Irrsinn am Wohnungsmarkt: zu viel Angebot, trotzdem steigende Preise

12. November 2021

Mit Höhepunkt im Jahr 2015 wuchs die Bevölkerung Wiens stärker als prognostiziert. Klar, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt stieg und die Mieten teurer wurden. Reagiert wurde mit einer beachtlichen Neubauleistung, seit 2017 pendelt sich allmählich auch das Bevölkerungswachstum wieder ein. Doch warum gibt es keine Entspannung in der Preisentwicklung?

Die wachsende Stadt

Wien ist im letzten Jahrzehnt gewachsen. Das zum Teil sehr schnell und in einem Ausmaß, das keine Prognose vorhergesehen hat. Wien ist dadurch bunter, deutscher, ungarischer, steirischer, orientalischer, aber auch viel jünger geworden. Gerade die Verjüngung war sehr deutlich, nämlich direkt vom Pensionist:innenklub Österreichs zum Jugendzentrum des Landes. Junge Menschen aber tun sich gerne auch pärchenweise zusammen, was oft nicht ohne Folgen bleibt und somit das Bevölkerungswachstum weiter antreibt. Erstmals seit Jahrzehnten werden in Wien mehr Menschen geboren als sterben.

Wohnbedarf konnte nicht gedeckt werden

Wenn mehr Menschen in der Stadt sind, hat das auch Folgen für den Wohnungsmarkt. Nicht jede:r braucht eine eigene Wohnung, aber in der jetzigen Situation kann man davon ausgehen, dass sich durchschnittlich zwei Menschen eine Wohnung teilen. Das heißt etwa, dass zum Höhepunkt des Bevölkerungswachstums im Jahr 2015 mit etwa 42.000 neuen Wiener:innen etwa 21.000 neue Wohnungen notwendig gewesen wären. Dieser Wohnbedarf konnte jedoch weder 2015 noch in den anderen Jahren des hohen Bevölkerungswachstums geschafft werden. Man denke allein an die langen Vorlaufzeiten von Bauprojekten.

Die Folgen davon haben alle gespürt, die auf Wohnungssuche waren, denn der Wohnungsmarkt hat reagiert: Wohnraum wurde knapper und damit kostbarer. Da aber Wien einen sehr großen Bestand an geförderten und preisgeregelten Wohnungen hat, wurde diese Marktreaktion sehr unterschiedlich bezahlt: die einen, die am privaten Markt gesucht haben, mussten viel mehr Geld bezahlen – Mieten wurden (oft auch illegal) deutlich teurer. Die, die eine geförderte Wohnung gesucht haben, haben das mit längeren Wartezeiten bezahlt. Das ist nicht gut, aber wenigstens eine nachvollziehbare Marktreaktion: Mehr Nachfrage als Angebot führt zu höheren Preisen.

Entspannung am Wohnungsmarkt?

Die Situation hat sich aber in den letzten Jahren grundsätzlich geändert, seit 2017 schaut die Welt wieder anders aus. Die Stadt hat die geförderte Bauleistung erhöht und die Wohnbauoffensive führt seither zu steigender Bauleistung im geförderten Wohnbau. Parallel dazu ist ein Bauboom bei den Privaten losgebrochen. Durch die extreme Niedrigzinsphase sind viele auf der Suche nach sicheren Anlagen, und der Run aufs „Betongold“ erreicht ungeahnte Dynamik. Gleichzeitig geht das Bevölkerungswachstum deutlich zurück und liegt wieder bei Werten um die 10.000 pro Jahr, die etwa den ursprünglichen Prognosen entsprechen. Die letzten zwei Jahre sind für diese Entwicklung sehr typisch: 2019 zogen 13.700 neue Wiener:innen zu, diese bräuchten 6.850 neue Wohnungen. Fertiggestellt wurden über 15.000 Wohnungen, also mehr als doppelt so viele wie der Bedarf im selben Jahr. 2020 setzt noch eins drauf: Für 10.000 Zugezogene, die 5.000 Wohnungen brauchen, wurden über 17.000 errichtet, also mehr als der dreifache Bedarf.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Wohnen bleibt zu teuer

