Nach dem kräftigen Konjunkturaufschwung ist die soziale und wirtschaftliche Lage in Österreich im internationalen Vergleich gut. Dies erleichtert die Bewältigung der notwendigen Reformen. Deren wichtigste bestehen in der Bekämpfung der hohen und bald wieder zu steigen drohenden Arbeitslosigkeit, den Strukturveränderungen des Staatshaushalts auf Ausgaben- und Einnahmenseite und der Verringerung der enormen Vermögenskonzentration.
Der über drei Jahre gehende Konjunkturaufschwung 2015–2018 fiel merklich kräftiger als im Euroraum oder in Deutschland aus: Das Bruttoinlandsprodukt stieg kumuliert um real +7,3%, der Export um +12,1%, die Wertschöpfung in der Industrie um +13,3%, die Bruttoanlageinvestitionen um +11,7%, die Zahl der unselbstständig Beschäftigten um +216.000, das verfügbare Einkommen der Haushalte um +5%. Die gute Konjunktur bewirkt einen merklichen Rückgang von Budgetdefizit und Arbeitslosigkeit.
Doch der Konjunkturhöhepunkt wurde zur Jahresmitte 2018 überschritten, und die Raten der wirtschaftlichen Expansion schwächen sich nun ab. Wiewohl derzeit trotz steigender weltwirtschaftlicher Risiken vor allem auf den internationalen Finanzmärkten noch wenig auf eine Rezession hindeutet, kann 2019 nur mehr mit einem realen Wirtschaftswachstum von (höchstens) 2% gerechnet werden. Die damit einhergehenden Probleme erfordern das Handeln der Wirtschaftspolitik.
Vor neuerlichem Anstieg der Arbeitslosigkeit
Die größte Herausforderung entsteht 2019 auf dem Arbeitsmarkt. In den ersten Monaten des Jahres wird die Zahl der Arbeitslosen gegenüber dem Vorjahr noch zurückgehen (gegebenenfalls mit witterungsbedingten Ausnahmen, insbesondere im Jänner). Doch hält die flache Konjunktur an, so wird sich die Zahl der Arbeitslosen etwa ab Jahresmitte gegenüber dem Vorjahr erhöhen und könnte, um Witterungseinflüsse bereinigt, bereits in den nächsten Monaten gegenüber dem jeweiligen Vormonat zu steigen beginnen. Die Zahl der arbeitslosen Älteren steigt ohnehin bereits seit Oktober 2018 auch gegenüber dem Vorjahr.
Noch bedrohlicher ist, von welch hohem Niveau der Arbeitslosigkeit aus wir in den Konjunkturabschwung gehen: Die Zahl der Arbeitslosen (exkl. SchulungsteilnehmerInnen) liegt bei 310.000 (davon etwa 100.000 Langzeitbeschäftigungslose), die Arbeitslosenquote bei 7½% der unselbstständigen Erwerbspersonen. Zu Beginn des letzten Abschwungs 2008 lag das Niveau der Arbeitslosigkeit bei 210.000 (30.000 Langzeitbeschäftigungslose) bzw. 5,9%. Die Erfahrung lehrt: Arbeitslosigkeit, die in der Rezession entsteht, muss sofort aktiv bekämpft werden, sonst droht sie dauerhaft zu werden.
Der Arbeitsmarkt steht in einigen Aspekten aber auch besser da als vor Beginn des letzten Abschwungs vor zehn Jahren. Nicht nur die Zahl der Beschäftigten ist seit 2008 um fast 400.000 gestiegen, sondern auch die Erwerbsbeteiligung der Älteren: bei den 55- bis 59-Jährigen kräftig von 55% auf 78% und bei den 60- bis 64-Jährigen immerhin von 14% auf 29%. Dies war das Ergebnis der demografischen Verschiebungen, der Pensionsreformen, vor allem aber auch des steigenden Bildungsniveaus und der Fachkräfteknappheit im Beschäftigungsboom 2015 bis 2018. Auf diesem Weg soll auch bei konjunkturell ungünstigerem Umfeld vorangegangen werden. Etwa indem mehr in die Gesundheitsvorsorge investiert, eine aktive Beschäftigungspolitik für Ältere betrieben und innovative Arbeitszeitverkürzung im mittleren Erwerbsalter umgesetzt wird.
Spätestens ab Jahresmitte 2019 ist eine aktive Beschäftigungs- und Qualifizierungspolitik notwendig. Innovative Arbeitsmarktinstrumente wie die Aktion 20.000, die ältere Langzeitarbeitslose in kommunale und gemeinnützige Beschäftigung brachte, oder die Jugendbeschäftigungs- und -ausbildungsgarantie wären wiederaufzunehmen bzw. auszubauen. Dringend und unmittelbar müssen mehr Anstrengungen für die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt gesetzt werden. Eine Strategie der Kürzung von Arbeitslosengeldern und Notstandshilfe wäre nicht nur wirtschaftlich kontraproduktiv, sondern bei steigender Arbeitslosigkeit auch in besonderem Ausmaß sozial fahrlässig.
Saniertes Budget für Strukturreformen nutzen
Die hohen Kosten der Banken- und Finanzkrise waren bereits im Jahr 2015 überwunden, als ein kleiner struktureller Budgetüberschuss erzielt wurde. 2018 dürfte auch der Maastricht-Saldo erstmals seit den 1970ern wieder positiv sein. Die europäischen Fiskalvorgaben werden erfüllt. Dies ist auch für die kommenden Jahre nur gefährdet, wenn eine Senkung der Abgabenquote Vorrang vor einer vernünftigen Budgetpolitik erhielte.
