Die neue WIFO-Prognose belegt für Österreich einen anhaltenden Wohlstandsverlust durch Covid- und Teuerungskrise. Dennoch gibt es neben vielen Verlierer:innen auch viele Gewinner:innen. Die Sozial- und Wirtschaftspolitik zeigt sich bislang nicht imstande, die Kosten vernünftig und gerecht zu verteilen sowie die Weichen für die Zukunft zu stellen. Beides ist möglich und notwendig.
Das WIFO bestätigt in seiner Frühjahrsprognose im Wesentlichen die Ergebnisse vom Dezember und prognostiziert eine leichte konjunkturelle Erholung und außergewöhnlich hohe Inflationsraten (2023: 7,1 Prozent, 2024: 3,8 Prozent). Inflation und Stagnation sind durch die hohen Energie- und Importpreise ausgelöst. Zu Recht weist WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr darauf hin, dass die hohen Importpreise für (fossile) Rohstoffe das real verfügbare Einkommen unweigerlich schmälern. Das reale BIP pro Kopf sank bereinigt um die „Terms of Trade“-Verluste (Importpreise steigen rascher als Exportpreise) vor allem im Jahr 2022. Das ist ein erheblicher gesamtwirtschaftlicher Wohlstandsverlust.
Umverteilung zulasten der Ärmsten und zugunsten der Reichsten
Die österreichische Wirtschaftspolitik hat sich bislang um die Frage gedrückt, wer ökonomisch in der Lage ist, diesen Wohlstandsverlust zu tragen. Noch viel mehr: Die Bundesregierung hat durch ungerechtfertigte und überhöhte Subventionen und Transfers sowie durch fehlende Markt- und Preiseingriffe selbst die Gewinner:innen der Krisen gestärkt und manche Verlierer:innen geschwächt.
Die OeNB hat gezeigt, in welch enormem Ausmaß bereits die Covid-Förderungen zu einem Finanzierungsüberschuss des Unternehmenssektors führten. Auch in der Teuerungskrise gibt es umfangreiche Überförderungen von Unternehmen, die ohnehin hohe Gewinne verzeichnen, etwa im Zusammenhang mit dem Energiekostenzuschuss oder mit dem enormen Anstieg der Agrarpreise, die eine Gewinn-Preis-Spirale fördern. Einmalzahlungen wurden auch an jene Haushalte des oberen Einkommensdrittels ausgeschüttet, die eine hohe Sparquote aufweisen und für die die Inflation keinen unmittelbaren Wohlstandsverlust mit sich bringt. Die zu hohen und nicht zielgerichteten Förderungen erhöhen zusammen mit den steigenden Zinssätzen die österreichische Staatsschuld markant, wie die langfristige Budgetprognose des BMF zeigt.
Hingegen wurden Haushalte im unteren Einkommensbereich aus ideologischen Gründen nicht ausreichend unterstützt. Man denke nur an die ohnehin extrem armutsgefährdeten (Langzeit-) Arbeitslosen, denen die Regierung einen zusätzlichen dramatischen Kaufkraftverlust zumutet. Vernachlässigt werden etwa auch Bezieher:innen von Sozialhilfe oder Unterhaltsvorschuss, deren Sozialleistungen markant unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen, sowie Studierende. Teile der Bundesregierung nutzen jede Gelegenheit, weitere Kürzungen von Sozialleistungen für Arbeitslose, Teilzeitbeschäftigte oder Migrant:innen zu monieren, während sie gleichzeitig Steuerbegünstigungen für Kapitalbesitzer:innen fordern.
