In einer Woche begrüßen Österreichs Volksschulen ihre neuen ErstklässlerInnen. Während in den meisten Bundesländern die Zahl der Volksschulkinder sinkt, hat sie in Wien im letzten Jahrzehnt rasant zugenommen – und sie wird auch in Zukunft weiter stark wachsen. Ohne eine Aufgabenorientierung im Finanzausgleich droht den Wiener Volksschulen massive Unterfinanzierung.
Österreichweit sinkt die Zahl der Volksschulkinder. Im Schuljahr 2017/18 besuchten rund 339.000 SchülerInnen eine Volksschule in Österreich, ein Rückgang von rund zwei Prozent seit 2006. Allerdings verrät ein detaillierter Blick auf das letzte Jahrzehnt hohe regionale Unterschiede: Während die Zahl der Erst- bis Viertklässler in fast allen Bundesländern stark rückläufig war, zeigt sich für Wien das absolute Gegenteil (vgl. Abbildung 1). Bewegt sich der SchülerInnenrückgang im Burgenland (minus 2 Prozent) und Niederösterreich (minus 4 Prozent) nahe am österreichischen Durchschnitt, betrug er ganze minus 11 Prozent in Kärnten. Doch damit liegen die Rückgänge immer noch deutlich unterhalb des Anstiegs, den Wien seit 2006 erlebt: Die Bundeshauptstadt lag 2017 mit rund 72.500 SchülerInnen bereits 16 Prozent über dem Wert von 2006; vor allem seit dem Jahr 2010 ist die Zahl der Wiener VolksschülerInnen besonders rasant gestiegen. Unsere frühere Prognose aus dem Jahr 2015, die einen Anstieg von rund 10.000 Wiener VolksschülerInnen bis 2020 prognostizierte, wurde damit bereits 2017 überschritten.
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Die stetig wachsende Zahl der VolksschülerInnen in Wien spiegelt sich auch in der Anzahl der Klassen und in der durchschnittlichen Klassengröße wider. In den letzten zehn Jahren sind vier von fünf neuen Volksschulklassen in Wien eröffnet worden (rund 650 insgesamt). Außerdem befinden sich mit 22 SchülerInnen in Wien durchschnittlich drei SchülerInnen mehr im Klassenzimmer als in anderen Regionen Österreichs.
Prognosen über künftige Entwicklungen Mithilfe der aktuellen Bevölkerungsprognose der Statistik Austria lässt sich eine Vorausschau bis ins Jahr 2040 wagen (vgl. Abbildung 1): Demnach wird die Zahl der Kinder im Volksschulalter auch zukünftig am stärksten in Wien steigen. Bis zum Jahr 2030 werden zusätzlich rund 10.000 Wiener Kinder einen Platz in der Volksschule benötigen. Anschließend dürfte sich die Zahl der VolksschülerInnen bei rund 83.000 einpendeln. Insgesamt entspräche das dann einem Anstieg von rund 33 Prozent zwischen 2006 und 2040.
Was die Prognosen außerdem skizzieren: Die Zahl der Kinder im Volksschulalter wird sich in den kommenden Jahren auch in den anderen Bundesländern leicht erhöhen – allerdings deutlich unterhalb des Niveaus von Wien. Das Burgenland wird beispielsweise im kommenden Schuljahr erstmals wieder die Zahl der VolksschülerInnen aus 2006 erreichen (rund 10.600). Niederösterreich überschreitet ab 2022 den Ausgangswert von 2006; gefolgt von Vorarlberg, Tirol und Oberösterreich im Jahr 2025. Die Prognose zeigt jedoch auch, dass die Zunahme der VolksschülerInnen nur kurz anhält. Mit Ausnahme von Wien wird ab 2030 die Zahl der Volksschulkinder in den anderen Bundesländern wieder rückläufig sein. In Oberösterreich werden laut Prognose im Jahr 2040 rund 61.000 Kinder eine der vier Schulstufen in der Volksschule besuchen (minus 6 Prozent seit 2030); in Tirol werden es rund 30.500 sein (minus 4 Prozent seit 2030). Die deutlichste Abnahme bei der Zahl der Volksschulkinder wird es in Kärnten geben (minus 19 Prozent zwischen 2006 und 2040).
