Erwerbsarmut und finanzielle Abhängigkeit in Paarhaushalten

08. April 2022

In Österreichs Paarhaushalten haben erwerbstätige Frauen, gemessen an ihrem Einkommen, ein höheres Risiko, in Armut abzurutschen, als erwerbstätige Männer. Insbesondere Mütter sind häufig auf das Einkommen ihres Partners angewiesen, um nicht armutsgefährdet zu sein. Doch warum wissen wir bisher nur wenig über individuelle Erwerbsarmutsrisiken bei Paaren und wie diese zwischen den Geschlechtern verteilt sind? Welche weitreichenden Folgen hat das Phänomen insbesondere für Frauen und inwiefern kann allgemeine Arbeitszeitverkürzung ein Lösungsansatz sein?

Vom Haushaltseinkommen verschluckt: das individuelle Erwerbsarmutsrisiko in Paarhaushalten

Erwerbsarmut bedeutet, dass jemand trotz Job armutsgefährdet ist. Laut Armutsstatistik der Europäischen Union gelten Erwerbstätige als armutsgefährdet, wenn ihr äquivalisiertes (also das anhand der Anzahl und des Alters der Haushaltsmitglieder gewichtete) Netto-Haushaltseinkommen 60 Prozent des mittleren nationalen Haushaltseinkommens unterschreitet. Zur Ermittlung der Armutsgefährdung werden dabei Informationen auf Personen- (die Beschäftigungssituation) und Haushaltsebene (Haushaltseinkommen) kombiniert. Für Single- und Alleinerziehenden-Haushalte ist dies wenig problematisch, da darin ohnehin nur jeweils eine potenziell erwerbstätige erwachsene Person lebt. In Paarhaushalten werden Armutsrisiken auf Basis individueller Eigenschaften wie des Geschlechts so aber gewissermaßen vom Haushaltseinkommen „verschluckt“. Unter anderem aufgrund der fehlenden sichtbaren Zusammenhänge zwischen Erwerbsarmutsgefährdung und Geschlecht wird die EU-Armutsstatistik seit jeher kritisiert. Im Folgenden wird deshalb illustriert, wie geschlechtsspezifische Erwerbsarmutsrisiken bei Paaren verteilt sind – einerseits, wie üblich, auf Basis des äquivalisierten Haushaltseinkommens (türkiser Balken) und andererseits, unter Verwendung eines alternativen Erwerbsarmutsindikators, auf Basis des Personeneinkommens (roter Balken):

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Risikogruppe Familienernährer: kein Auskommen mit dem Haushaltseinkommen

In Österreich sind Frauen, insbesondere Mütter, häufiger teilzeit– und niedriglohnbeschäftigt als Männer und erzielen somit ein niedrigeres Durchschnittseinkommen. Man würde also erwarten, dass Frauen öfter erwerbsarmutsgefährdet sind als Männer. In Paarhaushalten zeigt sich auf Basis des Haushaltseinkommens dieser Geschlechterunterschied jedoch nicht – im Gegenteil. Demnach ist das männliche Erwerbsarmutsrisiko tendenziell sogar höher als das weibliche. Das liegt daran, dass bei der Berechnungsweise auf Basis des Haushaltseinkommens vor allem das Erwerbsarmutsrisiko der Beschäftigten abgebildet wird, die Allein- oder HauptverdienerInnen eines Haushalts sind. In österreichischen Paarhaushalten sind das mehr als drei Viertel der erwerbstätigen Männer, während mehr als zwei Drittel der erwerbstätigen Frauen lediglich einen Zuverdienst zum Einkommen ihres Partners leisten. Denn bei Paaren, insbesondere bei solchen mit Kindern, dominieren in Österreich Erwerbsmodelle, in denen der Mann voll- und die Frau – wenn überhaupt – teilzeitbeschäftigt ist. Somit wird auf Basis des Haushaltseinkommens vor allem das Erwerbsarmutsrisiko von Männern abgebildet. Ihr Personeneinkommen würde häufig ausreichen, um sich finanziell abzusichern. Aber weil sie mit ihrem Einkommen den Haushalt ernähren, erhöht sich ihr Erwerbsarmutsrisiko. Auf Basis des Haushaltseinkommens ist beispielsweise jeder zehnte Vater erwerbsarmutsgefährdet, auf Basis des Personeneinkommens ist es nur jeder zwanzigste.

