Immer größere Teil des Dienstleistungssektors werden über digitale Plattformen abgewickelt – auf Kosten von Arbeiter*innen und kleinen Unternehmen. Das stellt auch die Wettbewerbsökonomik vor neue Herausforderungen.
Seit der ersten sicheren Einzelhandelstransaktion zwischen zwei Computern über das World Wide Web im Jahr 1994 verlagern sich ökonomische Transaktionen zunehmend auf Online-Märkte. Die zentralen Akteure dieser rasant wachsenden Internet-Ökonomie sind digitale Plattformen, die bisher insbesondere zahlreiche Dienstleistungsmärkte „umkrempeln“ konnten. Die Gemeinsamkeit aller Dienstleistungsplattformen ist dabei, dass sie eine Marktfunktion übernehmen, indem sie zwei oder mehr Nutzer*innengruppen, meist Dienstleister*innen und Konsument*innen, über eine digitale Infrastruktur zusammenführen. Für Dienstleister*innen können Plattformen einerseits einen hilfreichen weiteren Absatzkanal darstellen, andererseits aber auch neue ökonomische Abhängigkeiten erzeugen.
Der Grund für eine Verlagerung von ökonomischen Transaktionen auf Plattformen – kurz Plattformisierung – wird zumeist im Wegfall der raumzeitlichen Beschränkungen gefunden. Die Geschäftsmodelle können besonders schnell skalieren und weltweit riesige Produktkataloge verwalten. Dabei zeigt sich: Plattformen sind schlicht die effizienteren Märkte, da sie mehr Daten erfassen und verarbeiten können und so die Transaktions- und Suchkosten der Konsument*innen senken – das Smartphone wird zum Kaufhaus in der Hosentasche.
Die Plattformisierung schreitet voran
Wie weit die Plattformisierung bereits vorangeschritten ist, ist von Branche zu Branche sehr verschieden und bisher kaum erforscht. Als häufigster Indikator wird die Zahl der Arbeiter*innen auf „Gig Working“-Plattformen herangezogen. Eine jüngere Studie der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass immerhin drei Prozent der Internetnutzer*innen in Deutschland bzw. knapp 1,9 Millionen Menschen auf Dienstleistungsplattformen registriert sind. Zwar nutzen nur wenige die Plattform als Haupterwerbsquelle, doch insbesondere für Menschen, die auf dem Offline-Arbeitsmarkt benachteiligt sind und diskriminiert werden, ist das zusätzliche Gehalt häufig mehr als nur ein Nebenerwerb.
Der Nachteil der „Gig Working“-Studien besteht jedoch in einer zu engen Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands. Plattformen wie Amazon, Booking, Flixbus oder YouTube werden ebenso vernachlässigt wie die Tatsache, dass Plattformarbeit nicht nur Solo-Selbstständige, sondern auch Unternehmen mit mehreren Mitarbeiter*innen treffen kann, beispielsweise Restaurants, die für Liefer- und Cateringplattformen arbeiten, Bus- und Taxiunternehmen, die für Flixbus oder Uber fahren, oder kleine Hotels, die große Teile ihres Umsatzes über Airbnb oder Booking erwirtschaften.
Ein besserer Indikator für den Plattformisierungsgrad ist daher die Umsatzhöhe von Dienstleistungsplattformen im Verhältnis zum gesamten Marktvolumen: In Deutschland wurden im Jahr 2017 beispielsweise bereits 27,8 Prozent des gesamten Hotelmarktes über digitale Plattformen abgewickelt – ein Anstieg zum Vorjahr um fast zehn Prozent (IHA 2018). Musik wird heute bereits zu 46,4 Prozent über Streaming-Plattformen konsumiert (Bundesverband Musikindustrie 2019). Der Anteil des E-Commerce am deutschen Einzelhandel beträgt knapp 10 Prozent und wird von Preisvergleichsplattformen wie Check24 und Verivox sowie Amazon-Marketplace dominiert. Und bereits Ende 2017 wurden in New York erstmals mehr Taxifahrten mit Uber gebucht, als die traditionellen „yellow cabs“ durchführten (Schneider 2019).
