Das Recht auf Wohnen für die Vielen gerät in Österreich immer mehr unter Druck. Vom Wohnbauboom profitieren einige Wenige, während die Vielen einem unmittelbaren Mangel an leistbaren, stabilen und zugänglichen Wohnungen gegenüberstehen. Armutsgefährdete Menschen und Personen mit Flucht- oder Migrationshintergrund sind im Besonderen von Ausschlüssen und Benachteiligungen betroffen. Welche wichtigen Weichen jetzt gestellt werden müssen, damit das Menschenrecht auf Wohnen für die Vielen durchgesetzt werden kann, wurde kürzlich auf der Stadttagung „Wohnen für die Vielen“ diskutiert.
Österreichisches Volkswohnungswesen
„Alle haben das Recht auf einen Lebensstandard, der ihnen und ihren Familien Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, […]“ – so hält der 25. Artikel der UN-Menschenrechtserklärung das Recht auf Wohnen für alle schriftlich fest. Auch in der Europäischen Sozialcharta findet sich das Recht auf Wohnen, definiert als Schutz vor Obdachlosigkeit und tragbaren Wohnkosten für alle. Diese Charta wurde zwar grundsätzlich von Österreich unterschrieben, jedoch der betreffende Artikel zum „Recht auf Wohnen“ nicht ratifiziert. In Österreich handelt es sich bei dem Recht auf Wohnen also nicht um ein einklagbares Recht und es ist auch nicht in dieser Form in der Verfassung festgehalten. Jedoch befindet sich in der Verfassung das „Österreichische Volkswohnungswesen“. Gemeint ist damit die Aufgabe des Staats, Wohnraum für die finanziell benachteiligten Bevölkerungsgruppen bereitzustellen. Auf diesem Verfassungsrecht basiert etwa die Wohnungsgemeinnützigkeit, aber auch die Regulierung des privaten Markts durch Mietrechtsgesetze mit dem Ziel der höheren Leistbarkeit für die Vielen. Ein Blick auf die tatsächliche Umsetzung des österreichischen Volkswohnungswesens zeigt jedoch ein ernüchterndes Bild. Es steht nicht gut, um die Bereitstellung von Wohnraum für die finanziell benachteiligte Bevölkerung in der derzeitigen Situation.
Betongold statt Recht auf Wohnen
Fast jede dritte Person in Österreich befürchtet in naher Zukunft in Zahlungsschwierigkeiten durch die Wohnkosten zu geraten. Diese erschreckend hohe Anzahl an Menschen mit massiven Wohnsorgen steht einerseits in Zusammenhang mit der allgemeinen Teuerungswelle. Andererseits befindet sich die Entwicklung der Kauf- und Mietpreise von Wohnungen, gerade in den Städten, schon seit vielen Jahren im konstanten Steigen. In Wien sind die Kaufpreise seit 2008 um 153% und die Mietzinse bei privaten Neuverträgen um 67% Prozent gestiegen. Diese Preisanstiege liegen weit über der allgemeinen Inflation und den Erhöhungen der Löhne. Hinter diesen Dynamiken liegt ein Wohnungsmarkt, der von Investments geprägt ist. Einerseits gibt es in Wien einen Boom an Neubautätigkeit. Zum Großteil werden freifinanzierte Wohnungen zu Luxuspreisen gebaut, während der Anteil an gefördertem Wohnbau stark zurückgeht. Zwischen 2018 und 2021 liegt er bei nur mehr 34%. Zum Vergleich: 1994 kamen in Wien noch rund sieben geförderte Wohnungen auf eine frei finanzierte, heute ist es nicht einmal mehr eine ganze. Außerdem boomt auch der Markt mit Altbau-Zinshäusern. Die Restbestände an unbefristeten und leistbaren Mietverträgen schwinden dahin. Die Folge ist, dass massive Übergewinne der Immobilienbranche enormen Leistbarkeitsproblemen und Unsicherheiten der Mieter:innen gegenüberstehen.
