Auf dem Wiener Bodenmarkt ist nicht nur ein enormer Preisanstieg, sondern auch eine eindeutige Verschiebung von öffentlichen Einrichtungen, gemeinnützigen Bauvereinigungen und Privatpersonen hin zu Privatunternehmen zu beobachten. Boden ist unverzichtbar für die Befriedigung vieler Bedürfnisse des alltäglichen Lebens, allen voran Wohnraum. Um den hohen Anteil sozialer Wohnungen in Wien zu sichern, braucht es Maßnahmen gegen die gewinnorientierte Nutzung von Boden und gemeinwohlorientierte Eigentumsformen.
In Wien lebt etwa die Hälfte der Menschen in Gemeindewohnungen oder gemeinnützigen Wohnungen. Beide zeichnen sich durch niedrigere Mieten als auf dem privaten Markt aus. Eine gute Ausgangslage – trotzdem steigt die Wohnkostenbelastung in Wien, vor allem auf dem privaten Mietmarkt.
Steigende Mieten werden oft mit einer hohen Nachfrage durch zum Beispiel Bevölkerungswachstum erklärt. Ein viel zitierter Lösungsweg: „Bauen, bauen, bauen“ zur Ausweitung des Angebots (wie zuletzt hier). Dieser Ansatz ist nicht nur klimaunverträglich, denn der durch Neubau induzierte Flächenverbrauch und die damit einhergehende Bodenversiegelung zählt zu einem der drängendsten Umweltprobleme unserer Zeit, er führt auch am eigentlichen Problem vorbei. Das ist nämlich viel grundlegender als eine bloße Wohnungsknappheit, da hinter der Wohnungskrise eigentlich eine Bodenkrise steckt. Dieser Studie zufolge können Grundstückspreise 80 Prozent des Immobilienpreisanstiegs (in 14 Staaten des Globalen Nordens zwischen 1950 und 2012) erklären. Wenn Grundstückspreise steigen, erschwert das den Bau leistbarer Wohnungen für Bauträger:innen aller Art, was wiederum einer gerechten Verteilung von Wohnraum im Weg steht.
Bodenpreise steigen trotz Überangebot an Wohnungen
Die Erzählung, dass der Bau neuer Wohnungen notwendigerweise zu einer Entspannung auf dem Wohnungs- und Bodenmarkt führt, hat ihren Ursprung in der neoklassischen Wirtschaftstheorie: Diese geht davon aus, dass Grund und Boden ebenso wie Kapital (also produzierte Produktionsmittel sowie Finanzmittel für Investitionen) unmittelbar auf den Druck von Angebot und Nachfrage reagieren. In dieser Logik werden Preissteigerungen auf eine Angebotsknappheit zurückgeführt, der mit einer Erhöhung des Angebots entgegengewirkt werden kann, bis sich der Preis wieder im „Gleichgewicht“ befindet. Im Falle steigender Wohnungs- und Bodenpreise entspricht eine solche Erhöhung des Angebots dem Bau neuer Wohnungen oder dem Ausweisen von zusätzlichem Bauland.
In Wien ist die Bevölkerung bis 2017 tatsächlich schneller gewachsen als das Wohnungsangebot. Seit einigen Jahren wird jedoch mehr gebaut, als rein quantitativ eigentlich gebraucht würde. Ein solches Überangebot hätte eigentlich zu sinkenden Preisen führen sollen, aber die sind immer weiter gestiegen: Die diesem Artikel zugrunde liegende Auswertung der Kaufpreissammlung Liegenschaften Wien zeigt, dass sich die Preise für Wohnbauland (also unbebaute Grundstücke und Abbruchobjekte mit Wohnbaulandwidmung) zwischen 2000 und 2019 mehr als verdoppelt haben. Insbesondere nach der Finanzkrise im Jahr 2008 haben die Preise angezogen und stiegen in nur zehn Jahren von 395 auf 967 Euro/m2 im Jahr 2019.
Boden als Handelsware
Aufgrund besonderer Merkmale von Grund und Boden gelten für Grundstücke nicht dieselben Preismechanismen wie für andere Produktionsfaktoren: Boden ist unbeweglich, unvermehrbar und sein Wert steigt mit der Zeit – ganz ohne anfallende Kosten. Da Boden nicht produziert wird, basiert sein Preis nicht auf Herstellungskosten, sondern allein auf der Spekulation auf Erträge, die er abzuwerfen verspricht, zum Beispiel aufgrund einer besonders attraktiven Lage. Dieser Ertrag wird auch durch den Begriff der ökonomischen Rente beschrieben. Das ist der Ertrag, der nach Abzug der Produktionskosten vom Preis eines Produkts übrig bleibt, sozusagen ein leistungsloser Gewinn. Im Falle des Bodens entsteht der Grundstückswert durch öffentliche Leistungen, zum Beispiel durch wertsteigernde Grundstückswidmungen in der Bauordnung oder städtebauliche Maßnahmen, die bestimmte Lagen besonders attraktiv machen. Bodenrente ist dann der Gewinn, der den Grundeigentümer:innen ganz ohne Gegenleistung allein durch den Grundbesitz zugutekommt (z. B. in Form von Mieterträgen oder Pacht).
Die Unvermehrbarkeit des Bodens führt zur Entstehung hoher Bodenrenten, sodass er unabhängig von der Nutzung als Geldanlage nachgefragt wird. Weil diese Nachfrage nicht mit einer Angebotserhöhung erwidert und so ein Gleichgewichtspreis hergestellt werden kann, führt erhöhte Nachfrage nach Boden zu immer weiteren Wert- und Preissteigerungen. Während sich Anleger:innen über hohe Gewinne freuen können, führt die zweckentfremdete Nutzung dazu, dass die sinngemäße Nutzung z. B. als physische Grundlage für Wohnraum unleistbar wird – Boden sollte deshalb nicht als Ware, sondern als Gemeingut behandelt werden.
Bodenpreise steigen, wenn Private den Markt dominieren
Das Gegenteil ist jedoch der Fall, denn private Unternehmen dominieren zunehmend den Wohnbaulandmarkt. Privatunternehmen sind hier definiert als juristische Personen des Privatrechts, wie beispielsweise GmbHs. Deren Anteil an gekauften Flächen stieg von 51 Prozent im Zeitraum 2000 bis 2004 auf 71 Prozent im Zeitraum 2017 bis 2020. In absoluten Zahlen entspricht das einem Anstieg von durchschnittlich 35 auf 58 Hektar pro Jahr. Im 21. und 22. Bezirk, den Bezirken mit den meisten Flächenverkäufen, stieg der jährliche Flächenumsatz (die Summe der Fläche, die in einer bestimmten Zeit Eigentümer:in wechselt) privater Unternehmen um 807 Prozent.