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Fehlende Definition von Energiearmut erschwert empirische Messung …
Trotz der Beschäftigung mit Energiearmut in öffentlichen und akademischen Kreisen ist immer noch unklar, was genau unter Energiearmut zu verstehen ist und wie sie empirisch gemessen werden soll. Grund dafür ist das Fehlen einer allgemein anerkannten Definition bzw. das Vorhandensein mehrerer unterschiedlicher Definitionen, die jeweils auf unterschiedliche Dimensionen fokussieren.
Grundsätzlich kann zwischen zwei Ansätzen zur Messung unterschieden werden:
1) wenn der notwendige Bedarf zur Nutzung von Energie nicht oder nur unzureichend abgedeckt werden kann,
2) wenn der Bedarf an Energie nur zu überproportional hohen Kosten und gleichzeitig durch Aufwendung eines hohen Anteils des Einkommens gedeckt werden kann.
Beide Ansätze decken unterschiedliche Dimensionen von Energiearmut ab: einerseits, ob die benötigte Menge an Energie überhaupt konsumierbar ist (oder ob beispielsweise die Ausgaben für Energie nur deswegen gering sind, weil der angemessene Bedarf unfreiwillig reduziert und damit auf den eigentlich benötigten Konsum verzichtet wird), und andererseits, inwieweit durch den Konsum von Energie finanzielle Belastungen entstehen.
Auswertungen der Statistik Austria auf Basis von EU-SILC-Daten zeigen, dass im Jahr 2016 knapp
drei Prozent der österreichischen Haushalte nicht in der Lage waren, ausreichend Energie zu konsumieren, um ihre Wohnung angemessen warm halten zu können. Armutsbetroffene Personen lagen mit neun Prozent noch deutlich darüber. Das bedeutet, dass 2016 rund 230.000 Personen bzw. 110.000 Haushalte angaben, weniger Energie einzusetzen, als sie eigentlich benötigen würden – zumindest für Wärme. Für Strom und Warmwasser gibt es dazu derzeit keine statistischen Daten.
Ebenso wertete die Statistik Austria auf Basis des Mikrozensus Energie 2015/16 und EU-SILC Daten aus, wie viele armutsbetroffene Haushalte für Energie Ausgaben tätigten, die höher als 140 Prozent des Medians der gesamten Energiekosten aller Haushalte waren. Im Jahr 2016 waren dies 3,1 Prozent bzw. 117.100 Haushalte, die mit überdurchschnittlich hohen Energiekosten konfrontiert waren.
Wichtig ist allerdings, noch weitere Indikatoren heranzuziehen, um Energiearmut umfassend beschreiben zu können.
Das European Energy Poverty Observatory (EPOV), eine Initiative der Europäischen Kommission zur Unterstützung der Mitgliedsstaaten im Kampf gegen Energiearmut, schlägt dazu in Summe 28 Indikatoren vor. Diese gliedern sich in vier primäre und 24 sekundäre Indikatoren.
Zu den primären Indikatoren zählen die Unmöglichkeit des Warmhaltens der Wohnung, ein hoher Anteil an Energiekosten am Haushaltseinkommen, Zahlungsrückstände bei Haushaltsenergie (Strom, Wasser, Heizung) sowie niedrige absolute Energieausgaben („versteckte“ Energiearmut).
In den sekundären Indikatoren finden sich beispielsweise Energiepreise für unterschiedliche Energieträger, die Wohnungsausstattung (Gebäudebeschaffenheit, Geräte, Anzahl der verfügbaren Zimmer) oder auch das Vorhandensein von Schimmel oder Feuchtigkeit in der Wohnung wieder.
EPOV betont auch explizit, Energiearmut sei ein multidimensionales Konzept, das nicht mit einem einzelnen Indikator abgebildet werden kann: „Energy poverty a multi-dimensional concept that is not easily captured by a single indicator. Our approach to measuring energy poverty has been to use a suite of indicators, which should be viewed and used in combination.”
Für Österreich zeigen die Daten aus EU-SILC 2018 folgendes Bild: 174.000 Personen gaben an, Zahlungsrückstände bei den Wohnnebenkosten zu haben. Besonders häufig betraf dies niedrige Einkommensgruppen sowie AlleinerzieherInnenhaushalte. Daten hinsichtlich niedriger absoluter Energiekosten sind schwierig zu erheben und zu interpretieren, da Gründe für die geringen Energiekosten mitbedacht werden müssen: Sind diese aufgrund von effizientem Energieeinsatz zustande gekommen oder weil (bewusst) auf den Konsum von Energie verzichtet wurde? Letzteres würde auf verdeckte Energiearmut hinweisen. Diesbezüglich müssten statistische Auswertungen erst vorgenommen werden.
