Frauen mit Behinderungen: der schwierige Zugang zu Erwerbsarbeit und Existenzsicherung

26. Januar 2021

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen mit Behinderungen ist deutlich niedriger als jene von Frauen ohne solche Einschränkungen und auch deutlich niedriger als jene von Männern mit Behinderungen. Damit sind Frauen mit Behinderungen in Österreich in hohem Maße von Armut und Ausgrenzung gefährdet. Die Ausschlussmechanismen, denen Frauen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt ausgesetzt sind, die damit verbundene soziale Exklusion und die ungenügende finanzielle Existenzsicherung waren auch zentrale Themen eines partizipativen Forschungsprojektes zu den Lebenslagen von Frauen mit Behinderungen in Wien.

Die Studie: Frauen mit Behinderung selbst zu Wort kommen lassen

Ausgangspunkt des Beitrags ist ein Forschungsprojekt, das zum Thema Frauen mit Behinderungen in Wien im Auftrag des Frauenservice der Stadt Wien (MA 57) durchgeführt wurde. Ziel dieses Projekts war, mit einem explorativen und partizipativen Ansatz mehr über die Lebenssituation von in Wien lebenden Frauen mit Behinderungen zu erfahren, da in diesem Bereich große Lücken in der Daten- und Forschungslage bestehen. Dreh- und Angelpunkt des Forschungsvorhabens war die enge Zusammenarbeit mit acht Peer-Expertinnen, also mit Frauen, die selbst eine Behinderung haben. Mit ihnen gemeinsam wurden acht Fokusgruppen durchgeführt mit:

  • blinden Frauen/Frauen mit Sehbeeinträchtigungen,
  • Frauen mit Lernschwierigkeiten,
  • Frauen mit fortschreitenden chronischen Erkrankungen,
  • Frauen mit Down-Syndrom,
  • Müttern von behinderten/pflegebedürftigen Kindern (unter 14 Jahren),
  • Frauen mit körperlichen Beeinträchtigungen/Frauen im Rollstuhl,
  • Frauen mit psychischen Erkrankungen sowie gehörlose Frauen/Frauen mit Gehörbeeinträchtigungen.

Die Fokusgruppen wurden so angelegt, dass die Teilnehmerinnen aus einer breiten Palette jene Themen wählen konnten, die sie für sich relevant fanden bzw. konnten sie auch zusätzliche Themen einbringen. Insgesamt nahmen 76 Frauen an der qualitativen Forschung teil.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Trotz aller Unterschiede: Erwerbsarbeit, Existenzsicherung und Altersarmut als zentrale Themen

Ein Thema, das trotz der großen Unterschiedlichkeit der Teilnehmerinnen in allen Fokusgruppen aufgegriffen und intensiv diskutiert wurde, war die Frage des (fehlenden) Zugangs zur Erwerbsarbeit und der Ermöglichung oder Nicht-Ermöglichung einer eigenständigen Existenzsicherung.

Darüber hinaus war auch Altersarmut ein großes Thema in einem Teil der Gruppen.

Folgende zentrale Aspekte wurden diskutiert:

  • enges Spektrum an Ausbildungsmöglichkeiten und fehlender Zugang zu einer breiten Palette von Ausbildungen,
  • schwieriger Zugang zum Arbeitsmarkt,
  • Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit im öffentlichen Bereich,
  • niedriges Einkommen aufgrund der fehlender Karrieremöglichkeiten bzw. der Arbeit in weniger gut bezahlten Bereichen aufgrund von Doppel- und Dreifachbelastung und/oder der Tatsache, dass nicht immer in vollem Stundenausmaß oder nicht regelmäßig gearbeitet werden kann,
  • spezifische Situation im Rahmen der Werkstätten (sprich der sogenannten Tagesstruktur),
  • hohe Abhängigkeit von Partner*innen, Eltern und/oder Transferleistungen.

Schwieriger Zugang zum Arbeitsmarkt – erst recht in Zeiten der Krise

Wie vom Österreichischen Behindertenrat dokumentiert wurde, ist die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung im Zeitraum von 2007 bis 2017 um 139 Prozent gestiegen und befand sich 2019 am höchsten Stand seit deren statistischer Erfassung. Die allgemeine Erwerbsquote lag im Jahr 2018 bei 77 Prozent, während lediglich 56 Prozent der Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter erwerbstätig bzw. arbeitssuchend waren. Während in diesem Zeitraum die allgemeine Arbeitslosigkeit sank, stieg sie unter Menschen mit Behinderungen seit Beginn des Jahres 2019 wieder an. Über den Zeitraum seit Ausbruch der Corona-Pandemie im letzten Jahr sind keine aktuellen Zahlen bekannt, aber es ist anzunehmen, dass es bei steigender Arbeitslosigkeit für Menschen mit Behinderungen zusätzlich schwer sein wird, einen Arbeitsplatz zu finden.

