Unzählige Veranstaltungen und Publikationen beschäftigen sich mit dem Phänomen Industrie 4.0. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Nach den drei ersten industriellen Revolutionen Mechanisierung, Elektrifizierung und Automatisierung soll nun das „Internet der Dinge“ die 4. Industrielle Revolution einläuten: Der Einsatz digitaler Systeme in der Produktion möchte die Herstellung von Gütern effizienter machen. Aus Sicht der ArbeitnehmerInnen ist das weniger eine Revolution als eine Evolution, die herausfordernd aber steuerbar ist: Es geht um angemessene Löhne, faire Arbeitszeiten sowie zuverlässige arbeits- und sozialrechtliche Regelungen.
Industrie 4.0 – Ist das was Neues?
Die Vernetzung der physischen Welt von Menschen, Maschinen, Werkzeugen mit der digitalen Welt wird sich für die Wirtschaft lohnen und die Produktion effizienter machen. Immer mehr Produktionsprozesse finden ohne menschliche Beteiligung statt. Es hat den Anschein, als wären die ArbeitnehmerInnen mit fortschreitender Technologisierung plötzlich nutzlos. Doch spätestens seit der 1. Industriellen Revolution ist das Verdrängungsproblem der Menschen durch den Einsatz von Technologien eine zentrale Herausforderung der ArbeitnehmerInnenbewegung. Das ist also nichts Neues – Stichwort Automobilindustrie.
Es geht aber nicht nur um die Gefahr von steigender Arbeitslosigkeit, sondern auch um Entfremdung, Überarbeitung, Intensivierung der Arbeit, unscharfe Trennung von beruflichen und privaten Lebenswelten sowie Überwachung und Datenschutz. Da bringen die neuen technologischen Möglichkeiten sicher eine Verdichtung der Probleme. Neu sind sie deswegen auch nicht. Die bekannten Forderungen nach einer guten Arbeit werden nur noch drängender.
Was heißt das für die ArbeitnehmerInnen?
Die Aufgabe der Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen ist es, genau hinzuschauen: Wo entwickelt sich Arbeit von den Menschen weg, wo wird Arbeit nur mehr zum Finanzkalkül einer wettbewerbs- und gewinnorientierten Wirtschaft? Gerade bei jener Entwicklung, die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ zusammengefasst wird, gilt es aus Sicht der ArbeitnehmerInnenvertretung besonders Acht zu geben: Technologische Weiterentwicklungen können zum sozialen Fortschritt beitragen, solange sie nicht nur rein nach der Logik des Marktes und der Kapitalvermehrung eingesetzt werden.
Aus Sicht der Unternehmen bedeutet Industrie 4.0 vor allem mehr Effizienz und Produktivitätssteigerungen. Gewinne wurden aber auch in der Vergangenheit nicht ausreichend an die Beschäftigten und an die Gesellschaft weiter gegeben. Für diese Verteilungsfragen braucht es eine Intensivierung der Arbeitskämpfe: In erster Linie geht es um angemessene Löhne und eine faire Verteilung der Arbeitszeit. Damit ist nicht nur eine Verkürzung der Arbeitszeit gemeint, sondern auch die Umsetzung moderner und arbeitnehmerInnen-freundlicher Arbeitszeitmodelle. Dass es hier unterschiedliche Interessen der ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen gibt, ist auch schon länger bekannt. Es gilt Antworten zu finden, damit es nicht zu einer übergangslosen Vermischung von Arbeit, Familientätigkeit und Freizeit kommt. Der Kollektivvertrag ist hier ein wichtiges Instrument.
Da wo neue Arbeitsformen entstehen, geht es immer um mehr Flexibilität. Es gilt zu klären, an welchen Rahmen und Äquivalenten die Arbeit gemessen wird. Auch hier muss das Rad nicht neu erfunden werden, sondern an bestehende Regelungen angepasst werden. Und der Wert der Arbeit sollte wieder ins Zentrum der Diskussion gestellt werden. Es kann nicht darum gehen die Arbeit billiger zu machen, sondern besser und effizienter im Sinne der ArbeitnehmerInnen zu gestalten.
Industrie 4.0 – Evolution statt Revolution
Wenn UnternehmerInnen von Industrie 4.0 sprechen, dann reden sie von einer Revolution. Hinter der vermeintlichen Umwälzung steckt jedoch die bekannte Panikmache der Unternehmen: Dubiose Rankings werden präsentiert, China und den USA zugejubelt, der eigene Standort schlecht geredet.
Gerade in den innovativen Industriebetrieben wird sich Vieles – von den Produkten, über die Produktion bis hin zu den Produzenten – ändern. Der Großteil dieser Veränderungen bewegt sich jedoch in bekannten industriepolitischen Rahmen und Beziehungen, mit allen bis jetzt auch schon bekannten Problemen und Herausforderungen.
Daher sollte man den Hype um Industrie 4.0 nüchtern als einen ernstzunehmenden Evolutionsprozess sehen, der steuerbar ist, und nicht als eine plötzlich über uns herein brechende Revolution. Der Arbeitskraft wird ein bestimmender Produktionsfaktor bleiben. Gerade in Zeiten des Umbruchs muss daher die Aufnahme von Verteilungskämpfen im Vordergrund stehen: Es geht um angemessene Löhne, eine faire Verteilung der Arbeitszeit sowie um die Anpassung der arbeits- und sozialrechtlichen Errungenschaften an neue Rahmenbedingungen.