Licht und Schatten bringt ein Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit Europas, den der frühere EZB-Chef Mario Draghi im Auftrag der EU-Kommission erstellt hat. Neben positiven Aspekten wie der Schaffung einer EU-Industriestrategie und einer Investitionsoffensive gibt es auch Vorschläge, die Arbeitnehmer:innenvertretungen in höchstem Maße alarmieren: Über den „Gold Plating“-Ansatz stellt der Bericht Standards für Beschäftigte infrage, die über die in EU-Vorschriften vorgesehenen Minimumregeln hinausgehen. Die weiteren Schritte der Kommission müssen daher mit Argusaugen verfolgt werden.
Ein fortschrittlicherer Ansatz zur Wettbewerbsfähigkeit
Im Vergleich zu den bisher verfolgten Ansätzen, die in aktuellen Diskussionen zur Wettbewerbsfähigkeit noch häufig auf Exportorientierung und Lohndumping setzen, schlägt Mario Draghi einen neuen Weg ein. Sein Fokus liegt klar auf Investitionen und Innovationen, die sowohl die Produktivität steigern als auch die ökologische Transformation unterstützen sollen. Dies ist ein erfreulicher Paradigmenwechsel, auch wenn klar ist, dass der Großteil seiner Vorschläge auf orthodoxer Ökonomik und angebotsseitigen Maßnahmen beruht.
Doch so vielversprechend der Bericht in diesen Bereichen auch klingt, so sind leider auch erhebliche Schwachstellen festzustellen. Während Draghi den globalen Wettbewerb Europas mit den USA und China analysiert, bleibt er letztlich im engen Korsett des materiellen Wohlstandsdenkens gefangen. Sein Bericht kratzt nur an der Oberfläche sozialstaatlicher Errungenschaften in Europa, ohne sie ausreichend in die Betrachtung einzubeziehen. Die entscheidende Verbindung zwischen sozialem, ökologischem und ökonomischem Wohlstand bleibt aus. Ein umfassender Sozialstaat und ökologische Nachhaltigkeit scheinen für Draghi eher Folgeerscheinungen von Wirtschaftswachstum zu sein, statt integrale Bestandteile einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft.
Soziale Inklusion als Wettbewerbsfaktor?
Positiv anzumerken ist jedoch, dass Draghi den europäischen Sozialstaat und die Fähigkeiten der Beschäftigten als grundlegend für die Wettbewerbsfähigkeit Europas hervorhebt. Auch wenn konkrete Vorschläge fehlen, wie ein gerechter Wandel („Just Transition“) gelingen kann, ist diese Erkenntnis ein Schritt in die richtige Richtung. Insbesondere der Gedanke, dass preisliche Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern soziale Inklusion und Innovation, zeigt, dass sich hier eine neue Perspektive auf die ökonomischen Herausforderungen der Zukunft abzeichnet.
Die Ausrichtung auf soziale und ökologische Aspekte ist jedoch bei Weitem zu wenig ausgeprägt. Draghis Bericht verharrt in den Begriffen der Mainstream-Ökonomik und stellt Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit weiterhin als Vorbedingungen für ökologische und soziale Fortschritte dar. Das führt auch zu einer Abschwächung des europäischen Green Deals. Aus Sicht der Arbeitnehmer:innen und des sozialen Fortschritts ist dies bedenklich, da es die EU auf den Weg zu einer reinen Spar- und Wettbewerbsunion führt – ein Ansatz, der soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz ausblendet.
„Gold Plating“-Ansatz lässt Alarmglocken schrillen
Alarmierend sind insbesondere die Vorschläge, die als „Gold Plating“-Ansatz bezeichnet werden und die im glatten Widerspruch zum Bekenntnis zu einer sozialen Union stehen: Laut diesem Ansatz sollen jene nationalen Standards, die über die Minimalvorgaben auf EU-Ebene hinausgehen, im besten Falle gestrichen werden. Im äußersten Fall würde das zu einem Kahlschlag bei den in Österreich wesentlich fortschrittlicheren Standards in der Arbeits- und Sozialpolitik, dem Verbraucher:innenschutz, der Umweltpolitik und anderen gesellschaftspolitisch wichtigen Regeln führen. Derartige Überlegungen sind daher im Sinne des öffentlichen Interesses strikt abzulehnen.