In einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) wurden die Ergebnisse der Privatisierungen von Pensionssystemen vor allem in Lateinamerika und Osteuropa untersucht. Das Urteil fällt vernichtend aus: massiv reduzierte Leistungsniveaus, enorm hohe Verwaltungskosten, Verschiebung aller Risiken zu den Versicherten. Profitiert hat nur der Finanzsektor.
Pensionspolitischer Mainstream auf Abwegen
Der Startschuss des radikalen Experiments der Pensionsprivatisierung fiel 1981 in Chile. Unter der Militärdiktatur Pinochets wurde das Land unter Federführung der „Chicago Boys“ zum Versuchslabor für die neoliberale Wende. Bezeichnenderweise blieb das Militär selbst im staatlichen System und damit von der Pensionsprivatisierung verschont. Unter tatkräftiger Mitwirkung der Weltbank folgte eine Vielzahl weiterer Länder.
Seit gut drei Jahrzehnten wird rund um den Globus unter Hinweis auf die demografische Entwicklung Stimmung gegen öffentliche umlagefinanzierte Pensionssysteme und für mehr private kapitalbasierte Vorsorge und damit für die Veranlagung von Pensionskapital auf den Finanzmärkten gemacht. Dabei spielte neben der Finanzindustrie vor allem die Weltbank eine zentrale Rolle. Aber auch die OECD und die EU-Kommission haben kaum eine Möglichkeit ausgelassen, aus der Bevölkerungsalterung eine angeblich drohende Unfinanzierbarkeit öffentlicher Pensionssysteme abzuleiten und auf den Ausbau kapitalbasierter Vorsorgesysteme zu drängen.
Unter dem Schlagwort der finanziellen Nachhaltigkeit trat die Sicherstellung angemessener Alterseinkommen zunehmend in den Hintergrund und die möglichst weitgehende Beschränkung oder gar Reduktion des BIP-Anteils der öffentlichen Pensionsausgaben wurde zur Priorität. Nicht angesprochen wurden demgegenüber Themen wie die (äußerst fragwürdige) Nachhaltigkeit der Finanzmärkte oder wer die (sehr hohen) Kosten für den empfohlenen Ausbau privater und betrieblicher Vorsorgesysteme tragen soll.
Die Gleichsetzung finanzieller Nachhaltigkeit mit einer Reduktion öffentlicher Pensionsausgaben ist zumindest in zweifacher Hinsicht widersinnig:
Ziel angemessener Alterseinkommen in den Hintergrund gedrängt
Erstens muss klar sein, dass die nachhaltige Sicherstellung angemessener Alterseinkommen die zentrale pensionspolitische Zielsetzung auch unter sich deutlich ändernden (demografischen) Rahmenbedingungen ist und bleibt. Klarerweise spielt dabei auch die finanzielle Nachhaltigkeit – also dass heutige Leistungsversprechen auch in Zukunft eingelöst werden können – eine (wichtige) Rolle. Die immer wieder auftauchende platte Forderung nach einem Einfrieren oder gar einer Reduktion der relativen öffentlichen Pensionsausgaben lässt sich daraus aber sicher nicht ableiten. Finanzielle Nachhaltigkeit eines Pensionssystems ist vielmehr ein politisches Konzept, das ohne Berücksichtigung der zentralen pensionspolitischen Zielsetzung, d.h. angemessene Alterseinkommen, auch für die heute Jüngeren, keinen Sinn ergibt. Und angesichts des erwarteten massiven Anstiegs der Zahl der (dann) Älteren erscheint es nicht zuletzt unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit geboten, dass künftig für eine deutlich größere Zahl an Älteren zumindest ein etwas größerer Anteil am insgesamt „verfügbaren Kuchen“ reserviert werden sollte.
Kosten- und Risikoverschiebung kein Beitrag zur Nachhaltigkeit
Zweitens ist durch das Zurückdrängen der öffentlichen Systeme zugunsten privater „Kapitaldeckung“ und der damit einhergehenden Verlagerung von Risiken und Kosten auf die Individuen für die Nachhaltigkeit nichts zu gewinnen. Ein angestrebtes Sicherungsniveau lässt sich durch Privatisierung nicht günstiger erreichen, erfahrungsgemäß führt diese vielmehr zu deutlich steigenden Kosten und Risiken. Auch gegenüber demografischen Verschiebungen erscheinen kapitalbasierte Systeme nur bei oberflächlicher Betrachtung resistenter. Bei näherer Betrachtung weisen öffentliche umlagefinanzierte Systeme im Kontext des bevorstehenden demografischen Wandels sogar wesentliche Vorteile auf.
Die Überbewertung der Bedeutung der demografischen Entwicklung und der Glaube, durch Kapitaldeckung auf der Makroebene für die Alterung vorsorgen zu können, verstellt letztlich den Blick auf sinnvolle Lösungsstrategien. Tatsächlich sagt die Altersstruktur und das zahlenmäßige Verhältnis von Älteren zu Personen im erwerbsfähigen Alter alleine relativ wenig über den in einer Gesellschaft bestehenden Transferbedarf aus. Maßgeblich ist vielmehr die Relation zwischen Transferabhängigen und Erwerbstätigen – die ökonomische Abhängigkeitsquote – und diese wird ganz entscheidend vom Ausmaß der Erwerbsintegration und der Arbeitsmarktentwicklung mitbestimmt. Eine Gesamtstrategie, die auf eine deutlich verbesserte Erwerbsintegration in allen Erwerbsaltersgruppen unter fairen Bedingungen abzielt, stellt sozialpolitisch und ökonomisch betrachtet die bei weitem beste Strategie für eine sinnvolle Bewältigung der demografischen Herausforderungen dar. Die bloße Umstellung der Finanzierungsstruktur von Pensionssystemen leistet hierfür keinen Beitrag.
ILO-Studie zieht vernichtende Bilanz und bietet Hilfestellung für Umkehrprozess
Der Pensionsprivatisierung standen nicht zuletzt ExpertInnen der ILO von Anfang an äußerst kritisch gegenüber. Ausgehend von in ILO-Standards und UN-Deklarationen festgeschriebenen originären Zielen von Alterssicherungssystemen und den für deren Ausgestaltung vereinbarten Prinzipien wurde eindringlich vor den Gefahren für die Betroffenen gewarnt.
In einem ausführlichen, Fallstudien von 15 Ländern umfassenden Bericht hat die ILO nunmehr die bisherigen Entwicklungen eingehend analysiert. Die Bilanz der Pensionsprivatisierung fällt vernichtend aus: Die Rentenhöhen verfielen, teilweise dramatisch. Die reduzierten Leistungsniveaus verfehlen in aller Regel die ILO-Mindeststandards (deutlich) und führten zu steigender Altersarmut. Niedrige Leistungshöhen waren nicht zuletzt die Folge der sehr hohen von den gewinnorientierten Pensionsfonds und Versicherungen in Rechnung gestellten Kosten. Anders als oft behauptet führte der vermeintliche Wettbewerb zwischen den Anbietern wenig überraschend nicht zu einer Dämpfung, sondern zumeist zu einem exorbitanten Anstieg der Kosten (siehe die Tabelle unten). In allen untersuchten Ländern kam es zu deutlichen Marktkonzentrationen, oft mit einer Dominanz großer ausländischer Finanzinstitute. Demgegenüber stagnierten die Abdeckungsraten bzw. waren sogar überwiegend rückläufig, die Geschlechter- und Einkommensungleichheit stieg und der soziale Dialog wurde zurückgedrängt.