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Häusliche Gewalt ist kein privates Problem
Wie angesichts der Corona-Pandemie offensichtlich wird, stehen gesellschaftliche Verhältnisse, aber auch die jeweiligen politischen und medialen Diskurse und die entsprechende juristische Rechtslage in deutlichem Zusammenhang mit der Anzahl der häuslichen Gewalttaten in einer Gesellschaft. Alle drei Ebenen wirkten beispielsweise zusammen, als die Regierung Donald Trumps Anfang 2019 klammheimlich eine Veränderung der juristischen Definition häuslicher Gewalt auf ausschließlich körperliche und sexualisierte Gewalt vornahm. Ein solches Vorgehen lässt eine konservative Randmeinung plötzlich zum juristischen Maßstab werden, nach welchem psychische, ökonomische und soziale Gewalt eben keine Gewalt ist und deswegen auch juristisch nicht entsprechend verfolgt wird.
In Österreich bestärken der rechts-konservative und antifeministische Backlash, das Erstarken konservativer Geschlechter- und Familienbilder und die Kürzung frauenpolitischer Maßnahmen den statistisch erfassbaren Anstieg häuslicher Gewalt. Frauenprojekten wurde beispielsweise das Budget gestrichen oder wie im Fall der Salzburger Frauenhäuser über eine viel kritisierte EU-weite Ausschreibung die Vergabe nach Effizienzkriterien ausgerichtet.
Das Zurückfahren öffentlichen Engagements verlagert häusliche Gewalt wieder verstärkt ins vermeintlich Private, sie ist deswegen aber kein privates Problem. „Es geht um Besitzansprüche des Mannes, Dominanz, Kontrolle und Eifersucht, sexuelle Ansprüche. Um Verletzen und Beherrschen, um das Festhalten an patriarchalen Strukturen, in denen Frauen den Männern ‚gehören‘ und in denen sie bestraft werden müssen, wenn sie sich widersetzen“, schreibt die Journalistin und Autorin Simone Schmollack. Häusliche Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem.
Was sich dringend ändern muss
Um das vorherrschende Narrativ von Gewalt als privater Problemlage der (weiblichen) Betroffenen herauszufordern, ist es erstens wichtig anzuerkennen, dass häusliche Gewalt kein Klassen- bzw. Migrationsproblem ist. Häusliche Gewalt findet auch an Orten statt, denen ein gewaltvolles Familien- bzw. Beziehungsbild üblicherweise nicht zugeschrieben wird. Allerdings wird in einer Wohnsiedlung ausgeübte häusliche Gewalt von aufmerksamen Nachbar:innen eher wahrgenommen als in einem großen Haus mit Garten. Wenn es allerdings um den Zugang zu Gewaltschutzeinrichtungen und Unterstützungsangeboten geht, spielen Klasse und Herkunft sehr wohl eine Rolle.
Zweitens muss der überwiegenden medialen Darstellung von Gewalttaten als „Beziehungsdrama“ eine geschlechtssensible Berichterstattung entgegengesetzt werden. Die Berichterstattung über den zweifachen Femizid Anfang Juni steht exemplarisch für eine problematische Berichterstattung, die Gewalt als Drama verharmlost und den beiden Opfern ebenfalls Verantwortung für die Tat beimisst: der Ehefrau, weil sie ihren Partner verließ, und ihrer Freundin, weil sie die Ehefrau in ihrer Entscheidung unterstützte. Bewegungen von Betroffenen und Unterstützer:innen wie Ni Una Menos machen weltweit auf dieses Problem aufmerksam.
Neben Hilfsangeboten und Schutzeinrichtungen für Betroffene braucht es drittens über Anlaufstellen zur Gewaltprävention gewalttätiger Männer hinaus Männlichkeitsbilder abseits des Bildes des starken Mannes, der in der Erwerbsarbeit scheinbar alles unter Kontrolle hat und den unterdrückten Frust an der Partnerin auslässt. Häusliche Gewalt ist ein Problem toxischer Männlichkeit. Aus dieser Perspektive eröffnen sich aber auch Möglichkeiten für Männer, die eigenen Probleme zu bearbeiten.
Viertens gehen die Folgen häuslicher Gewalt weit über den vermeintlich privaten Bereich hinaus. So leiden 60 bis 80 Prozent der Betroffenen unter schweren psychischen Traumata, die nicht zuletzt ihren Umgang mit Erwerbsarbeit stark belasten. Hier wäre es wünschenswert, wenn Arbeitgeber:innen Richtlinien zum Umgang mit von häuslicher Gewalt Betroffenen einführen, wie es in den USA und Großbritannien bereits üblich ist. Auch die Arbeiterkammer und die Gewerkschaften wären hier gefragt, als Vorbild voranzugehen und häusliche Gewalt als eines ihrer Themen aufzugreifen.
Schließlich braucht es ein Vielfaches an Finanzierung für Schutzeinrichtungen und das Recht auf eine psychosoziale sowie juristische Begleitung bzw. Beratung. Die Allianz „Gewaltfrei Leben“ fordert eine entsprechende Erhöhung des Budgets des Frauenministeriums von 12 Millionen auf 210 Millionen. Denn wenn weiterhin so wenig finanzielle Mittel in den Gewaltschutz und frauenpolitische Projekte fließen und stattdessen jahrelangen Expert:innen Mittel entzogen werden, wird die „Politik gegen Gewalt“ eine Farce.
Fazit
Was in Zeiten von Corona also besonders sichtbar wird, ist bedauerlicherweise ein ganz alltägliches Problem, das auf patriarchale Dominanzmuster verweist, die uns alle betreffen. Eine Benennung des Problems als gesellschaftliches würde es zumindest auch gesellschaftlich diskutierbar machen. Gleichzeitig stehen wir alle in der Verantwortung, dazu beizutragen, Diskurse und Politiken abzulehnen, die ein abwertendes Frauenbild transportieren. In Zeiten von Corona wird somit ebenfalls sichtbar, dass unsere Solidarität umso mehr gefragt ist.
Anlaufstellen gegen Gewalt
Betroffene können sich unter der Telefonnummer 0800 222 555 an die Frauen-Helpline gegen Gewalt und an einen anonymen Chat auf der Website Halt der Gewalt wenden. Eine Liste von weiteren Anlaufstellen ist hier zu finden.
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