Scheitern in der Antiinflationspolitik
Die österreichische Wirtschaftspolitik setzt in der Teuerungskrise vor allem auf schuldenfinanzierte Subventionen und Transfers, die wenig zielgerichtet sind und auch an Unternehmen und Haushalte gehen, die sie nicht brauchen. Sie hat im internationalen Vergleich wenig Maßnahmen gesetzt, die direkt die Preise beeinflussen oder die teuerungsbedingten Übergewinne abschöpfen. Laut OeNB-Analyse bewirkten die wirtschaftspolitischen Maßnahmen 2022 in Österreich eine Dämpfung der Inflationsrate um 0,3 Prozentpunkte, in Spanien um 1,2, Italien 1,8 und in Frankreich um 2,6 Prozentpunkte. Die Preise für Haushaltsenergie, öffentliche Verkehrsmittel sowie die Mieten hätten viel früher reguliert, die Wettbewerbspolitik verschärft und auf die ungerechtfertigten Preiserhöhungen etwa in der Gastronomie und für Nahrungsmittel rasch reagiert werden müssen.
Diese fehlenden Eingriffe in konkrete Märkte und deren Preisbildung drohen nun die Phase hoher Inflationsraten zu verlängern. So führte insbesondere die Weitergabe der höheren Strom- und Energiekosten, die in allen Produkten und Dienstleistungen stecken, zu einem verstärkten Preisauftrieb. Viele Firmen nutzen darüber hinaus die Gunst der Stunde und erhöhen ihre Preise kräftig, weil es alle anderen ja auch tun, obwohl sich die Kosten viel weniger erhöht haben. Verteilungsseitig wurde die Inflation 2022 vor allem von den Gewinnen getrieben, wie viele internationale Untersuchungen und auch Abschätzungen für Österreich zeigen. Strategische und zielgerichtete Preiskontrollen können Inflation und Übergewinne dämpfen, wie die Ökonomin Isabella Weber gezeigt hat.
Zudem reagieren auch die Löhne auf höhere Preise. Im Rahmen des kollektivvertraglichen Lohnverhandlungssystems gilt die durchschnittliche Inflationsrate der letzten zwölf Monate als Ausgangspunkt für die Verhandlungen. Das wurde von den Verhandlungspartnern im Konsens auch in der Herbstlohnrunde 2022 und der Frühjahrslohnrunde 2023 realisiert. Das österreichische Lohnverhandlungssystem hat den unschätzbaren Vorteil, dass es für alle Beschäftigten die Kaufkraft sichert und selbst keinen Impuls für Inflation liefert, das Entstehen einer Lohn-Preis-Spirale wird also verhindert. Allerdings führen höhere Preise aufgrund der adaptiven Ausrichtung der KV-Politik zu höheren Löhnen, was die Preise im Dienstleistungsbereich treibt. Wenn nicht rechtzeitig in Preise eingegriffen wird, dann kann eine Gewinn-Preis-Lohn-Spirale die Folge sein.
Die geringe Bereitschaft in Preise und Preissetzungsmechanismen einzugreifen ist zum erheblichen Teil ideologisch bestimmt. Das Ergebnis von Märkten wird als grundsätzlich „richtig“, Inflation als Ergebnis zu hoher Nachfrage angenommen und Inflationsbekämpfung der Zentralbank überlassen. Dieser monetaristische Zugang zur Makroökonomie ist generell verfehlt, in einer durch Rohstoffkosten und höhere Gewinne getriebenen Inflation ist er gänzlich unpassend und bringt hohe ökonomische Kosten mit sich. Zinserhöhungen wirken nur indirekt und mit erheblicher Zeitverzögerung über eine Dämpfung der Nachfrage auf die hohen Energie- und Rohstoffpreise, sie beeinträchtigen die Investitionstätigkeit etwa für die Klimawende, erhöhen die Spannungen im Europäischen Währungssystem und bergen das Potenzial hoher Wohlstandsverluste. In dieses monetaristische Bild passt, dass sich der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank als Zinserhöhungs-Hardliner geriert.
