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Schlüsselfunktionenin Aufsichtsräten bleiben männlich
Neben dem überschaubaren Anwenderkreis bleibt als weiterer Wermutstropfen: Es sind zwar heute mehr Frauen denn je in Aufsichtsräten vertreten, sie wirken aber weit weniger in wichtigen Ausschüssen mit und sind kaum in Vorsitzpositionen zu finden. Während in den zentralen Aufsichtsratsausschüssen börsennotierter Unternehmen (prime market) im Schnitt 21 Prozent Frauen repräsentiert sind, liegt der Frauenanteil unter den Ausschussvorsitzenden bei noch geringeren 15 Prozent. Ähnliches gilt für die mächtige Position des Aufsichtsratsvorsitzes: In den 200 umsatzstärksten Unternehmen sind lediglich 11 Prozent der Aufsichtsratsvorsitzenden weiblich. Angesichts dieser Zahlen braucht es ein klares Bekenntnis für mehr Frauen in den entscheidenden Schlüsselfunktionen der Aufsichtsorgane, um die Etablierung einer „neuen gläsernen Decke“ zu verhindern. Gerade der Vorsitz im Nominierungsausschuss ist dabei von erheblicher Bedeutung, da Frauen bei der Nachfolgeplanung für Vorstand und Aufsichtsrat ihre eigenen Netzwerke nützen könnten. Davon kann noch keine Rede sein, denn derzeit sind Vorsitzende der Nominierungsausschüsse nur zu 6 Prozent weiblich. Auf ähnlich niedrigem Niveau liegt – wenig überraschend – auch der Frauenanteil im Management: In den an der Wiener Börse notierten Unternehmen sind im Jänner 2020 lediglich 15 von 222 Vorstandspositionen mit Frauen besetzt (7 Prozent).
Betriebsrätinnen tragen maßgeblich zurQuotenerfüllung bei
Ein weiteres Zwischenfazit lässt sich darüber ziehen, wie ArbeitnehmerInnen- und Arbeitgeberseite die Umsetzung der Geschlechterquote in der Praxis handhaben: Der Gesetzgeber sieht grundsätzlich das Prinzip der „Gesamterfüllung“ vor, jedoch kann die Mehrheit der KapitalvertreterInnen bzw. der ArbeitnehmervertreterInnen Widerspruch einlegen. Im Falle des Widerspruchs muss jede Kurie die Mindestquote getrennt erfüllen – aktuell hat sich die Mehrheit der Gesellschaften für die „Gesamterfüllung“ entschieden. Die Erhebung des Frauenanteils nach Kapital- und Arbeitnehmerseite ergibt im Jänner 2020 folgendes Bild: In den quotenerfassten Gesellschaften liegt der Anteil der Frauen bei den KapitalvertreterInnen bei 30,2 Prozent und damit knapp über der Zielvorgabe. Deutlich übertroffen wird dieses Ergebnis von der ArbeitnehmerInnenvertretung, dort wird ein Frauenanteil von 36 Prozent erreicht. Einer Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung zur „Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland“ zufolge sind es auch in deutschen Gremien die Arbeitnehmervertreterinnen, die für mehr „Gender-Diversität“ in den Aufsichtsräten sorgen.
Es ist unbestritteneine zentrale Aufgabe des kollektiven Arbeitsrechts, für Gleichbehandlung derGeschlechter, aber auch für Integration und Inklusion zu sorgen. Die immerdiverser werdenden Belegschaften sollten ihre RepräsentantInnen in den Betriebsrätenund entsandten Aufsichtsratsmitgliedern wiederfinden. Angesichts bedeutenderaktueller Governance-Herausforderungen wie nachhaltiger Unternehmensführung oderder zunehmenden Digitalisierung ist die diverse Zusammensetzung von Aufsichtsrätenim Hinblick auf Nachhaltigkeits- und IT-Expertise, aber auch in Bezug auf Alterund Geschlecht ein entscheidender Erfolgsfaktor für Aufsichtsräte. Das Gleichegilt für Betriebsräte, die sich möglichst vielfältig zusammensetzen sollten (Alter,Geschlecht, Beschäftigungsdauer im Unternehmen, Herkunft etc.). Gerade einefaire Repräsentanz von Frauen in den Organen der Belegschaftsvertretung –insbesondere auch im Betriebsratsvorsitz – ist eine unabdingbare Voraussetzungfür eine geschlechtergerechte Mitwirkung im Aufsichtsorgan des Unternehmens.
