Kindergruppen stehen leer, weil Elementarpädagog:innen fehlen. Eltern lernen regelmäßig am Nachmittag mit ihren Kindern oder kaufen sich mit Nachhilfe frei, weil das Schulsystem die Bildungsziele nicht erreicht. Kinder werden vom Schulessen abgemeldet, weil Eltern das Geld fürs Heizen brauchen. Unis schränken aus Spargründen den Betrieb (und die Heizung) ein. Die Probleme im Bildungssystem wachsen, aber nichts deutet darauf hin, dass Österreichs Politik sie 2023 offensiv angeht oder überhaupt anerkennt. Wieder einmal.
Das blüht uns 2023: Krisenverwaltung
Für den Schulerfolg ist in Österreich entscheidend, ob die Eltern über ausreichend Zeit, Geld und Bildungskapital verfügen, um ihre Kinder unterstützen und begleiten zu können. Der soziale Hintergrund der Eltern und ihre Klassenlage schlagen im OECD-Vergleich viel mehr auf den Bildungserfolg der Kinder und ihr Fortkommen durch als dies in anderen Staaten der Fall ist. Der Schulerfolg ist im hohen Ausmaß privatisiert. In einem System der Halbtagsschulen verbringen die Kinder zu wenig Zeit beim gemeinsamen Lernen, um den unterschiedlichen Voraussetzungen individuell gerecht zu werden und Chancengerechtigkeit durchzusetzen. Eine Mangelverwaltung durch zu wenige Pädagog:innen, ministerielle Verweigerung und fehlende Investitionen in Bildungsinfrastruktur schaffen kein Umfeld, in dem das Bildungsversprechen „Wir lassen kein Kind zurück“ auch nur ansatzweise eingelöst werden kann.
Kommt zu diesen Systemfehlern des Bildungssystems nun auch noch eine massive Teuerungswelle hinzu, hat dies nicht nur dramatische Auswirkungen auf die individuellen Teilhabechancen der Kinder selbst, sondern bestehende Ungerechtigkeiten werden weiter verschärft. Die durch die Corona-Lockdowns sich weiter öffnende Bildungsschere wird zu wenig angegangen. Soziale Ungleichheit schlägt sich bis zur gesundheitlichen Versorgung bei den horrenden psychischen Belastungen durch, denen junge Menschen ausgesetzt sind. So werden individuelle Zukunftschancen zerstört, weil nicht rechtzeitig in den Auf- und Ausbau des benötigten Personals und guter Arbeitsbedingungen investiert wurde. Die polit-mediale Debatte über den sogenannten Fachkräftemangel gerät dann zur Farce, wenn man bedenkt, dass weiterhin
- die Kinderbildung bzw. -betreuung keine jährliche Milliarde wert ist,
- die öffentlichen Ausgaben für Erwachsenenbildung relativ sinken,
- die mangelnde Qualität in der Lehrausbildung die zukünftigen Fachkräfte vertreibt
- und auch Unternehmen selbst immer weniger in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter:innen investieren.
Organisierte Diskursverweigerung
Angesichts dieser vielfältigen Krisen müsste Politik und Öffentlichkeit im ständigen Aufschrei sein. Mitnichten, bildungspolitisch droht den Schüler:innen, Pädagog:innen und Eltern auch nächstes Jahr inhaltlicher Stillstand. Öffentliche Debatten über Lösungsmöglichkeiten und neue Wege im Bildungssystem dürften auch 2023 auf wenig Resonanz stoßen, weil angefangen vom Ministerium zentrale Akteure kein Interesse daran haben: Man beobachtet, bespielt Belanglosigkeiten, beschwichtigt, betreut die Interessen von Besitzstandswahrern und hält sich von all dem fern, was eine liberale, aufgeklärte, wissenschaftsaffine Öffentlichkeit zu Bildungs- und Ausbildungsfragen ständig beiträgt. Kein Interesse. Keine Replik. Beruhigung durch Abwesenheit. Eine Kultur der Zögerlichkeit gemixt mit Inspirationslosigkeit, in der auf dem Rücken von Eltern, Pädagog:innen und Kindern nur mehr mediale Rückzugs- und bürokratische Scheingefechte stattfinden. Wo auf Probleme und Ideen nicht mal reagiert wird, richtet sich der Stillstand im System gefährlich auf Dauer ein. Das geht nicht nur zulasten unserer Kinder, sondern auch zulasten des Wirtschaftsstandorts.
