Was in der Debatte über neue technische Möglichkeiten oft untergeht: Die Gestaltung der Digitalisierung ist eine hoch politische Frage. Die Interessen von Arbeit und Kapital, von öffentlich und privat, von ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen, von traditioneller Wirtschaft und New Economy prallen aufeinander. Es gilt sie neu auszubalancieren. Das soeben erschienene Buch „Überall ist Zukunft“ liefert Vorschläge, wie wir eine gerechte Gesellschaft in Zeiten der Digitalisierung umsetzen können.
Der Handel um die Regeln der Zukunft hat bereits begonnen
Wem kommen die Profite der Digitalisierung zugute? Werden die Innovationen genutzt, um Arbeitsbedingungen zu verbessern oder um das Arbeitsrecht auszuhöhlen? Entstehen neue Monopole oder wird die Macht der Vielen größer? Wie diese Fragen zukünftig beantworten werden, hängt wesentlich von den Regeln ab, die wir heute aushandeln. Der Kampf darum, wer diese Regeln festlegt und welche Interessen sich dabei durchsetzen, hat längst begonnen. Er manifestiert sich in Protesten von ArbeitnehmerInnen der Gig Economy für ordentliche Arbeitsverträge; in europäischen Vorschlägen, wie der Schaffung digitaler Betriebsstätten, um gerechte Steuerleistungen zu sichern; im Bemühen von Städten, dass Plattformunternehmen die jeweiligen Spielregeln einhalten (beispielsweise das Abführen der Ortstaxen); oder auch schlicht im Versuch von Einzelnen, ihr Recht auf Privatsphäre in Zeiten von Big Data durchzusetzen.
Die gesellschaftlichen Herausforderungen, die die Digitalisierung aufwirft, sind in der Tat vielfältig. Die erste Frage, die stets wie der sprichwörtliche Elefant im Raum steht: Geht uns die Arbeit aus? Um die dahinterliegende und verständliche Sorge, dass Roboter viele Arbeitsplätze obsolet machen könnten, kommt man nicht herum. Dabei zeigen der Blick auf die Geschichte und realistische Prognosen, dass uns die Arbeit in Summe wohl nicht ausgehen wird. Allerdings werden arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, welche die Umbrüche sinnvoll begleiten können, dringend notwendig sein. Genauso wie etwa eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik, die eine faire Beteiligung der ArbeitnehmerInnen am erwirtschafteten Wohlstand sichert.
Neu oder alt?
Politische Gestaltung ist auch bei den Rahmenbedingungen für neue Arbeitsformen gefragt. Apps, Internetplattformen und Sharing Services schießen wie Pilze aus dem Boden. Wenn die verwendete Technik auch neu sein mag – die arbeitsrechtlichen Fragen dahinter sind altbekannt. Es geht um die verschwimmenden Grenzen zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit, Fragen der Arbeitstaktung und Kontrolle, um Urlaubsansprüche, Haftungsfragen und die Frage, wer das Risiko bei schlechter Auftragslage trägt: die ArbeitnehmerInnen oder die ArbeitgeberInnen? Alles Fragen, die schon in der analogen Welt vielfach ausgestritten wurden. Unter dem Vorwand, dass die Digitalisierung die Karten neu mischt, werden sie nun wieder infrage gestellt. Umso wichtiger ist, die neuen Phänomene nüchtern zu betrachten und zu schauen, in welchen Bereichen wir tatsächlich mit neuen Arbeitsformen konfrontiert sind und wo sich vermeintliche Innovationen am Ende schlicht als Arbeit unter prekären Bedingungen entpuppen. Dieser Prekarisierung einen Riegel vorzuschieben, ist eine der wichtigsten Aufgaben bei der Gestaltung der Digitalisierung. Dazu wird es nicht zuletzt notwendig sein, die neuen, weit zerstreuten Gruppen von Crowd– und Gig-Economy-Workern dabei zu unterstützen, sich zu organisieren, damit diese die Regeln der künftigen Arbeitswelt mitverhandeln können.
