“Geht uns die Arbeit aus?” – eine Frage, die in Zusammenhang mit Digitalisierung sofort im Raum steht. Pessimistische Studien sehen jeden zweiten Arbeitsplatz gefährdet. Andere argumentieren, dass technologischer Fortschritt historisch betrachtet zwar bestimmte Berufsgruppen verdrängt, aber immer auch neue Arbeitsplätze entstehen lässt. Ob es diesmal anders ist, wird wesentlich von der politischen Gestaltung abhängen.
Was können wir aus der Geschichte lernen?
In die Zukunft kann man bekanntlich nicht schauen. Leichter fällt ein Blick auf bisherige Folgen des technologischen Fortschritts auf die Beschäftigung. Michael Mesch kommt in der Analyse der Beschäftigungsentwicklung des 20. Jh. zu dem Schluss: „Trotz des beispiellosen technischen Fortschritts im 20. Jh. gab es langfristig keine steigende Tendenz der Arbeitslosigkeit und keine sich verfestigende Sockelarbeitslosigkeit“. Genauer: Automatisierungstechniken ersetzten körperliche, gesundheitsschädigende und monotone Arbeit in Bergbau, Sachgüterproduktion, Landwirtschaft usw. Die Anwendung neuer Techniken erforderte höher qualifizierte Arbeitskräfte und erhöhte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Das wiederum führte zu einem Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Arbeitskräftenachfrage. Entscheidend war dabei die Verteilungsfrage und dass die Beschäftigten durch produktivitätsorientierte Lohnpolitik an den Ertragszuwächsen beteiligt wurden, was sich auf Preise, Einkommen und Produktinnovationen auswirkte. Außerdem führten Produktinnovationen zum Entstehen neuer Branchen und Berufszweige. Trotz enorm steigender Produktivität und Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen kam es zu keinem langfristigen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Ein Grund dafür kann auch in der sinkenden Arbeitszeit gesehen werden. Sie halbierte sich zwischen 1870 und 2000 auf 1.500 Stunden.
Ist es diesmal anders?
Polarisierungsthese: Die Mitte ist gefährdet.
Demnach wird sich der Arbeitsmarkt im Zusammenhang mit der Digitalisierung stärker polarisieren: in hochqualifizierte auf der einen und niedrig qualifizierte, nicht-routinierte Tätigkeiten auf der anderen Seite. Dies deshalb, da zwei Formen von Tätigkeiten schwer zu automatisieren sind: Hochqualifizierte, die abstraktes Denken und soziales Handeln voraussetzen und manuelle, nicht-routinierte Tätigkeiten, die situative Anpassung und persönliche Interaktion erfordern. Und weil nicht-routinierte Jobs auf beiden Seiten des Qualifizierungsspektrums zu finden sind – in spezialisierten, die Führung betreffenden und technischen Berufen auf der einen und im Dienstleistungsbereich und bei komplexen manuellen Berufen auf der anderen Seite –, liegt folgender Schluss nahe: Die Automatisierung von Routineaufgaben führt dazu, dass gleichzeitig sowohl die Nachfrage nach hochqualifizierten und hochbezahlten Jobs auf der einen als auch jene nach niedrig qualifizierten, schlecht bezahlten Jobs auf der anderen Seite wächst (z. B. im persönlichen Dienstleistungsbereich).
In diesem Szenario würde vor allem die Nachfrage nach Routinetätigkeiten bis ins mittlere Qualifikationsniveau hinein gefährdet sein bzw. Berufe, die vor allem aus solchen Routinetätigkeiten bestehen.
Kognitive Routinetätigkeiten sind etwa: kalkulieren, buchhalten, Daten korrigieren, messen etc.; z. B. in den Bereichen Verwaltung, Prüfung, Untersuchung, Überwachung, Diagnostik, Technik etc.
Unter manuelle Routinetätigkeiten fallen: Maschinen bedienen und kontrollieren sowie ausstatten; z. B. in den Bereichen Bau, Herstellung, Ernte, Durchsatz etc.