Finanzaufwendungen variieren ebenfalls stark Der zunehmende Bedarf an Schulplätzen ist für die Stadt Wien eine große bildungspolitische und vor allem finanzielle Herausforderung. Im Bundesdurchschnitt wurden im Jahr 2017 für ein Volksschulkind 7.893 Euro ausgegeben. Die Finanzaufwendungen pro VolksschülerIn in Wien waren trotz überdurchschnittlicher SchülerInnenzahlen, Klassenzahl und Klassengröße bis 2013 fast durchgehend die niedrigsten, erst in den letzten drei Jahren stiegen sie an und lagen 2017 mit 8.179 Euro erstmals über dem bundesweiten Durchschnitt. Damit befindet sich Wien trotz hoher demografischer Herausforderungen immer noch nur im Mittelfeld der Finanzaufwendungen (siehe Abbildung 2). Oberösterreich (7.492 Euro), Salzburg (7.688 Euro) und Niederösterreich (7.853 Euro) gehören zu den Ländern mit den niedrigsten Bildungsausgaben für VolksschülerInnen. Kärnten (9.103 Euro) weist hingegen die höchsten Bildungsausgaben auf; u. a. weil dort die Schulen in schrumpfenden Regionen noch nicht an die sinkende SchülerInnenzahl angepasst wurden (viele Klassen mit vergleichsweise wenig SchülerInnen), weshalb die durchschnittlichen Bildungsausgaben für VolksschülerInnen hoch ausfallen.
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Wiens überdurchschnittlicher Bedarf an Schulplätzen Wien wird weiter wachsen. Bereits in 10 Jahren – so die Prognose – soll Wien die Zwei-Millionen-Grenze überschreiten. Der rasante Anstieg der Kinder im Volksschulalter wird Wiens Schulen und sein Personal in den kommenden Jahren vor große Herausforderungen stellen. Wenn in Wien im Jahr 2040 rund 83.000 Kinder die Volksschule besuchen, müssen sich die Klassenzahlen sowie die Anzahl an SchülerInnen pro Klasse deutlich erhöhen. Was das für Wien bedeutet, zeigt ein vereinfachtes Rechenbeispiel: Wird die durchschnittliche SchülerInnenzahl auf sehr hohe 24 SchülerInnen pro Klasse erhöht (gegenwärtig: 22) und werden die durchschnittlichen 11,4 Klassen pro Schule aus dem Jahr 2017 beibehalten, dann braucht Wien bis 2040 insgesamt 15 neue Volksschulen und circa 330 neue LehrerInnen.
Um diesen demografischen Entwicklungen gerecht zu werden, hat die Stadt Wien bereits mit Schulsanierungen, Schulumbauten und einem umfassenden Neubauprogramm im Pflichtschulbereich erste Schritte gesetzt. Insgesamt fließen rund 500 Millionen in Schulsanierungen . Gegenwärtig werden beispielsweise 50 Pflichtschulen um- und ausgebaut, und bis zum Jahr 2023 sollen neun neue Volksschulen errichtet werden. Durch die rasant ansteigende Zahl der VolksschülerInnen wird auch der Bund zukünftig gefordert sein, den Ausbau an Schulplätzen in der Sekundarstufe II zu forcieren. Am dringlichsten erscheint der Ausbau der Berufsbildenden höheren Schulen (BHS). Zwischen 2000 und 2017 ist die Zahl der BHS-SchülerInnen in Wien um 28 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg liegt in Wien deutlich über dem Zuwachs an SchülerInnen in den Berufsbildenden mittleren Schulen (plus 16 Prozent) oder den Allgemeinbildenden höheren Schulen (plus 20 Prozent). Den Trends folgend wird es auch in Zukunft einen erhöhten Bedarf an Berufsbildenden höheren Schulen geben.