Die gesunden Staatsfinanzen bieten Spielraum für Strukturreformen. Bei den Staatsausgaben geht es um eine grundsätzliche Aufgabenkritik und eine Neukonzeption der Aufgabenverteilung im föderalen System, die Aufgabenorientierung und Effizienz erhöht und mittelfristig Spielraum für Leistungsverbesserungen oder Einsparungen bringt. Erheblichen Bedarf gibt es im Ausbau des gleichen Zugangs für alle Bevölkerungsgruppen zu öffentlichen Leistungen, z. B. in der Ausweitung des sozialen Wohnbaus vor allem in den Ballungszentren mit raschem Bevölkerungswachstum, im Ausbau des öffentlichen Verkehrs auch zur Verringerung des umweltschädlichen motorisierten Individualverkehrs und im Ausbau des sozialen Pflegesystems.
Auf der Seite der Staatseinnahmen muss die für 2020 geplante Steuerreform endlich für Strukturreformen genutzt werden. Es geht um eine Abgabenstruktur, die die Abgaben auf Leistungseinkommen aus Arbeit verringert und im Gegenzug vermögensbezogene und ökologisch ausgerichtete Steuern erhöht, wie es alle internationalen Institutionen empfehlen. Eine zielgerichtete Finanzpolitik kann Ausgaben- und Einnahmenerfordernisse auch effizient kombinieren, etwa indem das Aufkommen einer Erbschaftssteuer für den Ausbau des Pflegesystems zweckgebunden wird.
An derartige Maßnahmen wäre auch vorrangig zu denken, wenn sich der Konjunkturabschwung verstärkt, der sich im Moment nur andeutet. Einem Anstieg der Arbeitslosigkeit sollte von Beginn an nicht nur durch eine Verstärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, sondern auch durch expansiv wirkende Budgetpolitik entgegengearbeitet werden. Es gibt eine Reihe von Beispielen für Strukturreformen, die expansive Wirkung entfalten, ohne den Budgetsaldo zu belasten. Dies gilt für eine Erbschaftssteuer, deren Aufkommen für eine Ausweitung der Pflegeleistungen verwendet wird ebenso wie für vermögensbezogene Steuern zur Entlastung der Arbeitseinkommen oder die Steigerung der Effizienz in der föderalen Verwaltung, deren Erträge für Leistungsverbesserungen im Sozialstaat genutzt werden. Im Fall eines stärkeren Konjunkturabschwungs ist allerdings in jedem Fall ein volles Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren des Staatshaushalts und damit das Akzeptieren konjunktureller Budgetdefizite angebracht.
Hohe Konzentration des Reichtums
Zu Jahresbeginn 2019 werden die Ergebnisse der 3. Welle des „Household Finance and Consumption Survey“ des Europäischen Zentralbankensystems publiziert. Mit diesem wichtigen Forschungsprojekt liegen seit 2012 erstmals für Österreich belastbare Daten über die Vermögensverteilung vor, was eine unabdingbare Voraussetzung für einen faktenorientierten politischen Diskurs ist. Leider wurde auch in der 3. Welle die für Surveys typische Untererfassung besonders reicher Haushalte nicht korrigiert. Die Verankerung einer Auskunftspflicht bei der Vermögenserhebung, der Einsatz von „Oversampling“, also der Einbeziehung von mehr Reichen in das Sample des HFCS, und ein regelmäßiger Reichtumsbericht der Bundesregierung wären notwendig, um die Transparenz über die Vermögensverteilung zu erhöhen.
Laut den Daten der 2. Welle des Household Finance and Consumption Surveys weist Österreich eine hohe Vermögenskonzentration auf, deren Ursachen nüchtern zu analysieren sind. Es ist wenig bedenklich, wenn das gut ausgebaute soziale Pensionsversicherungssystem in Österreich im Gegensatz zu anderen Ländern keine umfangreiche private Pensionsvorsorge notwendig macht. Gleiches gilt für den im europäischen Vergleich gut entwickelten sozialen Mietwohnungsbestand, der privates Eigentum an Wohnraum nicht notwendig macht. In Österreich braucht man also kein großes privates Vermögen, um gut leben zu können, denn der Sozialstaat ist das Vermögen der breiten Mittelschicht.
Jedoch bringt die Vermögenskonzentration erhebliche Probleme mit sich: Das oberste Prozent der Haushalte besitzt ein Vermögen von mehr als 500 Milliarden Euro bzw. etwa 40% des gesamten Haushaltsvermögens. Einige wenige vom Schicksal Begünstigte verfügen damit über unangemessen hohen Einfluss auf Wirtschaft, Politik und Medien, was nicht zuletzt erhebliche demokratiepolitische Gefahren mit sich bringt; zudem wird diese starke Konzentration der Vermögen in wachsendem Ausmaß an die nächste Generation vererbt, was nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Anreizstrukturen auf den Kopf stellt. Deshalb ist eine griffige Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung ebenso notwendig wie Maßnahmen in Österreich und auf europäischer Ebene, um der im obersten Vermögenssegment besonders häufig auftretenden Steuervermeidung und -hinterziehung entgegenzuwirken.