Profitieren würden dagegen Berufe, in denen der Kern aus nicht ersetzbaren abstrakten Tätigkeiten besteht und die durch technische Ergänzungen noch profitabler werden (z. B. ForscherInnen, die sich durch computerisierte Vorgänge noch mehr ihren Kernaufgaben wie der Interpretation von Ergebnissen widmen können).
Die OECD stellt daneben noch eine weitere Gefahr der Polarisierung fest: Jene zwischen „open ended and various atypical forms of employment“. Denn in Zusammenhang mit Digitalisierung wird immer auch die Entstehung neuer Arbeitsformen beschrieben, die im Wesentlichen eine Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen mit sich bringen. So fasst ein Report der Eurofund neun neue Arbeitsformen von „Casual Work“, Jobsharing bis „Portfolio Work“ zusammen, die seit 2000 in Europa verstärkt auftreten. „Einige von ihnen verändern die Beziehung zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen, andere die Arbeitsorganisation und wieder andere tun beides“. Als gemeinsamen Nenner dieser neuen Typen von Arbeitsorganisation beschreibt Risak „das Ziel, zusätzliche Flexibilität für ArbeitgeberInnen und/oder ArbeitnehmerInnen zu schaffen“ und sieht durch sie „zahlreiche rechtliche und soziale Probleme“ aufgeworfen.
Verbunden wäre eine solche Polarisierung also mit starken Ungleichgewichten bezogen auf Einkommen und Sicherheit zwischen Lohnabhängigen.
Es gibt, wie Johannes Schweighofer aufzeigt, allerdings auch Studien, die keine empirische Evidenz für diese These finden (Frey Osborne 2013 und Bonin et al 2015) und vor allem niedrig Qualifizierte als gefährdete Gruppe beschreiben, da deren Tätigkeiten als besonders leicht durch Computer ersetzbar gelten.
Dabei gibt es auch einen geschlechtsspezifischen Aspekt, den man nicht übersehen sollte: So arbeiten, wie Bock-Schappelwein zeigt, in Österreich mehr Frauen in Berufen „mit vorwiegend Routinetätigkeiten, von denen angenommen wird, dass sie durch die Digitalisierung zunehmend unter Druck geraten“.
Automatisierungswahrscheinlichkeiten: Wer und wie viele sind betroffen?
Im Auftrag der OECD beziffern Arntz, Gregory und Zierahn das Automatisierungspotenzial für Beschäftigte anhand von der im Rahmen der PIAAC Studie erhobenen Tätigkeitsstruktur auf individueller Ebene der Beschäftigten. Dabei schreiben auch sie Berufen mit hohem Routineanteil eine hohe Automatisierungswahrscheinlichkeit zu. Die Annahme dahinter: Nicht ganze Berufe, sondern nur bestimmte Tätigkeiten sind automatisierbar und Berufe mit hohem Anteil an automatisierbaren Tätigkeiten haben ein hohes Automatisierungsrisiko. Sie kommen zu dem Schluss, dass in Europa 9 Prozent, in Österreich 12 Prozent aller Beschäftigten von einem hohen Automatisierungsrisiko betroffen sind. Allerdings geben sie zu bedenken, dass nicht alles, was automatisierbar wäre, auch automatisiert wird, weil: (1) technische Möglichkeiten oft überschätzt werden, (2) neue Technologien Arbeitsplätze auch verändern und nicht immer ersetzen und (3) makroökonomische und gesellschaftliche Hürden bestehen.