Auch in den Fokusgruppen wurden von mehreren Frauen von einer langen, oft erfolglosen Arbeitsuche berichtet. Viele erleben die Vorurteile seitens der Betriebe gegenüber Frauen mit Behinderung und die große Frustration, auch nach oftmaligen Bewerbungen keine Antworten zu erhalten. Seitens der öffentlichen Hand fehlt es an Ideen und an Ansätzen, wie Betriebe motiviert werden können, Frauen mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu beschäftigen. Etwa könnten breite Kampagnen auf die Motivation und gute Ausbildung von Frauen mit Behinderung aufmerksam machen.

Auch vom Arbeitsmarktservice (AMS) wünschten sich die Studienteilnehmerinnen mehr Unterstützung und weniger „Hilflosigkeit des AMS gegenüber Menschen mit Behinderung“. Vor allem Mütter von pflegebedürftigen Kindern erleben wenig Unterstützung und werden als nicht vermittelbar seitens des AMS wahrgenommen.

Öffentlicher Bereich als wichtigster Arbeitgeber

Fast 60 Prozent der Teilnehmerinnen der Fokusgruppen waren erwerbstätig, der Großteil auf dem regulären Arbeitsmarkt im öffentlichen Sektor. Die Frauen erleben die Arbeitswelt sehr unterschiedlich, und das Spektrum bewegte sich zwischen „zu beschützt“ und „überfordernd“.

Viele Frauen äußerten sich sehr positiv über ihren Arbeitsplatz und ihre Arbeit, vor allem wenn eine gewisse Bereitschaft der KollegInnen und Vorgesetzten erkennbar war, sich auf ihre Bedürfnisse einzustellen, und wenn mit Unterstützung von Hilfsmitteln ein guter Zugang zur eigenständigen Erwerbsarbeit ermöglicht wurde. Beispielsweise erlebten sehbeeinträchtigte oder blinde Frauen den Einsatz technischer Hilfsmittel als hilfreich und hoben positiv hervor, dass diese in der Regel auch relativ problemlos bewilligt werden. Gehörlose Frauen berichteten von Sensibilisierungsmaßnahmen für KollegInnen und Vorgesetzte, die sie sehr positiv erlebten.

Vor allem jene Frauen mit Feststellungsbescheid als begünstigt Behinderte sahen sich aber oftmals einer „Überbemutterung“, wie es eine Teilnehmerin nannte, ausgesetzt. So würde häufig das Gefühl vermittelt, als Erwerbstätige nicht ernst genommen zu werden, selbst wenn voller Einsatz gebracht werde, und dadurch kaum Karrierechancen zu haben.

Andere Frauen erlebten umgekehrt, dass sie mit den anderen mithalten oder sogar noch mehr leisten müssen, um „für voll genommen“ zu werden. Dieses Verhalten könne schnell mit einer Überforderung einhergehen, da der Arbeitsmarkt immer schneller werde. Generell wird wenig Rücksichtnahme auf spezifische Bedürfnisse wahrgenommen, weshalb von einem großen Anpassungsdruck an die „Norm“ berichtet wurde.

Insgesamt betonten aber alle Frauen, gerne erwerbstätig zu sein und die Arbeit als notwendig anzusehen, um eine eigenständige Existenz aufbauen zu können.

Angebote beruflicher Aus- und Weiterbildung für spezifische Gruppen fehlen

Der Zugang zu beruflicher Aus- und Weiterbildung wurde besonders intensiv in der Gruppe der Frauen mit Lernschwierigkeiten sowie Down-Syndrom angesprochen. Von diesen Frauen wurde ein großes Manko an zugänglichen, niederschwelligen Ausbildungen genannt. Manche der Teilnehmerinnen hatten sehr konkrete Vorstellungen, was sie gerne machen würden – beispielsweise eine Ausbildung zur Heimhelferin. Ein Vorschlag lautete, Ausbildungen für Menschen mit Lernschwierigkeiten in Kursen anzubieten, die über einen längeren Zeitraum angeboten werden, also solche, in denen „alles etwas langsamer geht“, oder aber die Unterstützung durch LernunterstützerInnen anzubieten, damit „nachgelernt“ werden kann. Generell wird ein Mangel an Kursangeboten für Ausbildungsformen mit entsprechenden Konzepten für spezifische Gruppen gesehen. Generell wird das enge Korsett möglicher Ausbildungen für Frauen mit Behinderung auch in anderen Studien angesprochen.

Doppelbelastung mit Beruf und Familie – und dann noch Arztbesuche und Therapien

„Auch wenn es viel ist, aber trotzdem nimmt man das auch noch in Kauf, weil man möchte arbeiten gehen“ (Teilnehmerin der Fokusgruppe „Mütter von pflegebedürftigen Kindern“).