Dass ein paar Jahre lang mehr Wohnungen gebaut werden, als unbedingt gebraucht werden, ist ja nicht unbedingt etwas Schlechtes. Im Gegenteil, weil es einen gewissen Nachholbedarf aus den Jahren mit dem sehr hohen Bevölkerungswachstum gibt. Was aber wirklich übel ist, ist die Reaktion des Marktes: Als zu wenige Wohnungen gebaut wurden, stiegen die Preise. Das ist nicht schön, aber verständlich. Nun werden schon längere Zeit zu viele Wohnungen gebaut, und die Reaktion des Marktes ist wieder: Es steigen die Preise! Seit 2016 sind jedes Jahr gleich viele oder deutlich mehr Wohnungen gebaut worden, als vom Bevölkerungswachstum her notwendig gewesen wären. In dieser Zeit sind die Preise von Eigentumswohnungen um 25 Prozent gestiegen und die Mietzinse bei Neuvermietung um fast 15 Prozent. Ein funktionierender Wohnungsmarkt hätte bei so einem deutlichen Überangebot mit deutlich sinkenden Preisen reagieren müssen. Funktioniert der Markt nicht oder gibt es noch andere Aspekte?

Sozialer und ökologischer Irrsinn

Das Problem ist, dass sehr viel gebaut wird, aber leider nicht für den Wohnungsmarkt. Für den werden primär geförderte Wohnungen errichtet. Diese machen aber im Moment nur etwa ein Drittel der Bauleistung aus. Die frei finanzierten, oft als Investor:innenprojekte errichteten Privatwohnungen haben ihren eigenen Markt, der nicht unbedingt der Wohnungsmarkt ist. Es ist eher ein Markt für „betonierte Sparbücher“, der die enormen Geldmengen absorbiert, deren Besitzer:innen im Moment nach Anlagemöglichkeiten suchen. International dominieren für große Guthaben schon die Negativzinsen, da sind ein paar Wohnprojekte ja ein sicherer Hafen. Und weil so viel Geld auf diesen Markt drängt, steigen die Preise. Man muss nicht einmal vermieten, um jedes Jahr Gewinn zu machen. Das facht zusätzliche Investor:innenprojekte an und treibt die Bodenpreise weiter rauf, was wiederum geförderten leistbaren Wohnbau unmöglich macht. Im Endeffekt entsteht eine drastische soziale und ökologische Fehlentwicklung, weil viele dieser betonierten Sparbücher leer stehen oder nicht ausreichend zum Wohnen genutzt werden. Es ist höchste Zeit, diesem Irrsinn politisch ein Ende zu setzen. Dazu gibt es einige Möglichkeiten:       

  • Der Bundesgesetzgeber soll die gesetzlichen Grundlagen für die Erhebung und Sanktionierung des Wohnungsleerstandes in den Ballungsgebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt schaffen. Bei mehr als sechs Monate dauerndem Leerstand soll der Bund den Gemeinden die Kompetenzen und Möglichkeiten zur Einhebung einer Leerstandsabgabe übertragen (Ausnahmen z. B. nachweisbare Sanierungsarbeiten).
  • Zu verwertende Grundstücke des Bundes sollen nicht mehr an freie Wohnungsunternehmen verkauft werden. Sie sind für den geförderten Wohnbau bereitzustellen. Das betrifft Bahn, Heer, Bundesforste etc.
  • Die Wohnbauförderung von neuen Wohnhäusern soll zielgerichteter und nachhaltiger gestaltet werden. Ab sofort sollen ausschließlich Genossenschaften, gemeinnützige Bauvereinigungen und kommunale Bauträger Wohnbauförderung beantragen können.
  • Befristete Mietverträge wirken als automatischer Preistreiber und belasten die Mieter:innen. Es braucht daher eine grundsätzliche Abschaffung von Befristungen und eingeschränkte, sinnvolle Ausnahmen für den Eigenbedarf.

Die Langfassung des Artikels ist in der Zeitschrift AK Stadt: „Was kostet Wohnen“, Ausgabe 03/2021 erschienen.

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