Wachstum mit allen Mitteln führt zu Monopolisierung
Neben der Plattformisierung ist die zweite Besonderheit der Internet-Ökonomie eine tendenzielle Monopolisierung von Plattformmärkten. Plattformen verfolgen in der Regel eine Expansionsstrategie nach dem Motto „Growth before Profit“ (Srnicek 2017), d. h. sie setzen auf eine aggressive Marktexpansion und Kampfpreisstrategien und schreiben dabei viele Jahre lang rote Zahlen – den Nachweis eines nachhaltig profitablen Geschäftsmodells bleiben sie schuldig. Möglich gemacht wird die „Growth before Profit“-Strategie durch große Summen Venture Capital von Risikokapitalgesellschaften, für die die Plattformunternehmen selbst zum Spekulationsobjekt geworden sind (Staab 2018). Diese Finanzialisierung hat zur Folge, dass Plattformen nur dann frisches Kapital erhalten, wenn sie ihren Geldgebern stetiges Umsatzwachstum versprechen und eine quasi-monopolistische Marktposition anstreben.
Tatsächlich ist die Hoffnung auf eine monopolartige Stellung in der Plattformökonomie nicht unbegründet, denn Plattformmärkte werden zumeist als „Winner takes most“-Märkte beschrieben, auf denen sich „natürliche Monopole“ herausbilden. Dies lässt sich besonders auf folgende drei Gründe zurückführen: Erstens weisen Plattformen hohe Skaleneffekte auf; zweitens funktionieren Plattformen wie „zweiseitige Märkte“ (Roche/Tirole 2003), auf denen starke indirekte Netzwerkeffekte wirken; drittens versuchen Plattformen beispielsweise über Personalisierungen sogenannte Lock-in-Effekte auszulösen, indem sie die Wechselkosten für Konsument*innen, d. h. den Aufwand zu einer anderen Plattform zu wechseln, erhöhen. Skalen-, Netzwerk- und Lock-in-Effekte treten in der Regel zusammen auf und treiben so eine zunehmende Konzentration von Marktmacht in der Plattformökonomie an.
Beispiele finden sich zuhauf: Die Plattform Flixbus hält über 90 Prozent des Fernbusmarktes, ebenso Lieferando auf dem Markt für plattformvermittelte Essenslieferungen. Booking verfügt über 60 Prozent des Plattformmarktes für Hotelbuchungen (IHA 2018), Apple und Alphabet teilen sich den Markt für Smartphone-Apps duopolistisch auf, und Amazon kontrolliert knapp die Hälfte des deutschen E-Commerce (IFH 2018) – wobei dieser Anteil auf einigen Märkten wie dem Onlinebuchhandel auf über 90 Prozent ansteigt (Statista 2019). Zum Vergleich: Bereits ab 40 Prozent Marktanteil sprechen Wettbewerbsbehörden von einer „marktbeherrschenden Stellung“.
Strukturelle Ausbeutung der Plattformarbeiter*innen
Plattformisierung und Monopolisierung zusammengenommen begründen den Aufstieg von sogenannten „proprietären Märkten“ (Staab 2019), d. h. Plattformen, die (Dienstleistungs-)Märkte ganz oder teilweise in Besitz nehmen. Die daraus resultierende Marktmacht bekommen vor allem die Dienstleister*innen zu spüren. So weist Krugman (2014) als einer der wenigen Ökonom*innen explizit darauf hin, dass sich die Marktmacht von Plattformen und anderen zweiseitigen Märkten weniger angebotsseitig (gegenüber den Konsument*innen) als vielmehr nachfrageseitig (gegenüber den Dienstleister*innen) äußert. Der Nachfragemacht von Plattformen steht entsprechend eine sehr geringe Verhandlungsmacht der Dienstleister*innen gegenüber, die sich entweder den Bedingungen des Plattformbetreibers unterwerfen oder den Marktzugang verlieren (Dobusch 2016).
In dieser ökonomischen Abhängigkeit führt die Plattformisierung zu einer strukturellen Ausbeutung von Dienstleister*innen, wie Armstrong (2006) gezeigt hat: Die Nutzer*innengruppen auf beiden Seiten das Plattformmarktes haben unterschiedliche Bedürfnisse – während Dienstleister*innen möglichst viele Konsument*innen erreichen wollen und deswegen auf vielen Plattformen vertreten sind („multi-homing“), präferieren die Konsument*innen in der Regel eine einzige Plattform („single-homing“). Für die Plattformbetreiber ist es unter diesen Umständen rational, sich auf die Attraktion der knapperen Konsument*innen zu konzentrieren, ihnen kostenlosen Zugang, vergünstigte Preise und speziellen Service anzubieten. Die finanziellen Mittel für diese Gratis-Dienstleistungen treiben die Plattformbetreiber bei den Dienstleister*innen ein, die aufgrund ihrer unelastischeren Nachfrage bereit sind, einen höheren Preis zu zahlen.