Jede/r vierte österreichische Schüler/in spricht eine andere Erstsprache als Deutsch – in Wien sogar jede/r zweite. Für den Großteil dieser Kinder und Jugendlichen ist das ein Ausdruck ihrer gelebten Mehrsprachigkeit. Sie können sich in ihrer Erstsprache und in Deutsch als Zweitsprache gleichermaßen bewegen – was in der medialen Debatte allzuoft übersehen wird. Ein kleinerer Teil verfügt zu Schuleintritt jedoch nicht die Voraussetzungen in Deutsch als Zweitsprache (und bisweilen auch der eigenen Erstsprache), um dem Unterricht auf bildungssprachlichem Niveau folgen zu können (siehe Textbox). Hinzu kommen allenthalben auch Kinder deutschsprachiger Eltern, die geringere bildungssprachliche Deutschfähigkeiten aufweisen (insgesamt betrug die SchülerInnenzahl in Deutschförderklassen/-kursen im Sommersemester 2019 mit rund 33.000 SchülerInnen österreichweit etwa ein Zwanzigstel aller SchülerInnen an Allgemeinbildenden Pflichtschulen). Für sie können fehlende Voraussetzungen ohne entsprechende Förderung zur Hürde für ihren weiteren Bildungsweg werden. Denn das österreichische Schulsystem ist nach wie vor stark auf die alleinige Unterrichtssprache Deutsch zugeschnitten.
Hintergrund: Bildungssprache vs. Alltagssprache |
Mit dem Begriff Bildungssprache wird ein bestimmter Ausschnitt sprachlicher Kompetenz (ein sprachliches Register) bezeichnet, also „eine Art und Weise, Sprache zu verwenden, die bestimmte formale Anforderungen beachtet“. Konkret wird mit Bildungssprache jenes Sprachregister gemeint, „dessen Beherrschung von ‚erfolgreichen Schülerinnen und Schülern‘ erwartet wird“. Sie unterscheidet sich von der Alltagssprache v.a. dadurch, dass sie präziser, sprachlich komplexer und stärker an den Regeln des Schriftsprachgebrauchs orientiert ist, um universale Bedeutungen artikulieren zu können, was in der – stärker am unmittelbaren Erlebniskontext ausgerichteten – Alltagssprache weniger benötigt wird. |
Quelle: Gogolin/Lange 2011
Bildungspolitische Schritte zum Ausbau der Deutschförderung
In den vergangenen Jahren wurden sukzessive bildungspolitische Schritte gesetzt, um diesem Förderbedarf zu begegnen: von der Einführung integrativ geführter Sprachförderkurse (2006), früher sprachlicher Förderung inklusive Sprachstandserhebungen im Kindergarten (2008) sowie eines kostenlosen verpflichtenden Kindergartenjahres (2009); über die Schaffung parallel geführter Sprachstartgruppen (2016) an Schulen und die Bereitstellung zusätzlicher Mittel zur Sprachförderung durch eigene „Integrationstöpfe“ (2016–2018); bis hin zur Einführung von Deutschförderklassen/-kursen im Schuljahr 2018/19 sowie standardisierter Sprachstandserhebungen für die Schule (2019).
Damit wurden sukzessive Förderinstrumente zur Bildungssprache Deutsch etabliert und verändert. Jedoch fehlt bislang eine vergleichende Evaluierung der bisherigen schulischen Förderinstrumente – eine Evaluation der bisherigen Sprachstartgruppen und -kurse war zwar ursprünglich vorgesehen gewesen, wurde allerdings mit Einführung der Deutschförderklassen/-kurse gestrichen. Dies ist insofern bedauerlich, als zahlreiche Stellungnahmen (z.B. DaZ-ExpertInnen österreichischer Universitäten / ÖDAF), Empfehlungen aus der Forschung (siehe nächster Abschnitt), aber auch Praxiserfahrungen aus Schulen (erste Erfahrungsberichte zum Umgang mit den aktuellen Deutschförderklassen/-kursen können hier nachgelesen werden) andere Rahmenbedingungen der schulischen Sprachförderung als derzeit nahelegen.
