Eine aktuelle umfangreiche Makro-Studie für Deutschland analysiert die Folgen von Industrie 4.0 auf den Arbeitsmarkt. Entgegen Befürchtungen eines massenweisen Arbeitsplatzabbaus sind die Nettoeffekte auf die Beschäftigung bis 2030 gering. Die dahinter liegenden Verschiebungen innerhalb von Berufsgruppen und Qualifikationsstufen fallen allerdings deutlich höher aus und erfordern eine aktive Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik.
Industrie 4.0 und der Arbeitsmarkt
Die neueste Welle des technologischen Fortschritts wird intensiv unter dem Namen “Industrie 4.0” diskutiert. Nach den bisherigen industriellen Revolutionen geht es nun um die Vernetzung der virtuell-digitalen und physischen Welt sowie maschinelles Lernen in der Produktion. Einbezogen werden Maschinen, Produkte, Informations- und Kommunikationssysteme sowie der Mensch. Ziel ist, dass die Wertschöpfungskette, auch über Betriebsgrenzen hinaus, vollständig digital gesteuert werden beziehungsweise sich selbstorganisiert steuern kann. Eine effizientere, flexiblere und individuellere Produktion soll das Ergebnis sein.
Damit einher gehen Diskussionen um die Zukunft der Arbeit unter diesen Bedingungen. Mit sehr unterschiedlichen Positionen: Auf der einen Seite stehen Befürchtungen eines massenweisen Jobverlustes, wenn heutige Berufe durch vernetzte Roboter überflüssig gemacht werden. Auf der anderen Seite Glanzbilder von großen Beschäftigungs- und Innovationsgewinnen und einer Entlastung der ArbeitnehmerInnen.
Technologischer Fortschritt ist so alt wie die Menschheit, und zumindest bisher ist die Arbeit nicht ausgegangen. Natürlich tendiert jede Generation nur allzu leicht dazu, das vor ihr Liegende als qualitativen Sprung zu deuten, der alle bisherigen Gesetze und Reaktionsmuster obsolet macht.
Einerseits liegt man damit aber regelmäßig falsch. Oder meinen wir wirklich, dass der technologische Fortschritt gerade jetzt damit beginnt, Arbeit massenhaft zu reduzieren, während er das über Jahrtausende nicht getan hat? Andererseits darf man es sich aber auch nicht zu leicht machen: So ging der Wandel weg von herkömmlicher Fabrikarbeit seit den 70er Jahren mit einem starken Aufbau struktureller Arbeitslosigkeit vor allem von Niedrigqualifizierten einher.
Eine umfangreiche Makro-Studie für Deutschland
Die Breite dieser Einschätzungen zeigt vor allem eines: Für eine umfassende Bewertung der ökonomischen Wirkungen von Industrie 4.0 ist eine Vielzahl von Effekten zu berücksichtigen; das Verschwinden von Arbeitsplätzen ebenso wie die Schaffung von Neuem, Wandlung von Anforderungen, effizientere Prozesse und neue Produkte, volkswirtschaftliche Kreislaufzusammenhänge, Anpassungen von (Arbeits-) Angebot und Nachfrage, Preis- und Mengenreaktionen.
Eine solche breit angelegte Studie für Deutschland haben das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, das Bundesinstitut für Berufsbildung und die Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung vorgelegt. Die grundsätzlichen Schlussfolgerungen sollten dabei auch für Österreich relevant sein. Während sich die Ökonomien in bestimmten Punkten (wie dem Außenhandelssaldo) unterscheiden, sind wesentliche Merkmale wie die Rolle der Industrie oder das berufliche Ausbildungssystem vergleichbar.
Die Idee ist, ein komplexes gesamtwirtschaftliches Modell für eine Industrie-4.0-Szenarioanalyse zu verwenden. Herangezogen wird das Modell aus dem QuBe-Projekt, welches eine umfassende makroökonomische Modellierung mit einem detailliert abgebildeten Arbeitsmarkt verbindet. Letzterer gliedert Arbeitsangebot und -nachfrage nach Branchen, Berufen und Qualifikationen. Funktionaler Kern ist ein Matchingmodul, das berufliche Flexibilitäten zulässt sowie Rückwirkungen über Lohn- und Preisreaktionen generiert.
Als Referenz dient ein Basisszenario, das technologischen Fortschritt in üblichem Umfang – aber keine spezielle Realisierung von Industrie 4.0 – berücksichtigt. Dabei ergibt sich bis 2030 eine steigende Arbeitsnachfrage ausschließlich im Bereich tertiärer (im Wesentlichen Hochschul-)) Qualifikationen. Nach der aus dem Modell absehbaren Entwicklung wird das mit der Studierneigung deutlich wachsende Angebot aber nicht vollständig aufgenommen.
Im mittleren Qualifikationsbereich treten dagegen Engpässe auf, weil das Angebot an Fachkräften vor allem demographisch bedingt stärker sinkt als der Arbeitskräftebedarf. Der niedrigqualifizierte Bereich schrumpft insgesamt leicht, die Unterbeschäftigungssituation entspannt sich aber nicht. Die Engpässe verschärfen sich mit dem demographischen Wandel im Gesundheits- und Pflegebereich, aber auch in typischen Produktionsberufen.
Ergebnisse der Modellierung
Das Alternativszenario soll nun über zahlreiche Komponenten wie Investitionen, Produktivität, Berufe und Tätigkeiten sowie Nachfrage Industrie 4.0 ökonomisch erfassen.
Im Szenario ergibt sich eine zunehmende Wertschöpfung, die bei steigender Produktivität und höheren Anforderungen an die ArbeitnehmerInnen vor allem in wachsenden Lohnsummen resultiert. Beim Beschäftigungsbestand zeigen sich keine wesentlichen Änderungen; in der Summe ist Industrie 4.0 also weder eine Jobmaschine noch eine Beschäftigungsvernichterin.
Dahinter kommt es allerdings zu deutlichen Bewegungen: In den aus 54 Berufsfeldern und 63 Wirtschaftszweigen bestehenden Zellen gehen innerhalb von zehn Jahren über das Basisszenario hinaus 490.000 Arbeitsplätze verloren, während anderweitig 430.000 neu geschaffen werden.
Auf- und Abbau von Arbeitsplätzen im Vergleich zum Basisszenario