… aber auch Festlegung von politischen Maßnahmen
Erschwert wird durch das Fehlen einer Definition nicht nur die (statistische) Messbarkeit, sondern auch die Festlegung konkreter Maßnahmen zur Bekämpfung von Energiearmut. Politischer Handlungswille ist meist erst dann gegeben, wenn ein Problem in einer gewissen Größenordnung messbar ist. Gleichzeitig jedoch bestimmt gerade bei Energiearmut auch die Politik, wer überhaupt als betroffen anerkannt wird (eben abhängig davon, wie Energiearmut definiert wird) und somit die Größe des Problems.
Eines ist jedoch klar: Unabhängig von jeglicher Größenordnung kann Energiearmut nicht allein mit allgemeinen Instrumenten der Armutsbekämpfung gemildert werden. Es braucht ebenso treffsichere energiepolitische Maßnahmen, um eine nachhaltige Verringerung zu ermöglichen. Vor allem Energieeffizienzmaßnahmen sind hierbei eines der wirksamsten Instrumente gegen Energiearmut. Denn effizienter und geringerer Energieverbrauch – z. B. durch thermische Sanierung von Gebäuden oder den Einsatz effizienter Heizungssysteme – hilft die Energiekosten nachhaltig zu reduzieren. Doch dazu müssen endlich konkrete Handlungsstrategien entwickelt und umgesetzt werden. Österreich ist durch das EU-Energiepaket „Clean Energy for all Europeans“ auch verpflichtet, nicht nur Maßnahmen zu entwickeln, sondern auch festzustellen, was Energiearmut im österreichischen Kontext bedeutet, wie sie definiert werden kann und welche Auswirkungen sie für die betroffenen Personen hat. Passiert ist bis dato jedoch bemerkenswert wenig. Auch der derzeit vorliegende Nationale Energie- und Klimaplan liefert wenig neue Erkenntnisse. Energiearmut wird darin weiterhin nur eindimensional erfasst und auf hohe Energiekosten reduziert, konkrete Maßnahmen werden nicht genannt.
Es besteht Handlungsbedarf: Energiearmut mehrdimensional denken
Die Bekämpfung von Energiearmut stellt vor allem deshalb eine Herausforderung dar, weil sie in der Schnittmenge von Sozial- und Energiepolitik angesiedelt ist. Denn durch die alleinige Erhöhung von Einkommenstransfers kann Energiearmut nicht nachhaltig bekämpft werden: Grund dafür ist, dass Energiearmut eben nicht allein auf Einkommensarmut reduzierbar ist, wie oben gezeigt wurde. Transfers können bei verschiedenen Haushalten (stark) unterschiedliche Auswirkungen haben, abhängig davon, wie beispielsweise die Energieeffizienz des Gebäudes beschaffen ist. Daher müssen immer auch energiepolitische Maßnahmen, wie z. B. thermische Sanierungen, effiziente Haushaltsgeräte, Heizungsanlagen oder Kühlung in einen Maßnahmenkatalog mitaufgenommen werden.
Auch im Zusammenhang mit Maßnahmen gegen die Klimakrise muss Energiearmut einen zentralen Platz einnehmen, wenn diese verteilungsgerecht gestaltet werden soll. Jenen Haushalten, die bereits im jetzigen System Schwierigkeiten haben, ihren Energiebedarf decken zu können, muss ebenso ermöglicht werden, an technischen Neuerungen und Innovationen teilhaben zu können. Erneuerbare Energie muss auch für (energie-)armutsbetroffene Haushalte zugänglich und leistbar sein.
Klar ist damit aber auch, dass eine einheitliche und allgemein anerkannte Definition von Energiearmut benötigt wird, um treffsichere Maßnahmen entwickeln zu können. Wichtige Indikatoren wie (niedrige) Einkommen, (erhöhte/steigende) Energiekosten bzw. -preise, der Energieverbrauch oder auch die Beschaffenheit von (Wohn-)Gebäuden müssen neben den Möglichkeiten von Betroffenen hinsichtlich ihres Zugangs zu Energie und dem Kühlen bzw. Warmhalten von Wohnräumen berücksichtigt werden.
Energiearmut muss mehrdimensional gedacht, definiert und gemessen werden – auch wenn dies die Öffentlichkeit, Forschung und Politik vor große Herausforderungen stellt. Nur so kann das Phänomen ganzheitlich erfasst werden – und darauf basierend müssen treffsichere und nachhaltige Lösungsstrategien entwickelt werden.