Energiearmut muss ernst genommen werden! Die Schwächsten der Gesellschaft dürfen im Übergang von einer von fossilen Energieträgern abhängigen zu einer nachhaltigen Wirtschaft nicht verloren gehen. Deshalb muss die ökologische und die soziale Frage in der Transformation zusammengedacht werden.
Synergiepotenziale beim Kampf gegen Energiearmut
Im Kampf gegen Energiearmut könnte erhebliches Synergiepotenzial genutzt werden. Maßnahmen gegen Armut und insbesondere Energiearmut sollten so gestaltet sein, dass sie nicht nur den Betroffenen in ihrer Situation, sondern auch dem Klima helfen. So könnte die Lebensqualität vieler Menschen verbessert werden, indem ihnen der Zugang zu adäquater Energieversorgung ermöglicht wird, und gleichzeitig könnten durch Energieeffizienzmaßnahmen CO2-Emissionen reduziert werden.
Gerade aufgrund der nutzbaren Synergieeffekte im Kampf gegen die Klimakrise und in der Vermeidung von Armut ist die Suche nach Best-Practice-Beispielen besonders wichtig. Aus diesem Grund wirft die Studie „Die Rolle der Energieversorger bei der Bekämpfung von Energiearmut“ einen Blick auf das Beispiel Wien. Hier wurde nämlich ein institutionalisiertes System etabliert, um betroffenen Haushalten gezielt und nachhaltig helfen zu können. Gemeinnützige Organisationen, Einrichtungen der Stadt Wien sowie die Ombudsstelle des Energieversorgers „Wien Energie“ sind eine Kooperation eingegangen, um bestmögliche Lösungen für Haushalte zu finden, die auf die jeweilige individuelle Situation abgestimmt sind. Im Rahmen der Studie wurden ExpertInnen befragt, die in Wien an der Bekämpfung von Energiearmut beteiligt sind. Dabei wurde einerseits das oben erwähnte Netzwerk für die Bekämpfung von Energiearmut in Wien analysiert und andererseits untersucht, ob die Strategien, die in Wien angewendet werden, die Situation der betroffenen Haushalte auch nachhaltig verbessern konnte.
Was ist Energiearmut?
Energiearmut ist ein komplexes Phänomen, das zumeist auch mit Einkommensarmut zusammenhängt. Sie äußert sich hauptsächlich in zwei Formen. Oft bezeichnet man Haushalte als energiearm, die Schwierigkeiten haben, ihre Energierechnungen zu begleichen. Häufig geht dies – vor allem aufgrund schlecht beheizbaren Wohnraums oder veralteter Haushaltsgeräte – mit überdurchschnittlichem Energiekonsum einher. Die Statistik Austria, zum Beispiel, definiert Haushalte als energiearm, wenn das verfügbare Einkommen unter 60 Prozent des Medianeinkommens liegt (in Österreich lag die Armutsgefährdungsschwelle für einen Einpersonenhaushalt 2019 bei einem Monatseinkommen von netto 1.259 Euro) und gleichzeitig 140 Prozent der durchschnittlichen Energiekosten bezahlt werden müssen. Diese hohen Energiekosten sind für Haushalte mit niedrigsten Einkommen meist nicht vermeidbar, da energieeffizienter Wohnraum und sparsame Geräte für sie schlicht unerschwinglich sind.
Eine zweite Form der Energiearmut wird oft auch als „verdeckte Energiearmut“ bezeichnet. Sie beschreibt Haushalte, die sich in ihrer Lebensqualität einschränken, um hohe Energierechnungen zu vermeiden. Dies bedeutet oft, dass Wohnungen nicht adäquat geheizt werden. Diese Form der Energiearmut ist schwierig zu erheben, denn es gibt keine festgelegte Temperatur für eine adäquat geheizte Wohnung, und die Energiearmut schlägt sich nicht in der Höhe der Energierechnung nieder. Allerdings gaben bei einer Erhebung der Statistik Austria im Jahr 2016 drei Prozent der befragten Haushalte in Österreich an, dass sie ihre Wohnung nicht ausreichend heizen können.
Neben Einkommensarmut und schlechten Lebensbedingungen gibt es oft auch plötzlich auftretende persönliche Probleme, wie Krankheiten, Arbeitslosigkeit oder Trennung vom/von der PartnerIn, die viele Menschen vor schwierigste Situationen stellen. Oft damit verbunden sind auch entscheidende Verluste im Einkommen und die Gefahr, von Energiearmut getroffen zu werden.
Wie kann effektiv aus der Energiearmut herausgeholfen werden?
Mögliche Lösungen setzen sowohl auf individueller als auch auf struktureller Ebene an. Auf individueller Ebene können – wenn das Zahlungsproblem voraussichtlich nur vorübergehend ist – zum Beispiel Energierechnungen gestundet werden. Eine andere Möglichkeit sind Ratenzahlungen. Sie teilen die Rechnung, die meist nur einmal jährlich gestellt wird, auf mehrere Monate auf. Ein hoher Betrag ist für einkommensschwache Haushalte oft nicht auf einmal zu stemmen. Diese Maßnahmen können den kurzfristigen finanziellen Druck für Haushalte erleichtern, lassen aber die Ursachen des Problems unberührt und führen daher oft nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung der Situation, wenn sie nicht mit weiteren Maßnahmen einhergehen.
Energieberatungen helfen dabei, das Problem nachhaltiger anzugehen. EnergieberaterInnen sehen sich die Situation vor Ort an und können Tipps geben, wie das Konsumverhalten in Hinsicht auf Energieeffizienz verbessert werden kann.
