Armut in Österreich – Sozialstaat federt ab, aber soziale Lage verschärft sich

17. Mai 2022

Statistik Austria hat kürzlich die neuesten Daten zu Armut und Armutsgefährdung in Österreich präsentiert. Die gute Nachricht ist, dass die Zahl der von Armutsgefährdung betroffenen Menschen in Österreich trotz Covid-Krise und Wirtschaftseinbruch nicht stark gestiegen ist. Der Sozialstaat hat die massiven Folgen der Corona-Krise abgefedert und Schlimmeres verhindert. Er ist jedoch nicht „armutsfest“ und muss daher weiter ausgebaut werden, denn viele Menschen sind auf einen starken Sozialstaat angewiesen.

Sozialleistungen werden immer wichtiger

Trotz der Krise ist der Anstieg der Armutsgefährdung in Österreich – von 1,22 auf 1,29 Millionen Menschen (bzw. von 13,9 Prozent auf 14,7 Prozent der Bevölkerung) – relativ moderat geblieben. Dies ist vor allem auf die umfassenden Leistungen des Sozialstaats zurückzuführen, die die Armutsgefährdung von über 35 Prozent auf rund 15 Prozent reduzieren. Entwarnung lässt sich dennoch nicht geben: Zum einen kommen, wie die Daten der Statistik Austria zeigen, immer mehr Menschen ohne Sozialleistungen nicht mehr über die Runden. 2021 waren 20 Prozent mehr Menschen als noch im Jahr davor hauptsächlich auf Sozialleistungen angewiesen, um ihren Lebensbedarf zu sichern.

Prekäre Lage von Alleinerziehenden

Zum anderen zeigt ein detaillierterer Blick in die Daten, dass sich die Lage bei manchen Bevölkerungsgruppen durchaus dramatisch verschlechtert hat: Alleinerzieher:innen, ganzjährig Arbeitslose, aber auch Kinder gehören zu den Verlierer:innen der Krise. So gibt es einen deutlichen Anstieg der Armutsgefährdung bei Ein-Eltern-Haushalten (Erhöhung von 31 Prozent auf 36 Prozent). Die überwiegende Mehrheit dieser Haushalte (rund 80 Prozent) sind alleinerziehende Mütter mit Kindern, die durch ihre Vielfachbelastung sowieso stark unter Druck stehen. 45 Prozent von ihnen können sich größere Anschaffungen nicht leisten, 37 Prozent keinen einwöchigen Urlaub.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Umsetzung des AK-Kinderarmutspakets nötiger denn je

Besonders schmerzhaft ist der Anstieg der Kinderarmut: Waren im Jahr davor 291.000 Kinder und Jugendliche von Armut bedroht, so ist diese Zahl 2021 auf 320.000 angewachsen – das ist eine Steigerung von fast 10 Prozent! Mehrpersonenhaushalte mit mindestens drei Kindern (29 Prozent) haben weiters ein doppelt so hohes Armutsrisiko wie der Durchschnitt (15 Prozent). Kinderarmut ist besonders dramatisch, weil hier junge Menschen ihrer Lebenschancen nachhaltig beraubt werden. Die AK Wien hat daher ein Paket zur Bekämpfung von Kinderarmut erarbeitet. Neben der Erhöhung der zentralen Geldleistungen – Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Unterhaltsvorschuss – liegt dabei der Fokus auf einer direkten Unterstützung der Kinder durch Bildungsmaßnahmen, um die Vererbung von Armut nachhaltig zu durchbrechen.

Verbesserungsbedarf bei Arbeitslosengeld und Sozialhilfe

Um den österreichischen Sozialstaat wirklich armutsfest zu machen, sind vorrangig Verbesserungen bei den Sozialleistungen nötig, die die Existenz sichern sollen. Dazu zählen u. a. die Anhebung des Arbeitslosengeldes (auf 70 Prozent des Nettoeinkommens) und der Notstandshilfe sowie der entsprechenden Familienzuschläge. Diese Leistungen liegen derzeit mit durchschnittlich 1.083 bzw. 858 Euro weit unter der Armutsgefährdungsschwelle von 1.371 Euro pro Monat (zwölfmal) für einen Einpersonenhaushalt. Daher ist nicht überraschend, dass ganzjährig Arbeitslose eine enorm hohe Armutsgefährdung von 57 Prozent haben – auch dieser Wert ist gegenüber dem Vorjahr um 10 Prozent angestiegen. Zugleich zeigt sich, wie wirksam gezielte Instrumente sein können. So waren Menschen in Kurzarbeit nur in einem sehr geringen Maß von Armutsgefährdung betroffen, ähnlich wie Vollzeitbeschäftigte (8 Prozent und 7 Prozent).

Die aktuellen einzelnen Verbesserungen in der Sozialhilfe sind dringend notwendige Korrekturen der 2018 massiv beschädigten Regelungen. Damit dieses Instrument aber seinen eigentlichen Zweck der Verhinderung von Armut erfüllen kann, muss noch deutlich mehr geschehen. So müssen vor allem die Richtsätze deutlich angehoben und wieder als Mindest- statt als Höchstsätze definiert werden. Aktuell liegen diese bei 978 Euro für einen Erwachsenen und 1.369 Euro für Paare – zwölfmal jährlich.

Teuerung verschlimmert die soziale Lage – was tun?

Die aktuellen Teuerungen bei Wohnen, Energie und Lebensmitteln treffen jene Familien, bei denen es schon bisher knapp war, besonders hart. Haushalte aus dem untersten Einkommensfünftel geben mehr als die Hälfte ihres verfügbaren Einkommens für Wohnen, Energie und Verkehr aus. Im Rahmen der „So geht’s uns heute“-Erhebung der Statistik Austria gab bereits Ende 2021 jede/r vierte Befragte in einer Mehrkindfamilie an, dass diese Schwierigkeiten habe, mit dem Haushaltseinkommen über die Runden zu kommen. Gerade ihnen helfen einmalige Teuerungsausgleiche allein nicht, sondern es braucht für sie insbesondere einen gut ausgebauten, armutsfesten Sozialstaat. Um seine vorhandenen Lücken zu schließen und im Sinne der sozialen Gerechtigkeit, müssen aber auch die Gewinner:innen der Teuerungskrise (wie Wasser- und Windkraftunternehmen oder Mineralölfirmen, aber auch große Wohnungsvermieter) über die Abschöpfung von Übergewinnen und über Formen progressiver Besteuerung auf große Erbschaften und Vermögen in die Verantwortung gezogen werden.

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