Die Debatten über grundlegende Verbesserungen im Bildungssystem sind in den letzten Jahren in Österreich weitgehend eingeschlafen. Schlimmer: Sie werden systematisch ausgespart. In den Vordergrund werden Beiläufigkeiten gestellt, gleichzeitig Entscheidungen auf die lange Bank geschoben. Oder man steigt in ein föderales Blame-Game ein, indem verschiedene Akteure sich gegenseitig Schuld und Verantwortung zuschieben. Das Bildungsministerium hat sich auf einen Beobachtungsposten zurückgezogen.
Dabei gibt es so viel zu tun. Das System der Halbtagsschulen hält das Versprechen nach Bildung für alle nicht ein. Eltern bzw. Mütter müssen privat an Nachmittagen einspringen oder sich auf einem Nachhilfemarkt freikaufen. Lehrer:innen erhalten an ihren Arbeitsplätzen weder die Ausstattung noch die Zeiten, um auf die Lernbedürfnisse aller Kinder wirklich einzugehen. Unsere starken Schüler:innen werden von den Institutionen der Erwachsenen- und Parteienwelt frustriert, weil ihr Aufwachsen in einer Umgebung multipler Krisen (Klima, Corona, Teuerung, Krieg) nicht den Anlass für mehr gemeinsames Lernen und zum Erarbeiten gesellschaftlicher Lösungsansätze führt, sondern vielmehr als Stichwort für mehr Konkurrenzdenken eingesetzt wird. Wettbewerbsgesellschaft, Abgrenzung, Ellbogenmentalität und Selektion werden uns allerdings nicht in eine gerechtere und demokratischere Zukunft führen.
Beides, die Arbeitsverweigerung und die mangelnde Rückenstärkung, führt dazu, dass die betroffenen Gruppen mit den vorherrschenden Gerechtigkeitslücken, Frustrationsspiralen und strukturellen Hürden in ihrem Leid noch mehr alleingelassen werden.
Her mit der guten Schule für alle!
Übrig bleiben unsere Kinder, ihre Träume und die Enttäuschung darüber, auf ihre Zukunft nicht genügend vorbereitet zu sein und diese auch nicht gestalten zu können. Statt mit Fingern nach Schuldigen zu suchen, wäre zu fragen: Wie können wir um unsere Kinder und Jugendlichen herum Schulen und Bildungseinrichtungen bauen, in denen ihre Bedürfnisse, Fähigkeiten und Stärken im Zentrum stehen? Sie sollen sicher lernen können, ermächtigt werden und zuversichtlich in die Zukunft gehen. Was braucht das System Schule, damit wirklich kein Kind zurückgelassen wird und alle ein selbstbestimmtes Leben in einem demokratischen Österreich führen können? Das gehört nicht nur diskutiert, sondern schlicht umgesetzt. Weil: Die Antworten gibt es. Wir wissen, was zu tun ist, was wirkt und auf welche schulpolitischen Veränderungen die Eltern, Lehrer:innen und Schüler:innen warten.
8 Ideen für eine bessere Schule
- Gute Schulausstattung statt Privatisierung
Die Kosten für den Schulbesuch und Schulerfolg sind enorm. Eltern zahlen jedes Jahr Millionen für Nachhilfe, Schulmaterialien und Schulveranstaltungen. Schule muss so ausgestattet und organisiert sein, dass der Schulerfolg unabhängig vom Geld der Eltern und der Herkunft der Kinder erreicht werden kann. Das bedeutet gerade in Schulen mit größeren Herausforderungen mehr Lehrer:innen und Schulsozialarbeiter:innen.
2. Ganze Schule statt Halbtagsunterricht
Lernen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist weit mehr als Kernfächer. Freizeiteinheiten sind gerade zur Interessens- und Stärkenförderung wichtig. Sie brauchen ihren Platz in der Schule, daher soll jede:r die Möglichkeit haben, eine gute Ganztagsschule zu besuchen. Kinder und Jugendliche können dort umfassend gefördert werden und Eltern ihrer Berufstätigkeit nachgehen, ohne zu unfreiwilligen Nachhilfelehrer:innen zu werden.
3. Ausreichende Sprachförderung – so viel es braucht
Kinder und Jugendliche, die eine andere Erstsprache als Deutsch sprechen, haben oftmals Schwierigkeiten, in der Schule erfolgreich zu sein. Es braucht gute Rahmenbedingungen und ausreichend Ressourcen, um sowohl Deutsch als Zweitsprache als auch die Erstsprache gut zu erlernen. D.h. integrative Sprachenförderung für in Österreich aufgewachsene Kinder und parallele Förderung in gutem Betreuungsverhältnis für Quereinsteiger:innen. Wichtig ist viel Austausch mit Gleichaltrigen, die Deutsch als Erstsprache sprechen – denn darin lernt man Sprache am schnellsten. Dann wäre es möglich, dass eine andere Erstsprache eine Stärke und kein Hindernis wird.