Risikogruppe Zuverdienerin: kein Auskommen mit dem Personeneinkommen

Auf Basis des Personeneinkommens sind wiederum Frauen deutlich häufiger erwerbsarmutsgefährdet als Männer. Wie erwähnt, verdienen Frauen meist ein Zubrot zum Haushaltseinkommen. Auf Basis des Haushaltseinkommens vermeiden sie Erwerbsarmut damit oftmals nur mithilfe des Partnereinkommens. Gleichzeitig stockt ihr Zuverdienst das Haushaltseinkommen auf und reduziert damit – gemäß dieser Berechnungsweise – tendenziell das eigene Erwerbsarmutsrisiko sowie jenes ihrer Familien. Insbesondere das ausgeprägte Erwerbsarmutsrisiko von Müttern gegenüber kinderlosen Frauen sowie Männern sticht bei der Grafik ins Auge – etwa jede Dritte ist demnach auf Basis ihres Personeneinkommens erwerbsarmutsgefährdet. Kinder bedeuten für sie nicht nur einen erhöhten finanziellen Bedarf, sondern in der Regel auch Erwerbsunterbrechungen sowie reduzierte Beschäftigung und somit niedrigeres Einkommen und ein höheres Armutsrisiko.

Erwerbsarmut und finanzielle Abhängigkeit bei Paaren: Das Risiko tragen vor allem Frauen

Die unterschiedlichen Erwerbsarmutsrisiken von Männern und Frauen sind in Paarhaushalten ungleich verteilt. Das Risiko tragen dabei primär Frauen.

Ihr niedriges Personeneinkommen wirkt sich negativ auf Sozialversicherungsansprüche aus und erschwert es, eine Beziehung zu verlassen und sich damit aus finanzieller Abhängigkeit zu lösen. Letzteres ist in Österreich insbesondere im Kontext der zahlreichen Fälle häuslicher Gewalt gegen Frauen und Femizide alarmierend. Außerdem ist das Partnereinkommen ein risikobehafteter Schutz gegen Armut. Das Armutsrisiko kann durch Wegbrechen des Partnereinkommens akut werden, etwa bei Jobverlust, Arbeitsunfähigkeit oder Tod des Partners oder eben bei Trennung.

Ökonomische Unabhängigkeit fördern: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich

Eine ausführlichere Untersuchung zeigt, dass durch die übliche Methode der Erwerbsarmutsmessung im Rahmen der üblichen Statistik eine genauere Analyse von Abhängigkeitsverhältnissen in Paarhaushalten verhindert wird. Der Diskurs über feminisierte Armut kann nicht ausschließlich auf Basis haushaltsbasierter Daten geführt werden, da die Emanzipation von Frauen mit der Möglichkeit der eigenen Existenzsicherung verknüpft ist. Die Betrachtung mittels eines alternativen Erwerbsarmutsindikators auf Basis des Personeneinkommens verdeutlicht, dass finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse in Paarhaushalten – insbesondere von Müttern – überwunden werden müssen. Wie kann ökonomische Unabhängigkeit von Frauen gefördert werden? Ein zentraler Hebel dafür ist eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich mit entsprechenden institutionellen und betrieblichen Rahmenbedingungen. Durch die Verkürzung der Normalarbeitszeit wird eine geschlechtergerechte Umverteilung von Erwerbsarbeitszeit und Familienarbeit angestrebt – durch Angleichen der Arbeitszeitmodelle von Männern und Frauen werden ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse aufgebrochen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert. Davon profitieren insbesondere Frauen, aber auch Männer.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete und stark gekürzte Fassung des Beitrags „Erwerbsarmut in Österreich aus Geschlechterperspektive“, der in der Zeitschrift „Wirtschaft und Gesellschaft“, 2021, Band 47, Nr. 4 erschienen ist. In dieser Ausgabe findet sich u. a. auch ein interessanter Beitrag zu Modellen und Praxis von Arbeitszeitverkürzung in Betrieben.

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