Ausdruck dieses Vakuums ist das beschlossene Bildungsbudget: Anstatt massiv in Österreichs Zukunft zu investieren und die gröbsten strukturellen Ungerechtigkeiten anzugehen, geht das 2023 erhöhte Budget im Grunde nur auf das Konto gestiegener Personalausgaben im Zuge der Inflation. Wo ist z.B. die dringend notwendige Schulfinanzierung nach dem Chancenindex, um jenen Schulstandorten unter die Arme zu greifen, die besonders große Herausforderungen haben? Auch angesichts milliardenschwerer, oft ungerechtfertigter Hilfszahlungen im Zuge von Corona grenzt es an institutionalisierter Zukunftsvergessenheit, wie hier im Bildungsbereich nicht agiert wird.
Hinzu kommt eine ostentative Ignoranz gegenüber wissenschaftlicher Kritik: Die Empfehlungen jener Evaluation der Implementierung des Deutschfördermodells, die vom Ministerium selbst in Auftrag gegeben wurde, werden nur mit einem „weiter so“ goutiert. Das ist nicht nur eine skandalöse Geringschätzung der wissenschaftlichen Arbeit hinter dieser Studie, sondern auch jener 693 Personen aus 93 Schulen, die an der Befragung teilgenommen haben und sich dadurch auch eine Weiterentwicklung der Deutschförderklassen zurecht erhofften. Diese Art des Umgangs mit Wissenschaft und den Pädagog:innen zerstört Vertrauen, Motivation und damit die Responsivität des Bildungssystems.
Aufbruch organisieren
Umso mehr wird es an uns allen liegen, Vorschläge für evidenzbasierte Politikgestaltung zu entwickeln, die wirklich an den Interessen und Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen ansetzen. Es wird an uns allen liegen, um sie herum unser Bildungssystem so zu organisieren, dass es Eltern aus einem System der privatisierten Bildung der Halbtagsschulen befreit und endlich jene Arbeitsbedingungen in Kindergärten, Schulen, Lehrwerkstätten, Universitäten und Orten der Weiterbildung geschaffen werden, in denen unterrichtende Kolleg:innen auch gute und wirkmächtige Arbeit leisten können. 2023 wird es auch darum gehen, diesen Vorschlägen nicht nur erneute Aufmerksamkeit zu verschaffen, sondern gesellschaftliche Durchschlagskraft. Es braucht Druck aus allen Richtungen auf das schulpolitische Mehrebenensystem, damit der bildungspolitische Aufbruch nicht länger verzögert wird und im institutionell-föderalem Blame-Game versinkt.
Weil: Unter den tagespolitischen Nebelfetzen an inhaltlicher Belanglosigkeit, politischer Selbstreferenz und auch Arbeitsverweigerung gärt es. Nicht nur Elementarpädagog:innen und Student:innen tragen immer öfter ihren Wut auf die Straßen, weil die Arbeitsbelastungen steigen und die offizielle Politik an europäischen Zielvorgaben scheitert. Es wird an uns – Interessensvertreter:innen, Schüler:innen, Lehrlingen, Pädagog:innen – selbst liegen, Verbesserungen 2023 öffentlich zur Sprache zu bringen. Nur so schaffen wir es, Bildungsteilhabe und -gerechtigkeit im Interesse der Kinder und Jugendlichen zur Priorität zu machen und auch ihre vereinte, vielfältige Stimme zu sein. Weil Bildung DIE Chance zur umfassenden Weltaneigung ist und die Politik die Verpflichtung hat, dass jedes Kind dazu ermächtigt und dabei mitgenommen wird.