Erfolgreiche Preis- und Lohnpolitik in den Ölpreisschocks der 1970er Jahre
Diesem ungeeigneten monetaristischen Modell entgegengehalten werden müsste ein an die heutigen Herausforderungen angepasstes Modell der Wirtschaftspolitik, wie es erfolgreich gegen die Ölpreisschocks der 1970er Jahre angewandt wurde, als Österreich zum internationalen Vorbild wurde („Austrokeynesianismus“): Die Inflation war relativ gering, mittelfristig stiegen die Reallöhne erheblich, Vollbeschäftigung wurde aufrechterhalten. Preise und Löhne wurden gleichermaßen verhandelt: Im Preisunterausschuss der Paritätischen Kommission wurden Preiserhöhungen genehmigt, sofern sie durch höhere Kosten begründet waren. Der Lohnunterausschuss der Paritätischen Kommission gab Kollektivvertragsverhandlungen frei und ermöglichte auf diesem Weg eine gesamtwirtschaftliche Koordination. Gleichzeitig sicherten die Budgetpolitik und der Sozialstaat Vollbeschäftigung, gerechte Verteilung und Zukunftsinvestitionen.
Das ist heute anders. Die derzeitige Teuerungskrise und das in sie eingebettete Verteilungsproblem machen ein grundlegendes gesamtwirtschaftliches Steuerungsdefizit sichtbar. In der Bundesregierung fehlen makroökonomisches Wissen und ein konsistentes Modell gesamtwirtschaftlicher Politik weitgehend. Seit 2017 werden die Sozialpartner nicht mehr systematisch in die Wirtschaftspolitik eingebunden. Diese wollen das zum Teil auch gar nicht, weil die Arbeitgeberseite mit ihren Wünschen in der Regierung offene Türen einrennt und diesen Weg lieber als jenen der mühsamen Verhandlungen beschreitet, in denen sie auch selbst etwas hergeben müsste. Die Sozialpartner selbst sind immer weniger in der Lage, Verteilungskonflikte zu lösen.
Gesamtwirtschaftliche Verteilungspolitik neu fassen
Was wäre jetzt zu tun? Es ist nicht zu spät, gesamtwirtschaftlich gefährliche Preiserhöhungen zu verhindern. Zurückhaltung bei administrierten Preisen, Verhinderung ungerechtfertigter Preiserhöhungen etwa bei Mieten, mehr Transparenz über die Preisentwicklung in allen Branchen, Stärkung der Bundeswettbewerbsbehörde, öffentlicher Fingerzeig auf bereichernde Preiserhöhungen, makroökonomischer Dialog mit den Sozialpartnern. Dazu muss die Behebung von offensichtlichen Defiziten im Einsatz der Verwaltung kommen: Die Umsetzung vieler Maßnahmen wurde ausgelagert (COFAG), obwohl ihre transparente Abwicklung Aufgabe der Verwaltung wäre; für zielgerichtete Subventionen und Transfers fehlt oft die Datengrundlage (Klimabonus); wichtige Verwaltungseinheiten wie das AMS oder die Bundeswettbewerbshörde haben zu wenig (personelle) Ressourcen.
Zudem muss die Budgetpolitik der Bundesregierung wieder ihren verteilungspolitischen Aufgaben gerecht werden. Den von Armut und sozialer Ausgrenzung Betroffenen muss rasch und strukturell geholfen werden. Es ist unerträglich, wenn einerseits Einkommens- und Vermögensschwache in Armut gedrängt, andererseits Einkommens- und Vermögensstarke zusätzlich subventioniert werden. Vernünftige Politik muss in die andere Richtung umverteilen. Überförderungen müssen gestoppt und Übergewinne abgeschöpft werden: etwa durch raschen Abbau ungerechtfertigter Subventionen und höhere Progression im Steuersystem. Statt den Körperschaftsteuersatz von 25 auf 23 Prozent zu senken und damit die Krisengewinner:innen steuerlich zu begünstigen, muss der Körperschaftsteuersatz zumindest temporär erhöht werden. Die Einkommensteuer sollte progressiver werden. Ein Rechenbeispiel: Statt im Rahmen des Ausgleichs der kalten Progression alle Steuerstufen automatisch an die Inflation anzupassen, hätten die Mittel auf die Senkung des Eingangssteuersatzes konzentriert werden können, was es allein in den Jahren 2023 und 2024 erlaubt hätte, diesen auf 12 Prozent zu senken und damit beinahe zu halbieren. Auch progressive Erbschafts- und Vermögenssteuern würden die Gewinner:innen der Krise angemessen belangen.