Befunde und Empfehlungen aus der Forschung
Folgt man zentralen Empfehlungen der Linguistik und Deutsch-als-Zweitsprache-Forschung, so wird zum einen die Wichtigkeit von Zeit und Alter betont: Wirksame Sprachförderung sollte etwa möglichst frühzeitig beginnen, da dann der natürliche Erwerb einer Zweitsprache noch einfacher gelingt. Vor allem aber wird eine kontinuierliche und langfristige Förderung empfohlen – die Sprachlernforschung spricht von mindestens fünf Jahren, die es für einen nachhaltigen Erwerb von bildungssprachlichen Kompetenzen in der Zweitsprache braucht (anders als bei alltagssprachlichen Kompetenzen, die rascher gefestigt sind). Wesentlich ist zudem, dass die Form der Förderung altersgerecht gestaltet sein sollte, denn der (Zweit-)Spracherwerb im Kindergartenalter unterscheidet sich wesentlich von jenem in höherem Alter (wo er zunehmend dem Erwerb einer Fremdsprache von Erwachsenen ähnelt).
Ein zweiter Aspekt der Empfehlungen betrifft die Rolle von Erst- und Zweitsprachen für den Lernprozess: So wird einerseits als entscheidend herausgestrichen, dass Kinder und Jugendliche eine Zweitsprache vor allem im sprachlichen Austausch mit gleichaltrigen, sprachkompetenten Peers erwerben – d.h. die Lehrkraft sollte nicht das einzige Sprachvorbild in der zu erlernenden Sprache bleiben. Hinzu kommt dabei der soziale Aspekt ausreichender Anbindung an die Peers: Denn eine weitreichende Trennung von SchülerInnen bereits im Volksschulalter kann sich negativ auf deren Persönlichkeitsentwicklung auswirken. Vor allem aber darf bei der Förderung einer Zweitsprache die Erstsprache nicht vergessen werden. Denn nicht nur ist Mehrsprachigkeit an sich – wenn entsprechend gefördert – eine zentrale Ressource für Menschen, Erstsprachen sind auch eine wichtige Basis für das Erlernen von Deutsch als Zweitsprache.
Der vielleicht zentralste Diskussionspunkt betrifft jedoch Umfang und Ausstattung der Förderung: Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass ein möglichst direktes Betreuungsverhältnis die vorteilhafteste Form der Förderung darstellt, welche der Lehrkraft erlaubt, auf die individuellen Voraussetzungen der SchülerInnen einzugehen. Je niedriger das Ausgangsniveau, desto kleiner sollte also die Lerngruppe sein, so die wissenschaftliche Empfehlung. Insgesamt sollte Sprachförderung nicht derart exklusiv gestaltet sein, dass andere Lerninhalte keinen Platz mehr haben. Anders gesagt: Sprachförderung und Fachunterricht sollten sich nicht ausschließen, denn Kinder bedürfen ja auch in allen übrigen Lerngegenständen einer altersadäquaten Förderung. Diese pädagogischen Erwägungen mögen zwar ressourcenintensiv sein, doch je früher in die (sprachliche) Bildung eines Menschen investiert wird, desto höher fällt später nicht nur sein individueller Gewinn sondern auch der volkswirtschaftliche ‘return of investment’ (Bildungsrendite) aus.
Die richtige Sprachförderung für jedes Kind: Der AK-Sprachschlüssel
Aufbauend auf den bisherigen Angeboten schulischer Deutschförderung, den aktuellen Erfahrungsberichten der schulischen Praxis und Bildungsbehörden, sowie dem Austausch mit ExpertInnen des DaF/DaZ-Fachbereich der Universität Wien und dem Österreichischem Verband für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache (Beatrice Müller/Hannes Schweiger) schlägt der Sprachschlüssel der Arbeiterkammer eine Weiterentwicklung der Förderstrukturen für die Bildungssprache Deutsch vor. Seine Module unterscheiden sich danach, an welchem Punkt ein Kind in das österreichische Bildungssystem eintritt – ob in der Elementarstufe, Primarstufe oder Sekundarstufe (siehe Diagramm).