Unmittelbar mit der Form und Beständigkeit der „neuen“ Arbeitsverhältnisse hängt auch die Frage der Finanzierung der Sozialsysteme zusammen. Denn wenn der unter dem Deckmantel der Digitalisierung vorangetriebene Trend fortschreitet, dass Menschen vermehrt unbeständig beschäftigt werden, steigen etwa die Anforderungen an die Arbeitslosenversicherung, während die Beiträge dazu sinken. Dabei sind eben keine „disruptiven“ Politiken gefragt, wenn es etwa darum geht zu überlegen, wie eine Arbeitslosenversicherung 4.0 aussehen könnte. Im Gegenteil: Gerade ein stabiler Wohlfahrtsstaat erweist sich als beste Versicherung im digitalen Wandel und als unschlagbarer Vorteil gegenüber anderen Regionen der Welt, wenn es darum geht, als Gesellschaft gut durch den Wandel zu kommen.
Neue Arbeitsprozesse in alten Unternehmen
Es entwickeln sich aber nicht nur neue Arbeitsformen – auch in bestehenden Betrieben ändern sich die Arbeitsprozesse. Nicht von heute auf morgen, aber schleichend. Nach der Vision, die hinter dem Begriff „Industrie 4.0“ steht, ist das Bild der Zukunft zumindest klar: Das intelligente Werkstück weiß wohin es soll, die Maschine meldet, wenn sie ein Problem hat. Mensch und Maschine arbeiten im Bereich der industriellen Fertigung eng vernetzt, wobei der Mensch zunehmend nur mehr im Ausnahmefall in den Produktionsbereich eingreift. Neben dem Versprechen, durch höhere Investitionen den Fokus des Wettbewerbs von den Kosten auf die Innovationskraft zu verschieben, bleiben Fragen rund um Beschäftigung, Qualifikation und Finanzierung derselben offen. Hierauf gilt es, den politischen Fokus zu legen.
Die Veränderungen treffen natürlich nicht nur die Industrie. Werden derzeit rund zehn Prozent der Einzelhandelsumsätze online erzielt, so wird der Anteil Prognosen zufolge bis 2025 auf etwa 15 Prozent ansteigen. Bereits jetzt fließt mehr als die Hälfte dieser Umsätze ins Ausland. Für die Beschäftigten bedeutet dieser Trend, dass bis 2020 zwischen 6.000 und 8.000 neue Jobs im digitalen Bereich entstehen werden. Die Kehrseite der Medaille: Zwei bis vier Prozent der traditionellen Handelsjobs sind gefährdet.
Zeit und Geld
Umbrüche wie diese und neue Arbeitsprozesse stellen in vielen Bereichen neue Anforderungen an die MitarbeiterInnen. Der Bedarf an Qualifikation wird dabei steigen. Vor allem im Bereich des flexiblen und situationsabhängigen Handelns, der kommunikativen Fähigkeiten, aber auch der spezifischen Fachkenntnisse. Um in Zeiten des Umbruchs mithalten zu können, brauchen die Menschen Zeit und Geld, damit sie sich entsprechend weiterbilden können. Es ist Aufgabe der Politik, hierfür gerechte Lösungen bereitzustellen. Eine konkrete Möglichkeit wäre ein Qualifizierungsgeld, das mit Rechtsanspruch ausgestattet allen Beschäftigten zur Verfügung steht.
Im Zusammenhang mit der Weiterbildung ist unser gesamtes Schulsystem gefordert. Dieses fit für die digitalen Herausforderungen zu machen, ist eine Mammutaufgabe für sich. Neben einer Durchflutung der Lehrpläne und Methoden mit digitalen Inhalten und Lernbegleitern ist es wichtig, hier nicht den Blick auf analoge Unterschiede zu verlieren, die sich in der digitalen Welt entgegen gängigen Annahmen noch verschärfen: So gibt es große Unterschiede, wie Schulen die neuen Möglichkeiten nutzen. Während in maturaführenden Schulen Computer sehr häufig eingesetzt werden, ist dies in nicht maturaführenden Schulen eher seltener der Fall. Speziell Lehrlinge geben häufig an, dass in Ihrer Ausbildung vollständig auf IT-Unterstützung verzichtet wird. Einer von vielen Ansatzpunkten, die dringend mehr Aufmerksamkeit benötigen.