Gesetzgeber fordert mehr Frauen im Betriebsrat
Die Absicht des Gesetzgebers ist in dieser Frage klar: In relevanten Aufsichtsräten sollen Frauen zu mindestens 30 Prozent vertreten sein (§ 110 Abs. 2a ArbVG), in Betriebsratskörperschaften entsprechend den jeweiligen Belegschaftsverhältnissen von Frauen und Männern (§ 50 Abs. 3 ArbVG). Die zweitgenannte Gesetzesbestimmung ist mit dem „Gleichbehandlungspaket“ 1992 ins Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) gelangt. Und zwar als eine von mehreren Ausgleichsmaßnahmen für die schrittweise Anhebung des Pensionsantrittsalters von Frauen. Dazu hielten der Sozialausschussbericht des Nationalrats und die entsprechenden Erläuterungen der Regierungsvorlage fest: „Es soll eine stärkere Repräsentation der Frauen in Organen der betrieblichen Interessenvertretung angestrebt werden. Der Benachteiligung der Frauen in der Gesellschaft, vor allem auch im Arbeitsleben, soll mit einer Reihe gesetzlicher Maßnahmen entgegengewirkt werden.“ Fast 30 Jahre später liegt der Anteil von Frauen unter den Betriebsratsvorsitzenden Österreichs noch immer bei bescheidenen 25 Prozent. Dies gilt auch für Betriebe mit einem hohen Frauenanteil in der Beschäftigungsstruktur, selbst dort sind Frauen in den Organen der betrieblichen Interessenvertretung immer wieder unterrepräsentiert. So setzt sich zum Beispiel in Handelsunternehmen mit einem hohen Teilzeitbeschäftigungsgrad der Betriebsrat oft aus den wenigen (in Vollzeit beschäftigten) Männern zusammen.
Frauen in die Betriebsräte: eine Obliegenheit!
Um der Unterrepräsentanz von Frauen entgegenzuwirken, sollten die Belegschaftsorgane nach dem Zahlenverhältnis der Geschlechter zusammengesetzt sein, und es ist – dem entsprechend – bei der Erstellung der KandidatInnenliste auf eine angemessene Repräsentation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu achten (§ 55 Abs. 4a ArbVG). Seit der Implementierung der Geschlechterquote in Aufsichtsräten ist diese „Soll-Anordnung“ fast schon als Muss zu verstehen, jedenfalls aber als „Obliegenheit“. Unter Obliegenheit wird privatrechtlich nämlich eine Rechtspflicht verstanden, die nicht per se eingeklagt werden kann, bei deren Nichtbeachtung aber Rechtsnachteile entstehen können (die dann sehr wohl zu Schäden führen könnten). Denn im Fall der Unterlassung von Mandatsverteilungen, die die Quotenerfüllung ermöglichen, droht als Sanktion der „leere Stuhl“ und damit eine Schwächung der ArbeitnehmerInnenseite im Aufsichtsrat. Der Gesetzgeber fordert die aliquote Beteiligung von Frauen im Betriebsrat; und er „fordert“ gleichzeitig nochmals, nämlich im Sinne von „Engagement einfordern“: Frauen sind (auf)gefordert, sich aktiv und in verantwortungsvollen Positionen des (Zentral)-Betriebsrates, der Konzernvertretung oder des Euro-Betriebsrats (EBR) einzubringen. Dafür müssen die männlichen Betriebsratskollegen ihren Beitrag leisten, indem etwa Sitzungen so angesetzt werden, dass alle interessierten Kolleginnen teilnehmen können. Und indem die „Sitzungskultur“, das Fördern von Kandidaturen usw. entsprechend adaptiert werden.
