu

Bereits das erste Modul der AK-Schulkostenstudie nach den ersten Corona-bedingten Schulschließungen hat deutlich gemacht, dass sich die psychische Gesundheit bei fast jedem/r dritte/n SchülerIn (31 Prozent) seit dem Beginn der Corona-Pandemie (subjektiv) verschlechtert hatte. Das äußerte sich vor allem durch gestiegene Nervosität (28 Prozent), Gereiztheit (36 Prozent) oder Verängstigung (30 Prozent).

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Dieses Muster war konstant über alle Schultypen und soziale Stellungen der Eltern hinweg beobachtbar. Die Folgebefragungen machen nun deutlich, dass die psychischen Belastungen unter SchülerInnen nicht abgenommen haben, sondern insbesondere während der erneuten Schulschließung im Spätherbst 2020 und Beginn 2021 deutlich angestiegen sind (SchülerInnen der Oberstufe sind bereits seit Oktober 2020 fast durchgehend zu Hause). Laut der zuletzt befragten Eltern sind ihre Kinder im Vergleich zu vor der COVID-19-Pandemie zu einem höheren Anteil verängstigter (30 Prozent), nervöser (44 Prozent) oder gereizter (76 Prozent). Das Fehlen sozialer Kontakte und klarer Perspektiven äußert sich vor allem im hohen Ausmaß an empfundener Einsamkeit (68 Prozent), die bei jungen Menschen nicht selten zu Antriebslosigkeit, Erschöpfung und depressiven Stimmungen führen kann, wie eine Studie der Donau Universität Krems zeigt.

Eltern unter Druck

Aber nicht nur die Kinder, auch die Eltern sind stark belastet: Sie müssen die steigenden psychischen Belastungen bei den eigenen Kindern auffangen und sie gleichzeitig erfolgreich durch das Distance-Learning im Lockdown begleiten. Wenn durch Schulschließungen das eigene Kind zu Hause betreut werden muss und man selbst – im Homeoffice oder am Arbeitsplatz – seiner Arbeit nachgeht, wächst der Stress unter Eltern zusätzlich an. Während vor der Corona-Pandemie für jeden zehnten Elternteil Betreuungsunsicherheit ein wichtiges Thema war, nimmt die Belastung in den Phasen der Schulschließungen (Frühjahr 2020, Spätherbst 2020 und Anfang 2021) deutlich zu. Rund sechs von zehn Eltern gaben für diese Zeitpunkte an, dass sie durch die Betreuungsunsicherheit sehr bzw. ziemlich gestresst waren. Dabei sind die empfundenen Herausforderungen für alleinstehende Elternteile oder für Familien mit mehreren Kindern im Haushalt durchschnittlich noch höher.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Betreuungssicherheit für die Kinder während der Schulschließungen herzustellen ist für Eltern in der Pandemie sehr schwierig. Für die Akzeptanz und die Bewältigung der COVID-19-Maßnahmen ist auch die Verlässlichkeit und Planbarkeit entscheidend. Die Maßnahmen müssen abhängig von dem Pandemiegeschehen in Szenarien geplant und anhand transparenter Kriterien getroffen und umgesetzt werden. Die kurzfristige Kommunikation neuer Maßnahmen senkt das Vertrauen und erhöht den Druck auf Familien (und Schulen). Diese zusätzliche Belastung durch kurzfristige Planung und Kommunikation zeigt sich nicht nur im Stressempfinden unter Eltern (siehe oben), sondern spiegelt sich auch in der hohen Unzufriedenheit mit der Politik im Allgemeinen wider. Rund sieben von zehn befragten Eltern (72 Prozent) fühlen sich momentan sehr oder ziemlich „von der Politik im Stich gelassen“. Vor allem das Fehlen klarer Kommunikation über Schulöffnungen und mögliche Unterrichtsformen im letzten Lockdown war für viele Eltern (76 Prozent) eine sehr oder ziemlich hohe Belastung und trug maßgeblich zur Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik bei.

Kinder und Jugendliche sind die Zukunft

Es ist für die kommenden Pandemiemonate entscheidend, die hohe Gefährdung von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern im Blick zu haben. In der COVID-Krise muss es für Kinder und Jugendliche besondere Regeln geben, die sie einhalten können und die nicht auf Kosten ihrer psychisch-emotionalen Gesundheit gehen. In jeder Phase der Pandemie muss gewährleistet sein, dass Kinder und Jugendliche Kontakt zu anderen Gleichaltrigen haben. Das gemeinsame Spielen und Austauschen ist für die Bewältigung essenziell. Sosehr die Lernrückstände Sorgen machen, das Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen sollte Vorrang haben. Tests, Schularbeiten und anderes muss hintangestellt werden, und inhaltliche Schwerpunktsetzungen sowie Priorisierungen sollten für das Schulsemester vorgenommen werden.

Nach der Pandemie müssen die Lernrückstände erhoben werden und ein ambitioniertes Förderprogramm mit gutem Betreuungsschlüssel muss geschnürt werden. Die Änderungen bei den Lernvoraussetzungen bedürfen professioneller Unterstützung von Familien und Schulen. So wie es jetzt nicht ausreicht, Schule wie bisher ins Distance-Learning zu tradieren, so wird es nach der Pandemie nicht ausreichen, die Schulen wie bisher wieder aufzusperren, um langfristige Auswirkungen in den Bildungsverläufen und eine hohe Zahl von Schulabbrüchen abzuwenden.

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