Die Doppel- oder eigentlich Dreifachbelastung durch Beruf und Familie trifft Frauen mit Behinderungen in besonderem Ausmaß, da die organisatorischen Tätigkeiten rund um Kinderbetreuung und Schule, Arztbesuche und Nutzung von Therapieangeboten eine zusätzliche zeitliche Belastung darstellen. In diesem Zusammenhang wären zusätzliche Urlaubs- und/oder Pflegetage hilfreich, um den Mehraufwand zu kompensieren.

Besondere Barrieren beim Zugang zum Arbeitsmarkt wurden auch in der Gruppe der Mütter von behinderten/pflegebedürftigen Kindern thematisiert. Durch den besonderen Aufwand bei der Kinderbetreuung sehen sich diese Frauen oft damit konfrontiert, entweder gar keine Möglichkeiten auf einen Arbeitsplatz zu bekommen oder einen Arbeitsplatz unter ihrer Qualifikation, da auf die zeitlichen Anforderungen seitens der Arbeitgeber kaum eingegangen werde.

Arbeit in Tagesstrukturen/Werkstätten: geschätzt, aber auch einengend

Vor allem für Frauen mit psychischen Beeinträchtigungen, Lernschwierigkeiten und Down-Syndrom ist ein Zugang zu regulärer Erwerbsarbeit schwierig, und daher wird häufig eine Tätigkeit in einer Tagesstruktur ausgeübt. Über die Tätigkeit selbst und auch den Kontakt mit anderen – z. B. KollegInnen, Betreuungspersonal oder KundInnen – wird in erster Linie sehr positiv berichtet.

Kritischer wird gesehen, dass das sogenannte monatliche „Taschengeld“ zu gering sei. Die Höhe des Taschengeldes wurde von den Teilnehmerinnen mit Beträgen zwischen 42 und 70 Euro monatlich angegeben. Zudem werden die Strukturen in den Werkstätten einengend erlebt: So gibt es selten die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten, bei den Beginn- und Endzeiten gibt es keine Mitsprache, und insgesamt werden kaum Mitgestaltungsmöglichkeiten wahrgenommen. Kritisiert wurde zudem der Verlust des Platzes in einer Tagesstruktur bei längeren Fehlzeiten, selbst aufgrund von Krankheit oder Rehabilitation – ein Befund, der auch in anderen Forschungsergebnissen zu finden ist.

Schwierigkeiten beim Erwerbseinkommen und die Angst vor der Altersarmut

Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung einer existenzsichernden Erwerbsarbeit für die Absicherung der eigenen Existenz wurden unterschiedliche Problembereiche adressiert: Einerseits wurde es als Manko angesehen, dass keine flexible Abstufung zwischen Erwerbsarbeit und Transferleistungen besteht. Viele Leistungen sind mit der Auflage verknüpft, kein Erwerbseinkommen zu erzielen.

Wenn aber nur eine Teilzeitbeschäftigung oder unregelmäßige Teilnahmen am Arbeitsmarkt möglich seien, müsse man entscheiden, ob man Erwerbsarbeit leisten und damit empfindliche monetäre Einbußen in Kauf nehmen wolle oder ob man nicht erwerbstätig sei. Generell wurde in einigen Gruppen die Angst vor Altersarmut thematisiert und festgestellt, dass die bereits schwierige finanzielle Situation während der Phase der Erwerbstätigkeit sich vermutlich in der Pension weiter verschärfen wird.

Ein inklusiver Arbeitsmarkt: Sensibilisierung, Unterstützungsstrukturen und neue Formen der sozialen Absicherung

Frauen mit Behinderungen sind am Arbeitsmarkt mit vielzähligen Ausgrenzungsmechanismen konfrontiert. Um den Arbeitsmarkt für die unterschiedlichen Gruppen von Frauen mit Behinderungen zu öffnen, braucht es daher einen umfassenden Ansatz (siehe auch: Strategische Vorschläge für einen inklusiven Arbeitsmarkt). Damit die vielfältigen Potenziale von Frauen mit Behinderungen anerkannt werden, ist ein Sichtbarmachen und eine Entstigmatisierung zum Abbau der immer noch vorhandenen Vorurteile und Abwertungen eine wichtige Grundlage – dazu gehören auch die Sensibilisierung von Unternehmen und arbeitsmarktpolitische Kooperationen mit Unternehmen.

Auch wenn es für Jugendliche im Rahmen der NEBA-Angebote mittlerweile recht gut ausgebaute Unterstützungsstrukturen gibt, sind wir von einem inklusiven Bildungssystem weit entfernt. Vollzeitarbeit ist für die meisten aufgrund der Behinderung nicht möglich, und aus Teilzeitarbeit resultiert meist nur eine unzureichende finanzielle Absicherung. Ein großes Anliegen besteht daher darin, dass Transferleistungen je nach Erwerbsarbeitsausmaß nicht verloren gehen, sondern flexibel abgestuft werden, etwa in Form von finanziell unterstützten Teilzeitmodellen.

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