Mitbestimmen mit und für Frauen
Bislang sieht der österreichische Gesetzgeber nicht vor, dass KandidatInnenlisten für Betriebsratswahlen aliquot nach Geschlechtern zusammengestellt sein müssen. Derartige Überlegungen wurden – im Gegensatz zu Deutschland (wo eine solche Regelung seit 2001 besteht) – verworfen. Nichtsdestotrotz: Der einschlägige Paragraf für die Wahllistenerstellung – und damit für den demokratischen ersten Schritt in Richtung solidarischen Engagements – lautet: „Bei Erstellung der Wahlvorschläge soll auf eine angemessene Vertretung von Frauen und Männern Bedacht genommen werden“(§ 55 Abs. 4a ArbVG).Handelt es sich z. B. um die Betriebsratswahl in einem quotenpflichtigen Unternehmen, dann könnte diese „Soll-Bestimmung“ so verstanden werden, dass wahlwerbende Listen dazu verpflichtet sind, sich jedenfalls darum zu bemühen, dass das Geschlechterverhältnis der KandidatInnenliste die Struktur der Belegschaft widerspiegelt. Wird vorsätzlich ignoriert, auf die ausgewogene Berücksichtigung von Frauen und Männern bei der Listenerstellung zu achten, wenn sich genügend Angehörige des Minderheitsgeschlechts in der Belegschaft nachweislich für eine Kandidatur bereit erklärt hätten, kann das bedenklich sein. Zwar ist einzuwenden, dass es sich beim Zustandekommen von Wahlvorschlägen nicht um „wertfreie“ Bewerbungen und allfällige Funktionen im Aufsichtsrat handelt, sondern häufig politisch-fraktionelle Orientierungen bestimmend sind. Dennoch ist davon auszugehen, dass Wahlvorschläge, die ausschließlich oder hauptsächlich aus Männern bestehen – ebenso wie die Reihung des Minderheitsgeschlechts (in der Regel sind es Frauen) an „unwählbarer Stelle“ – zwar keinen Gesetzesverstoß darstellen, aber doch eine Obliegenheitsverletzung vorliegt.
Ein Mehr an Quote
Mitbestimmung leistet bereits jetzt einen wesentlichen Beitrag für divers zusammengesetzte Aufsichtsräte, dennoch gibt es auch in den Reihen der ArbeitnehmerInnenvertretung Aufholbedarf. Denn egal ob Rechtspflicht, Obliegenheit oder schlicht eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit: Es ist Zeit für mehr Frauen in den Betriebsräten und Aufsichtsräten. Denn wie schon die Ikone der österreichischen Frauenbewegung Johanna Dohnal treffend festgestellt hat: „Machtverhältnisse sind weder geschichtslos noch geschlechtsneutral.“
Gerade die heimischen Aufsichtsratsgremien sind nach wie vor sehr homogen zusammengesetzt, überwiegend mit Männern, zumeist Betriebswirte oder Juristen, aus Österreich und Deutschland stammend. Ein Spiegelbild der Arbeitswelt sind diese Gremien weder im Hinblick auf das Geschlecht, das Alter noch die Expertise. Es hat sich gezeigt, dass die „Frauenquote“ Aufsichtsräte weiblicher, qualifizierter und jünger macht. Davon werden mittel- und langfristig die gesamte Wirtschaft und letztlich die Beschäftigten profitieren. Die Quote muss daher ausnahmslos auf alle großen und börsennotierten Unternehmen ausgeweitet und auf 40 Prozent angehoben werden. Außerdem braucht es – wie aktuell in Deutschland oder Frankreich diskutiert – eine Quote für das Management: Der Gesetzgeber sollte einen Mindestanteil von 33 Prozent Frauen vorsehen, sobald ein Vorstand aus drei Personen besteht. Die öffentliche Hand könnte – wie in den Aufsichtsräten – mit gutem Beispiel vorangehen: Die Erhöhung des Frauenanteils in den Aufsichtsratsgremien staatsnaher Unternehmen von 35 Prozent auf 40 Prozent, wie im Regierungsprogramm 2020–2024 angekündigt, ist die richtige Maßnahme – jetzt muss eine Zielvorgabe für die geschlechtergerechte Besetzung von Geschäftsführungen folgen.
Teile dieses Beitrags sind ein Auszug aus dem Kommentar zu § 55 ArbVG von Hannes Schneller, der im April in der 7., stark überarbeiteten Auflage des von Sieglinde Gahleitner und Rudolf Mosler herausgegebenen ArbVG-Kommentars im ÖGB Verlag erscheint.
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