In Österreich sind 1,5 Mio. Menschen von Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung betroffen, darunter 350.000 Kinder und Jugendliche. Die Pandemie, deren Auswirkungen hier noch nicht erfasst sind, hat die Situation dieser Menschen verschärft. Zudem ist zu befürchten, dass die Zahl der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten ansteigt, wenn nicht gegengesteuert wird. Zahlreiche Maßnahmen zur Armutsbekämpfung wurden im Rahmen der AK-Aktion „Armut abschaffen“ und auf dem A&W-Blog diskutiert. Zehn zentrale Beiträge haben wir zum Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut am 17. Oktober nochmals zusammengefasst.
Armutspolitik: bestehende Armut bekämpfen, neue Armut verhindern!
In der Armutsbekämpfungspolitik muss zum einen das Entstehen neuer Armut infolge der COVID-19-Krise verhindert werden, zum anderen darf die Bekämpfung von (teilweise schon lang bestehender) Armut nicht aus den Augen verloren werden. Vor diesem Hintergrund kommt dem Regierungsprogramm der Bundesregierung besondere Bedeutung zu. Formuliertes Ziel ist es, die Armut in Österreich zu halbieren. Die vorgesehenen Maßnahmen sind jedoch nicht ausreichend, um dieses begrüßenswerte Ziel zu erreichen. Neben der Rücknahme der Verschlechterungen in der Mindestsicherung und ihrer Anpassung an die Armutsgefährdungsschwelle müssen Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut in erster Linie am Arbeitsmarkt mit einer offensiven Arbeitsmarktpolitik ansetzen. Weitere Schwerpunkte liegen im Bildungs- und Gesundheitssystem, bei der Wohnungssicherung und bei der Vermeidung von Energiearmut.
Bekämpfung von Kinderarmut muss politische Priorität werden
Es ist eine Schande, dass in einem reichen Land wie Österreich Kinder in Armut aufwachsen müssen. Die Arbeiterkammer hat ein umfassendes Paket zur Bekämpfung von Kinderarmut vorgelegt, das neben Geldleistungen auf Bildungschancen und Unterstützungsangebote setzt. Die Voraussetzung, Chancen überhaupt ergreifen zu können, gibt es nur, wenn die materiellen Grundbedürfnisse gesichert sind. Ein reiner Fokus auf Geldleistungen greift in der Bekämpfung von Kinderarmut aber zu kurz. Jedem Kind muss zunächst Teilhabe an zentralen Leistungen wie Bildung, Freizeit und Gesundheit ermöglicht werden. Dieser Ansatz wird auch von der Europäischen Kindergarantie geteilt. Wege aus der Kinderarmut sind komplex, aber mit dem richtigen Mix aus Geld- und Sachleistungen erfolgreich beschreitbar.
Maßnahmen gegen die soziale Ungleichheit von Kindern
In einem Gastbeitrag für den A&W-Blog stellen die bekannten deutschen Armuts- und UngleichheitsforscherInnen Carolin und Christoph Butterwegge zentrale Thesen ihres aktuellen Buches „Kinder der Ungleichheit“ vor. Da Armut in aller Regel durch strukturelle Gegebenheiten, nicht durch persönliches Versagen hervorgerufen wird, gilt es, die bestehenden Eigentums-, Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu ändern. Die Bekämpfung der Armut von Kindern fängt beim Lohn ihrer Eltern an. Zentral sind zudem ein inklusiver Sozialstaat für die Familien sowie ein Fokus auf eine attraktive kinder-, jugend- und familienbezogene Infrastruktur. Aber: Wer die Armut verringern will, muss auch den Reichtum antasten.
Armut und Wohnungslosigkeit in der Pandemie: eine neue Dimension sozialer Ungleichheit
Die Bedeutung des eigenen Wohnraums wurde in der Pandemie besonders offensichtlich. Menschen mit niedrigem Einkommen, die häufig in beengten Wohnverhältnissen leben, wurden durch die zusätzlichen Belastungen im Zuge der Krise besonders stark betroffen. Durch reduzierte Einkommen aufgrund von Kurzarbeit oder neuer Arbeitslosigkeit stieg die Wohnkostenbelastung weiter an, bei gleichzeitig erhöhtem Ansteckungsrisiko mit COVID-19 durch beengte und überbelegte Wohnverhältnisse. Obdachlose Menschen und Personen, die phasenweise auf der Couch von FreundInnen und Familie Zuflucht fanden, hatten während der Lockdowns keine Möglichkeit, sich in häuslichen Rückzug oder selbstgewählte Quarantäne zu begeben. Prekäres, ungesichertes Wohnen bzw. sogenannte verdeckte Wohnungslosigkeit verlagerten sich mitunter auf die Straße.
