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Eine wichtige Lehre der CoViD-19-Krise ist schon jetzt die essenzielle Bedeutung des Sozialstaates. Im Mittelpunkt muss nun der rasche Ausbau öffentlicher sozialer Dienstleistungen stehen. Besonderer Bedarf besteht im Bereich der Gesundheit, der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, der Pflege, der Kindergärten und Krippen sowie im Bildungsbereich. Ein besonderer Fokus muss dabei auf den Geschlechterverhältnissen liegen, um einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen – etwa bedingt durch fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Unvereinbarkeiten von Home-Office und Home-Schooling – entgegenzuwirken. Einer gleichstellungsorientierten Arbeitsmarktpolitik wird perspektivisch eine wichtige Rolle zukommen. Zugleich bietet die CoViD-19-Krise die Chance neu über Lohnerhöhungen in einigen schlecht bezahlten überwiegend frauendominierten Branchen zu diskutieren.
Mittelfristige ausgabenseitige Strukturreformen nicht aus dem Blick verlieren
Trotz der Dominanz der CoViD-19-Krise dürfen auch mittel- und längerfristige Ziele nicht vergessen werden. So hat in der Arbeitsmarktpolitik kurzfristig die Reaktion auf die aktuellen Herausforderungen zwar die höchste Priorität. Hierfür ist die Kurzarbeit weiter zu finanzieren und ein Ausgleiten mit einer Verkürzung der Arbeitszeit anzudenken. Zudem darf jetzt, aber auch in weiterer Folge nicht auf die aktive Arbeitsmarktpolitik vergessen werden. Zusätzliche Mittel werden für zielgerichtete Beschäftigungsprogramme für benachteiligte Gruppen wie die Chance 45 für ältere Arbeitslose, das Qualifizierungsgeld und zusätzliche MitarbeiterInnen (+500) für das AMS dringend benötigt. Ebenso mehr Mittel braucht es für die Überbetriebliche Lehre, denn die Jugendarbeitslosigkeit wird ansteigen, während das bereits vor der Krise zu geringe Angebot an Lehrstellen weiter sinkt.
Im Bereich der Klimapolitik muss auf nachhaltige Alternativen zu CO2-intensiven Produktions- und Konsumweisen gesetzt werden. Zentral sind öffentliche Angebote, allen voran die Attraktivierung des Schienenverkehrs. Wirtschaftliche Aktivitäten des öffentlichen und des privaten Sektors müssen nachhaltig gestaltet werden, ohne dabei die Effektivität der Maßnahmen aus den Augen zu verlieren. Vor allem im Regierungsprogramm angekündigte Klimamaßnahmen mit hoher Beschäftigungswirkung – zB Ausbau der Bahn, der erneuerbaren Energiegewinnung, der Fernwärme- und Kälteleitungen und der Radwege sowie thermische Sanierung – sollten nun rasch umgesetzt bzw. vorgezogen werden.
Das im Regierungsübereinkommen festgehaltene Ziel, die Armut in Österreich zu halbieren, gewinnt durch die CoViD-19-Krise nochmals an Bedeutung. Für die aktive Bekämpfung bestehender Armut ist eine Ausweitung von Geld- und Sachleistungen notwendig. Der „Corona-Familienhärtefonds“ sollten zu einem allgemeinen Sozialnotfonds ausgeweitet und um eine Anhebung der Ausgleichszulage, eine „Kindergrundsicherung“ sowie eine armutsfeste Mindestsicherung ergänzt werden. Zudem sind eine bessere Ausstattung mit Kindergärten, Schwerpunktsetzungen für ein sozial durchlässigeres Bildungssystem, Investitionen in den sozialen Wohnbau sowie mehr Angebote in psychosozialer Betreuung und Sozialarbeit erforderlich.
