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Elementare Herausforderungen
Bereits bei der frühkindlichen Förderung vor Eintritt ins Schulwesen finden Kinder in ihren Elternhäusern unterschiedlich förderliche Umgebungen vor. Gerade deshalb liegt zunehmend Erwartung (und Druck) auf institutionellen Bildungseinrichtungen der Elementarpädagogik, diese Impulse schon frühzeitig auch für Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Haushalten anzubieten. Während die Forschungsbefunde bei unter Dreijährigen ambivalente Effekte (je nach Qualität der angebotenen Maßnahmen) zeigen, lassen sich für die institutionelle Frühförderung von über Dreijährigen konsistent begünstigende Effekte auf deren weitere Bildungs- und Sozialentwicklung nachweisen.
Die Wichtigkeit der Elementarpädagogik als erster Bildungsinstitution ist daher auch in Österreich mittlerweile verankert. Dennoch ist diese nach wie vor konfrontiert mit hohen Betreuungsschlüsseln zwischen PädagogInnen und Kindern, administrativen Mehrfachbelastungen und begrenzten Möglichkeiten zur gezielten Förderung von Kindern mit sprachlichem oder sonderpädagogischem Förderbedarf. Ein Faktor dabei ist die Ressourcenausstattung, denn wie der ländervergleichende Blick zeigt: EU-Staaten investieren im Schnitt ein Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in Kindergärten, in Österreich ist es um ein Drittel weniger.
Ungleichheit im & durch das Schulsystem
Die ungleichheitskonservierende Struktur des Bildungssystems setzt sich im Schulbereich fort: Die ungewichtete Ressourcenverteilung über Österreichs Schulen trägt weiterhin nicht den massiven Unterschieden Rechnung, vor denen Schulen jeweils stehen. Eine bedarfsorientierte Schulfinanzierung, wie sie der AK-Chancen-Index anschaulich kalkuliert, wäre eine längst überfällige Systemreaktion auf diese ungleichen Bildungsbedingungen. Doch obwohl 90 Prozent der Bevölkerung sich für die Einführung eines Chancen-Index ausspricht, bleibt die Umsetzung weiterhin aus und politisch wird lediglich ein Pilotprojekt mit 100 Schulen in Aussicht gestellt.
Darunter leiden besonders jene SchülerInnen, bei denen zur schwierigen sozioökonomischen Ausgangslage zu Hause auch sprachliche Hürden bei der Bewältigung des nach wie vor monolingualen Schulwesens hinzukommen und die die im OECD-Vergleich frühe Trennung in AHS/NMS überdurchschnittlich stark trifft. Gerade sie können von einer gezielten Unterstützung herausgeforderter Standorte besonders profitieren – der AK-Sprachschlüssel zeigt Wege auf, wie unterrichtssprachliche Kompetenzen wirksam gefördert und so die Chancengerechtigkeit zumindest etwas gesteigert werden könnte.
Ein weiterer zentraler Ansatzpunkt sind ganztägige Schulformen. Denn Ganztagsschulen können die Organisation eines verlässlichen Systems des Lernens und Übens, gekoppelt mit zusätzlichen Anregungen für jedes Kind, sicherstellen. Und zwar unabhängig davon, ob die Eltern nachmittags die Zeit, das Geld oder sonstige Kapitalien haben, ihre Kinder bei den Schulaufgaben zu unterstützen bzw. sie in ihren Talenten gezielt zu fördern. Ein ambitionierter Ausbau von Ganztagsschulen und eine Professionalisierung der Ganztagspädagogik sind dafür freilich die Voraussetzung.
Filtermechanismen im Übergang zur Hochschule
Selbst nach einer erfolgreichen Schullaufbahn wirkt die soziale Schere an den Hochschulen noch weiter. Denn wie die Studierenden-Sozialerhebung regelmäßig zeigt, beginnen „AkademikerInnenkinder“ mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit ein Studium als Kinder von Eltern ohne Studium. Dass zudem auch eine berufliche Beschäftigung im Wissenschaftssystem nicht nur eine Frage der Kompetenz ist, sondern man sich die prekären Beschäftigungsperspektiven auch materiell erst einmal leisten können muss, verdeutlicht, wie sehr die sozialen Selektionsmechanismen von Bildungssystem und Berufswelt miteinander verwoben sind.
Chancengerechtigkeit als bildungspolitisches Ziel ernst nehmen
Angesichts dieser nach wie vor virulenten Befunde ist die Bekämpfung ungleicher Bildungschancen zuvorderst eine bildungspolitische Frage. Bildungsinstitutionen können nur innerhalb der von Politik (und sukzessive auch Markt) vorgegebenen Rahmenbedingungen agieren. Legen diese ihren Fokus nicht auf die Kompensation ungleicher Ausgangsbedingungen, sondern die kontinuierliche Fortschreibung getrennter Bildungslaufbahnen für unterschiedliche soziale Gruppen, bleiben die Handlungsspielräume von LeiterInnen wie PädagogInnen begrenzt.
Dass Bildung aber kein Schicksal des Elternhauses sein muss, zeigen erfolgreiche Schulentwicklungsprozesse, wie jener der „London Challenge“. Wie dessen Name schon verrät, bleibt diese Aufgabe eine herausfordernde „Challenge“, selbst wenn sich Bildungspolitik aktiv dazu bekennt. Zuallererst müsste sie aber einmal dieses tun und mit Taten belegen – sonst wird Bourdieus Analyse auch auf Jahrzehnte hinaus den Status quo der Chancengerechtigkeit im Bildungssystem charakterisieren.
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