Stabilität, Zugänglichkeit und Leistbarkeit in Gefahr
Befristungen von Mietverträgen haben sich als neue Norm durchgesetzt und bringen die Stabilität von Wohnverhältnissen in Gefahr. In Österreich gab es 2021 bereits über 347.000 befristete Mietverträge im privaten Segment. Das heißt: Österreichweit ist beinahe jede zweite Bestandsmiete im privaten Segment befristet und in Wien sind es bereits fast zwei Drittel der privaten Neuvertragsmieten. Aber auch die Zugänglichkeit von Wohnraum ist bedroht. Wer sich aktuell auf Wohnungssuche befindet, muss, verglichen mit bereits bestehenden Mietverhältnissen, mit eklatant höheren Wohnkosten rechnen. Die Neuvertragsmieten – vor allem im privaten Bereich – liegen in Wien 2021 um rund 50% über dem Durchschnitt im Bestand. Der soziale Wohnbau bietet hier eine günstigere Alternative, jedoch ist der Zugang nicht für alle Menschen gleichermaßen gegeben. Zugangsbarrieren sind hier je nach Bundesland an Staatsbürgerschaft, Aufenthaltsstatus, Aufenthaltsdauer oder sogar Deutschkenntnisse gekoppelt. Schließlich ist auch die Leistbarkeit von Wohnen massiv in Gefahr. Zu den seit Jahren anhaltenden Preissteigerungen kommen aktuell auch noch die Richtwert- und Kategorieanhebungen im Zuge der allgemeinen Teuerung hinzu. Enorme Belastungen für die Haushalte sind die Folge. Aktuelle Zahlen der Statistik Austria zeigen, dass in Österreich rund 1,9 Mio. Menschen innerhalb der kommenden drei Monate Zahlungsschwierigkeiten rund ums Wohnen erwarten. Also fast jede dritte Person zwischen 16- bis 69-Jahren.
Teuerung trifft alle, jedoch manche besonders hart
Belastungen und prekäre Wohnsituationen sind in der Gesellschaft nicht gleich verteilt. Menschen mit geringeren Einkommen oder Flucht- oder Migrationshintergrund haben es bei der Wohnungssuche besonders schwer und sind besonders häufig von belastenden Wohnsituationen betroffen. Österreichweit müssen mehr als 1,3 Millionen Menschen mit einem Monatseinkommen unter 1.370€ auskommen. Somit ist jede siebte Person in Österreich armutsgefährdet. Während unter österreichischen Staatsbürger:innen etwa jede zehnte Person betroffen ist, ist bereits jede dritte Person mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft armutsgefährdet, in der Gruppe der Staatsbürger:innen außerhalb der EU sogar beinahe jede zweite.
Überbelastung mit Wohnkosten
Das hat unmittelbare Konsequenzen in Hinblick auf die Wohnkosten. Wenn mehr als 40% des Monatsbudgets für die Wohnkosten aufgebracht werden muss, besteht eine Wohnkostenüberbelastung. Menschen in Städten sind gegenüber dem österreichischen Schnitt doppelt so häufig wohnkostenüberbelastet. Und auch nach Staatsbürgerschaft zeichnet sich ein deutliches Gefälle ab: Menschen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft sind dreimal so oft wohnkostenüberbelastet wie österreichische Staatsbürger:innen.
Wohnen auf wenig Raum
Die fehlende Leistbarkeit von Wohnraum muss häufig mit Einbußen an Platz kompensiert werden: Wiener:innen ohne Migrationshintergrund haben durchschnittlich 43m2 pro Kopf zur Verfügung, mit Migrationshintergrund aus der EU nur 35m2 und aus Drittstaaten nur 28m2. In Zahlen wird räumliche Enge als Überbelag gemessen. Von überbelegten Wohnungen spricht man, wenn Personen im Haushalt kein eigenes Zimmer von mehr als acht Quadratmeter zur Verfügung steht oder die Wohnfläche pro Person weniger als 16m2 beträgt. Unter österreichischen Staatsbürger:innen sind nur drei Prozent von Überbelag betroffen, in der Gruppe mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft allerdings jede fünfte Person, mit Staatsbürgerschaften außerhalb der EU sogar beinahe jede dritte Person.