Die aktuelle Krise zeigt eindringlich, wie wichtig eine funktionierende Gesundheitsversorgung ist. Nun heißt es die richtigen Lehren zu ziehen, damit auch künftig die Handlungsfähigkeit gesichert ist: beispielsweise mehr Personal, ausreichende Kapazitäten und verfügbare Hilfsmaterialien. Parallel dazu sind die Krankenversicherung mit Fusions- und Harmonisierungskosten aufgrund der Zusammenlegung der SV-Träger und Beitragsausfällen konfrontiert. Dies macht eine Ausfallshaftung des Bundes für die Krankenversicherung bis jedenfalls 2022 notwendig, da die SV-Träger andernfalls zu Kürzungen oder Selbstbehalten verpflichtet wären.
Nach Jahren der Ankündigungen braucht es endlich ein nachhaltiges Konzept für das Pflegesystem. Im Vordergrund muss die Attraktivierung der Angebote und der Arbeitsbedingungen stehen: 20 Prozent mehr Personal in den Pflegeheimen, bereits heuer mehr Ausbildungsplätze, Verbesserung der mobilen Dienste mit Abschaffung der Selbstbehalte, Ausweitung der psychosozialen Angehörigenberatung. Die budgetären Mehrkosten von rund 600 Millionen Euro können mit einer Erbschafts- und Schenkungssteuer finanziert werden.
Gerechte Finanzierung – Schulden sind tragbar
Die hohen Kosten der Corona-Krise und Gegenmaßnahmen benötigen Finanzierung. Die absehbare Rekordverschlechterung des Budgetsaldos und der neuerliche markante Anstieg der Staatsschuldenquote sind angesichts eines Zinssatzes nahe null jedoch verkraftbar.
Die im Regierungsübereinkommen beabsichtigte Senkung der Abgabenquote ist hingegen für die nächsten Jahre budgetär undenkbar und wirtschaftlich kein vernünftiges Ziel, weil damit verteilungs- und wirtschaftspolitisch gefährliche Kürzungen bei Gesundheits-, Sozial- und Bildungsausgaben des Staates drohen. Eine wichtige Lehre der CoViD-19-Krise ist jedoch, dass ein auch finanziell starker und handlungsfähiger Sozialstaat eine wichtige Voraussetzung darstellt, externe Schocks wirtschaftlich gut zu bewältigen und die Krisenlasten nicht den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft aufzuhalsen. In der aktuellen Situation wären die von der Bundesregierung geplanten steuerlichen Förderungen für die oberen 100.000 – allen voran die undifferenzierte Senkung des Körperschaftsteuersatzes – inakzeptabel.
Vielmehr besteht Anlass, einen Lastenausgleich im Wege des Steuersystems vorzunehmen. Dies bedingt höhere und progressive Abgaben auf große Vermögen und hohe Erbschaften und Einkommen sowie die politische Notwendigkeit, endlich eine harte Haltung gegenüber der außerordentlich schädlichen Steuerflucht auch in europäische Steuersümpfe einzunehmen.
Europäische Antworten sind notwendig
Eine primär nationalstaatliche Finanzierung der Maßnahmen und Investitionen ist jedoch ungenügend. Unter gesundheits- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten ist es außerordentlich gefährlich, wenn die einzelnen EU-Mitgliedsländer über unterschiedlich große Spielräume für Gegenmaßnahmen verfügen.
Weitere Stabilisierungs-, Finanzierungs- und Investitionsmöglichkeiten auf EU-Ebene sind erforderlich, damit aus der Gesundheits- und Wirtschaftskrise keine Finanz- und Eurokrise wird. Vorschläge wie der derzeit diskutierte EU Recovery Fund sind grundsätzlich zu begrüßen und für die EU wie Österreich auch wirtschaftlich vernünftig.
Schließlich gilt es auf EU-Ebene die Verhandlungen um den mittelfristigen Finanzrahmen bis 2027 für eine stärkere sozial-ökologische Ausrichtung und Unterstützung einer Aufwärtskonvergenz zwischen den Mitgliedstaaten zu nutzen anstatt eine kurzsichtige „Nettozahler“-Position zu verteidigen.
Dieser Beitrag basiert auf unserer deutlich ausführlicheren AK-Budgetanalyse zum Entwurf des Bundesvoranschlags 2020 und darüber hinaus.
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