Der größte Hebel zur Zurückdrängung von Energiearmut liegt – das verdeutlichen auch die Ergebnisse der Studie – meistens in der Verbesserung der Wohnsituation und beim Gerätetausch. In Wien gibt es die Möglichkeit, dass die Kosten für die Reparatur von Fenstern oder Türen und für den Tausch von großen Geräten (wie Waschmaschinen oder Kühlschränken) für einkommensschwache und von Energiearmut betroffene Haushalte übernommen werden. Das ist wichtig, da sich diese Haushalte solch große Investitionen allein nicht leisten könnten. Durch diese energieeffizienten Maßnahmen können Energiekonsum und somit -kosten erheblich verringert werden, wobei sich gleichzeitig auch die Lebensqualität für die Haushalte verbessert. Überdies tragen solche Unterstützungen dazu bei, den CO2-Ausstoß dieser Haushalte erheblich zu senken.
Wie kann Energiearmut von vornherein vermieden werden?
Die oben beschriebenen Maßnahmen helfen all jenen Haushalten, die schon von Energiearmut betroffen sind. Allerdings tragen sie wenig dazu bei, Energiearmut von vornherein zu verhindern. Die interviewten ExpertInnen betonten daher die Notwendigkeit von strukturelleren Ansätzen. Dazu muss ausreichend thermisch sanierter und energieeffizienter Wohnraum zur Verfügung stehen, der für einkommensschwache Haushalte auch leistbar ist. Oft werden aber nach einer thermischen Sanierung von Gebäuden die Mieten durch die EigentümerInnen erheblich erhöht. ExpertInnen empfehlen deshalb, gezielt eingesetzte Subventionen für Renovierungen an die Auflage gleichbleibender Mieten zu koppeln. Außerdem sollten weiterhin und verstärkt auch Gemeindewohnungen und Sozialbauten renoviert und thermisch saniert werden.
Eine weitere Problematik – auch das zeigt die Studie – liegt in der Vielzahl von befristeten Mietverträgen. Die Befristung von Mietverträgen hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen und ist in Städten verbreitete Normalität. Oft leben Haushalte, die von Energiearmut betroffen sind, in Wohnungen mit befristeten Mietverträgen. In solchen Mietverhältnissen ist es für MieterInnen noch schwieriger, von ihren Rechten Gebrauch zu machen und bestimmte Maßnahmen einzufordern, die ihnen eigentlich zustehen – zum Beispiel bei der Reparatur von Fenstern oder beim Tausch von veralteten Heizgeräten. Die MieterInnen sind hier die Schwächsten. Oftmals werden sie hingehalten und verfügen kaum über Chancen, zu ihrem Recht zu kommen. Außerdem leben sie damit in der Sorge, dass ihr Vertrag dann nicht verlängert wird. Bei der Bekämpfung von Energiearmut gilt es daher auch, die Rechte von MieterInnen zu stärken und die Zahl der befristeten Mietverträge wesentlich zu reduzieren.
Was wird in Wien gegen Energiearmut unternommen? – Ein Fallbeispiel
Einkommensschwache Haushalte, die sich mit finanziellen Engpässen konfrontiert sehen, können Unterstützung im Rahmen der „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ – ein Programm der Stadt Wien erhalten. Ein Teil dieses Programms ist die Wiener Energieunterstützung, die sich der Sorgen energiearmer Haushalte annimmt. Sie ist im Magistrat für Soziales und Gesundheit (MA 40) angesiedelt und bietet Energieberatungen an. Die Stadt Wien (das Magistrat für Energie, MA 20) übernimmt dabei die Kosten für energiearme Haushalte, sowohl für die Beratung als auch für die im Nachhinein empfohlenen Maßnahmen, bis hin zu Installation von Fernwärme. Eine Besonderheit der Wiener Energieunterstützung ist die enge Zusammenarbeit mit dem kommunalen Energieversorger Wien Energie.
Die Wien Energie unterhält eine eigene Ombudsstelle, die von KundInnen im Falle von Zahlungsschwierigkeiten kontaktiert werden kann. Ein Team von SozialarbeiterInnen sucht dann gemeinsam mit den KundInnen nach Lösungen. Es können Ratenzahlungen oder Stundungen von Rechnungen vereinbart werden. Betroffene Haushalte wenden sich allerdings meistens zuerst an die Magistratsabteilung 40 oder an eine andere soziale Einrichtung, wie zum Beispiel die Caritas. In diesem Fall vereinbaren die SozialarbeiterInnen der Caritas oder MA 40 mit der Ombudsstelle individuelle Ratenzahlungen oder Stundungen für deren KundInnen. Die unten stehende Grafik beschreibt die verschiedenen Wege, auf denen Haushalte in Wien Hilfe erhalten können.
Die Ombudsstelle von Wien Energie arbeitet außerdem eng mit den ExpertInnen der „Umweltberatung“ zusammen, die die Energieberatungen für die MA 40 durchführen. Die Ombudsstelle verfügt über Verbrauchsdaten, die sie den an der Bekämpfung von Energiearmut zusammenarbeitenden Institutionen in Wien beim regelmäßigen Informationsaustausch zur Verfügung stellt. Die Ombudsstelle wiederum berät und informiert die anderen Organisationen zum Beispiel über neue Entwicklungen in der Energieversorgung oder ihrer Rechnungsstellung. Diese institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen der Stadt Wien, einem Energieunternehmen und sozialen Einrichtungen ist einzigartig in Österreich und kann jedenfalls als Best-Practice-Beispiel dienen.