Eine weitere Herausforderung, auf die wir in der digitalisierten Arbeitswelt treffen: Der vermehrte Einsatz von Technik wirkt ganz direkt auf den menschlichen Organismus. Neue Ergebnisse der Forschung zum Technikstress zeigen, dass eine Sensibilisierung in diese Richtung höchst an der Zeit ist, damit Arbeitsumfelder so gestaltet werden können, dass die Gesundheit der Beschäftigten nicht gefährdet wird.
Dreh- und Angelpunkt: die Daten
Dreh- und Angelpunkt des digitalen Zeitalters sind die Daten. Denn Grundlage für viele Veränderungen sind vor allem die neuen Möglichkeiten, Daten zu sammeln und zu analysieren. Big-Data-Anwendungen bringen die Wissenschaft nach vorne und werden gleichzeitig zum Fundament zahlreicher Geschäftsmodelle und großer Wachstumshoffnungen. Digitalisierung ermöglicht globalen Datentransfer nahezu in Echtzeit. Konsum- und Finanzmärkte agieren software- und datenbasiert, womit es unternehmensseitig naheliegt, die ohnehin anfallenden Daten (Verbindungsdaten im Mobilfunk, Überweisungsdaten im Bankgeschäft, Pulsfrequenz-Messdaten aus dem Fitnessarmband, Fahrverhaltensdaten aus der Telematik-Box im Auto oder Social-Media-Aktivitäten) interessensgeleitet auswerten zu wollen. Aber wem gehören diese Daten eigentlich? Den Konsumentinnen und Konsumenten, die sie produzieren, den Unternehmen, die sie sammeln oder jenen, die sie auswerten? Hier bahnt sich eine weitere der eingangs beschriebenen Konfliktlinien an – und zwar eine, bei der es um viel Geld geht. Datenschutzrecht und Aufsichtsbehörden sind in der Realität jedenfalls immer seltener in der Lage, profitorientierte Datennutzung und die Interessen von Individuen auf Privatsphäre wirksam und fair auszubalancieren. Und so höhlt die Perfektionierung der Suche nach unentdeckten Mustern in großen Datenbeständen die Privatsphäre aus. Kann und soll man diesen Entwicklungen überhaupt noch etwas entgegensetzen? Auf beide Fragen lautet die Antwort: Ja. Wie eine schlagkräftige Datenschutzkontrolle in Zeiten dieser immensen Datenströme aussehen kann, damit beschäftigt sich auch das Buch „Überall ist Zukunft“.
Als Querschnitt zu den Themen, die mit der Digitalisierung auf den Tisch kommen, kristallisiert sich die Frage nach der Sicherung der korrekten Besteuerung heraus. Die Digitalisierung hat zu erheblichen Umbrüchen in der Unternehmenslandschaft geführt. Bei vielen der neuen Unternehmen der digitalen Wirtschaft fehlen die klassischen Produktionsstätten. Anstelle dieser sind immaterielle Vermögensgegenstände für die Wertschöpfung verantwortlich. Diese können jedoch problemlos an nahezu jeden beliebigen Ort verlagert werden. In vielen Fällen ist auch keine physische Präsenz bei den Kundinnen und Kunden notwendig, um die jeweiligen Produkte zu vertreiben. Für das Steuerrecht ergeben sich hier zahlreiche Herausforderungen, da wesentliche Anknüpfungspunkte für die Besteuerung unklar sind bzw. fehlen. Auch hierzu werden Lösungsvorschläge diskutiert.
Wenn die Autorinnen und Autoren von „Überall ist Zukunft“ die beschriebenen Phänomene unter die Lupe nehmen, dann tun sie das stets mit dem Ziel, möglichst konkrete Antworten darauf zu entwickeln, wie wir die Digitalisierung nutzen können, um eine Tür aufzustoßen für eine Gesellschaft, in der die breite Bevölkerung von den neuen technischen Möglichkeiten profitiert.
ACHTUNG: Wir verlosen fünf Exemplare von „Überall ist Zukunft“. Wer eines gewinnen will: Einfach bis 30.3. 2018 ein E-Mail schreiben an: blog@arbeit-wirtschaft.at.
(bitte gleich die Adresse angeben, an die das Buch versendet werden soll).