Kein Auskommen mit dem Arbeitslosengeld in Österreich
In einer Sonderauswertung des Arbeitsklima-Index hat das Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) im Auftrag der Arbeiterkammer Oberösterreich die Situation der Langzeitarbeitslosen in der heutigen Zeit – geprägt von der Corona-Pandemie – untersucht. 82 Prozent der Arbeitslosen sagen, dass sie mit dem Arbeitslosengeld gerade (55 Prozent) oder gar nicht (27 Prozent) auskommen. Dieses Problem spitzt sich mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit zu: Bei den Langzeitarbeitslosen kommen sogar 94 Prozent gerade oder gar nicht mit dem Arbeitslosengeld über die Runden – das Geld reicht für viele gerade einmal für die Fixkosten.
Energiearmut effektiv bekämpfen
Im Kampf gegen Energiearmut könnten erhebliche Synergien genutzt werden. Maßnahmen gegen Armut und insbesondere Energiearmut sollten so gestaltet sein, dass sie nicht nur den Betroffenen in ihrer Situation, sondern auch dem Klima helfen. So könnte die Lebensqualität vieler Menschen verbessert werden, indem ihnen der Zugang zu adäquater Energieversorgung ermöglicht wird, und gleichzeitig könnten durch Energieeffizienzmaßnahmen CO2-Emissionen reduziert werden. Auch hier muss es sowohl darum gehen, Menschen effektiv aus der Energiearmut herauszuhelfen und gleichzeitig Maßnahmen zu setzen, die Energiearmut von vornherein vermeiden.
Frauen-Energiearmut – eine energie- und sozialpolitische Gemengelage
In Zeiten der Klimakrise und der damit einhergehenden Energiewende rückt auch die Problematik der Energiearmut immer mehr in den öffentlichen und politischen Fokus. Frauen sind dabei besonders gefährdet, von Energiearmut betroffen zu sein, weil sie zumeist über geringeres Einkommen verfügen, mehr Care-Arbeit leisten (müssen) und auch mit der Ressource Energie anders als Männer umgehen. Derzeit gibt es jedoch kaum Bewusstsein über die Relevanz einer gendersensitiven Analyse von Energiearmut.
Frauen mit Behinderungen: der schwierige Zugang zu Erwerbsarbeit und Existenzsicherung
Die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Behinderungen ist deutlich niedriger als jene von Frauen ohne solche Einschränkungen und auch deutlich niedriger als jene von Männern mit Behinderungen. Damit sind Frauen mit Behinderungen in Österreich in hohem Maße von Armut und Ausgrenzung gefährdet. Frauen mit Behinderungen sind am Arbeitsmarkt mit vielzähligen Ausgrenzungsmechanismen konfrontiert. Um den Arbeitsmarkt für die unterschiedlichen Gruppen von Frauen mit Behinderungen zu öffnen, braucht es daher einen umfassenden Ansatz.
Armut bekämpfen durch eine öffentliche Jobgarantie
Die österreichische Arbeitsmarktpolitik schafft es nicht, Vollbeschäftigung zu garantieren. Darunter leiden Arbeitslose genauso wie Menschen in Unterbeschäftigung. Längere Arbeitslosigkeit führt erwiesenermaßen zu Armut: 72 Prozent aller Langzeitarbeitslosen sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Aktuelle Studien kommen zum Schluss: Eine Jobgarantie kann Armut in Österreich stark verringern.
Armutsmessung durch Referenzbudgets – eine sinnvolle Alternative?
Referenzbudgets können einen guten Einblick geben, wie viel Geld nötig ist, um in zentralen Bereichen nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein. Obwohl sie keine Zahlen dazu liefern, wie viele Personen von Armut betroffen sind, zeigen sie deutlich, dass das derzeitige Niveau der existenzsichernden Leistungen zu niedrig ist und erhöht werden muss, um allen Mitgliedern unserer Gesellschaft Teilhabe zu ermöglichen. Sie leisten so einen sinnvollen und notwendigen Beitrag zur Debatte um Armutsbekämpfung.