4. Hoher Stellenwert der beruflichen Bildung
Die berufliche Bildung mit der Lehre sowie HTLs und BMHSen sind eine zentrale Stärke des österreichischen Schulsystems, doch seit Jahrzehnten wurde hier bildungspolitisch nicht weitergedacht. Die BMHS Standorte gehören dringend ausgebaut, damit jede:r Jugendliche, der oder die will, auch eine HTL absolvieren kann. Wir müssen uns heute um die Fachkräfte von morgen kümmern.
5. Elementarbildung von Anfang an
Die Elementarbildung in den Kindergärten muss Betreuungssicherheit bieten, aber auch die erste Bildungseinrichtung sein. Die Rahmenbedingungen machen das jedoch oft schwierig. Kindergärten müssen daher ausgebaut werden und die Rahmenbedingungen, z.B. Gruppengrößen, verbessert werden. Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens für massive Investitionen und den Rechtsanspruch auf einen wohnortnahen Platz in der Kinderbildung und -betreuung.
6. Digitale Kompetenzen und Medienbildung statt more of the same
Der digitale Raum gewinnt immer mehr an Bedeutung. Phänomene und kritische Auseinandersetzung über Chancen und Risiken, über individuelle Strategien und politisch ausverhandelbare Regelungen sind eine wichtige politisch-bildnerische Aufgabe der Schulen. Digital Literacy und kritische Demokratiebildung müssen einen viel höheren Stellenwert einnehmen.
7. Soziale und Problemlösungskompetenzen statt Lernen für Tests und Noten
Der digitale Wandel ist voll im Gange, doch wir lehren Schüler:innen immer noch Dinge 1:1 wiederzugeben, was andere ihnen predigen. Doch diese Kompetenzen werden sukzessive obsolet. In Zukunft werden soziale Kompetenzen und die Fähigkeit komplexe Problemfragestellungen zu lösen in den Vordergrund vieler Tätigkeiten rücken. Die Art zu Lernen muss daher auf den Kopf gestellt werden und dieser zukünftigen Herausforderung gerecht werden.
8. Stärken fördern statt Fokus auf Schwächen
Kinder und Jugendliche beschäftigen sich viel zu viel mit ihren Schwächen, die Förderung ihrer Stärken bleibt dabei meist auf der Strecke. Oft reicht eine einzige Schwäche z.B. in Mathematik aus, um eine ganze Schullaufbahn zu vermiesen. Natürlich muss jede:r lesen, schreiben und rechnen können. Daneben braucht es aber viel mehr Fokus auf die Talente und Stärken der Kinder und Jugendlichen.
Gemeinsam Lernen
Wir können es uns als Staat und Gesellschaft nicht mehr leisten, auch nur ein einziges Kind zurückzulassen. Nicht nur im Interesse jedes:r Einzelnen, sondern auch im Interesse unseres Landes. Es ist das Zusammenspiel jeder Hand und jedes Kopfes gefragt, wenn es gilt, den sozial-ökologischen Umbau auf den Boden zu bringen. Wir können uns ein System nicht mehr leisten, dass Leistung zwar im Mund führt, aber keine Leistungsgerechtigkeit schafft. Die Zukunft Österreichs kann sich kein System der privatisierten Bildung leisten, in dem Eltern permanent überfordert werden. In dem Lebenswege davon abhängen, wie dick das Geldbörserl ist oder ob man zufällig auf eine Lehrperson trifft, die einen durch die Unwägbarkeiten und Hürden der Bildungsübergänge zu schleusen vermag. Es muss Schluss sein mit einem Bildungssystem der kleinkarierten Distinktionsgesten, das letztlich auch Direktor:innen und Lehrer:innen sich ebenfalls selbst überlässt. Schule soll ein Platz sein, an dem gerne gearbeitet wird.
Wir wissen: In der Schule wird die Gesellschaft der Zukunft gebaut. Deswegen wollen wir gemeinsame Lernräume schaffen, in denen Teilhabe und Gleichheit gelebt werden. Nur wenn es Bildungsgerechtigkeit gibt, wird es uns gelingen, Demokratie und sozialen Wohlstand voranzutreiben.