In einer neuen Studie des IHS wurde für Österreich das Potenzial der Substituierbarkeit von Tätigkeiten innerhalb der Berufe aufgrund prognostizierter Digitalisierung und Automatisierung geschätzt. Das Ergebnis: 9 Prozent der Beschäftigten bzw. 8,5 Prozent der Arbeitsstunden weisen ein Tätigkeitsprofil auf, das ein hohes Potenzial hat, durch Maschinen ersetzt zu werden. Am potenziell stärksten betroffene Berufsgruppen sind demnach: „Hilfsarbeitskräfte, HandwerkerInnen, MaschinenbedienerInnen und Personen in Dienstleistungsberufen.“ AkademikerInnen und Führungskräfte seien am wenigsten betroffen. Die Studie weist des Weitern einen Zusammenhang zwischen Einkommen und Bildungsstand aus: Je höher der Bildungsabschluss und die Einkommenshöhe, umso geringer die Automatisierungswahrscheinlichkeit.
Beachtet werden muss: Die dargestellten Studien betrachten ausschließlich die potenziell negativen Beschäftigungseffekte und nicht die Tatsache, dass durch technischen Fortschritt auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Gemeinsam bleibt den Analysen, dass bestimmte Berufsgruppen (bzw. Beschäftigte mit niedriger und/oder mittlerer Qualifikation mit hohem Routineanteil) höhere Risiken aufweisen als Hochqualifizierte, die tendenziell in allen Studien als Gewinner von Automatisierungsprozessen beschrieben werden.
Umfassender hat die Beschäftigungseffekte für Deutschland eine Studie von Enzo Weber analysiert – allerdings nur für den Industriebereich. Er kommt zu dem Schluss: „Entgegen Befürchtungen eines massenweisen Arbeitsplatzabbaus sind die Nettoeffekte auf die Beschäftigung bis 2030 gering. Die dahinterliegenden Verschiebungen innerhalb von Berufsgruppen und Qualifikationsstufen fallen allerdings deutlich höher aus und erfordern eine aktive Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik“. Zunehmen werde auch die Arbeitsmarktdynamik – und damit verbunden auch die Zugänge in die Arbeitslosigkeit. Gefragt seien hier vor allem gezielte Aus- und Weiterbildungsangebote und gezielte Investitionsförderungen.
Nicht Mangel, sondern Verteilung als Herausforderung der Zukunft
Wenn es um die Konsequenzen aus der Automatisierungsdebatten geht, macht David Autor einen wichtigen Punkt, der oft übersehen wird: „if human labour is indeed superfluous by automation, then our chief economic problem will be one of distribution, not scarcity“. Denn in der Marktwirtschaft funktioniert Verteilung primär über den Arbeitsmarkt. Sollten Maschinen menschliche Erwerbsarbeit zunehmend überflüssig machen, hätten wir ernsthafte neue Herausforderung, den angehäuften Wohlstand zu verteilen.
Ableitungen
Zusammenfassend kann man festhalten: Wie sich Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt auswirkt, ist eine Frage der politischen Gestaltung. Durch fortschrittliche Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung, die Regulierung neuer Arbeitsformen, den Ausbau eines inklusiven Sozialstaates und gezielte Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen kann man negative Effekte für Betroffene und die Gesellschaft abfedern. Dazu gehört insbesondere, den Menschen Zeit und Geld für Weiterbildung zu geben. Etwa durch einen Rechtsanspruch auf eine existenzsichernde Leistung während der Ausbildung („Qualifizierungsgeld“) und die stärkere Berücksichtigung von formal geringqualifizierten ArbeitnehmerInnen bei Aus- und Weiterbildungen, um einer zunehmenden Segmentierung auf dem Arbeitsmarkt entgegenzuwirken.
Damit Digitalisierung positive Effekte für die Beschäftigten bringt, müssen diese an den Produktivitätsgewinnen beteiligt und die Chancen des Strukturwandels zur Schaffung guter Arbeitsbedingungen genutzt werden. Sollte menschliche Erwerbsarbeit in Zukunft tatsächlich vermehrt automatisiert werden, wird unser wichtigstes ökonomisches Problem mehr denn je eine Verteilungsfrage sein. Konkret heißt das, etwa den technischen Fortschritt für innovative Formen der Arbeitszeitverkürzung zu nutzen und Arbeitseinkommen durch entsprechende Lohnpolitik an den Produktivitätsgewinnen zu beteiligen.