Zusätzliche Ressourcen vor allem in stark wachsenden Bezirken notwendig Neben dem benötigten Aus- und Neubau von Volksschulstandorten und Klassen steht die Stadt Wien allerdings noch vor einer weiteren Herausforderung: In jenen Wiener Gemeindebezirken mit dem voraussichtlich größten zukünftigen Wachstum weisen viele Volksschulen schon heute einen „hohen“ bis „sehr hohen“ Unterstützungsbedarf auf. Ein Beispiel: Der prognostizierte Anstieg der VolksschülerInnen in den Gemeindebezirken Brigittenau, Meidling und Rudolfsheim-Fünfhaus zwischen 2008 und 2038 macht in Summe rund ein Viertel des gesamten Wachstums dieser Altersgruppe in Wien aus (eigene Berechnung mit Daten der Kleinräumigen Bevölkerungsprognose der Stadt Wien). Unsere Analysen zum „Chancen-Index “ haben ergeben, dass schon heute mehr als jeder zweite Volksschulstandort in diesen Bezirken mit großen sozialen Herausforderungen konfrontiert ist. Diese Volksschulen mit großen Herausforderungen sollten schon heute mehr finanzielle Mittel erhalten, um zusätzliches Supportpersonal und weitere LehrerInnen anzustellen sowie über Teambildung, Fortbildung und externe Kooperationen eine umfassende Standortentwicklung zu forcieren. Nur so können langfristig benachteiligte SchülerInnen – unabhängig vom sozialen Hintergrund – optimal gefördert und zu besseren Bildungserfolgen begleitet werden. Diese bedarfsorientierte Finanzierung von (Volks-)Schulstandorten sollte gerade vor dem Hintergrund der stark wachsenden SchülerInnenzahlen in diesen Wiener Gemeindebezirken höchste bildungspolitische Priorität haben.
Ein möglicher Hebel: der aufgabenorientierte Finanzausgleich Die Stadt Wien wird langfristig mehr finanzielle Mittel benötigen, um den demografischen Wandel zu meistern und um allen Volksschulkindern gleiche Chancen auf Unterstützung und Betreuung zu bieten. Der Finanzausgleich sollte diese Entwicklungen verstärkt durch eine Aufgabenorientierung berücksichtigen. Aktuell werden für die Mittelzuweisung im Pflichtschulbereich vom Staat hin zu den Ländern und Gemeinden überwiegend Input- oder Ausgabengrößen berücksichtigt (z. B. Schulgröße), nicht aber Aufgabennotwendigkeiten, wie beispielsweise die soziale Zusammensetzung an Schulen. Das Zentrum für Verwaltung und Forschung (KDZ) hat vor Kurzem einen neuen Modellvorschlag für eine aufgabenorientierte Finanzierung von Pflichtschulen entworfen. Er umfasst zwei Elemente: Im Rahmen einer „aufgabenbezogenen Basis-Abgeltung“ wird ein Beitrag zur laufenden Finanzierung des Aufgabenbereiches der Schulen geleistet (Berücksichtigt wird hier: Anzahl der SchülerInnen, Schulklassen und SchülerInnen in der Tagesbetreuung). Darüber wären zukünftig auch die Herausforderungen durch den demografischen Wandel abgedeckt. Zusätzlich sollen über eine „Lasten-Abgeltung“ sozioökonomische Rahmenbedingungen berücksichtigt werden (beispielsweise: Anzahl der SchülerInnen aus niedrigen Bildungsmilieus, SchülerInnen mit sonderpädagogischem Betreuungsbedarf oder Jahresbetreuungsstunden in der Tagesbetreuung). Diese Art der Abgeltung ist entscheidend, um an Schulen mit großen Herausforderungen bessere Lernbedingungen für jedes Kind zu erreichen – insbesondere in den Bezirken, die zukünftig stark wachsen werden.
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