Vor rund einem Jahr, im Oktober 2017, ist in Österreich das von der rot-schwarzen Bundesregierung erlassene Fremdenrechtsänderungsgesetz (auch: Integrationsgesetz 2017) in Kraft getreten. Dieses brachte nicht nur eine Ausweitung der Deutschkenntnispflicht auf Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte mit sich, sondern propagiert auch den Leitspruch Sprachbildung als Wertebildung – d. h., in der Deutschvermittlung und -prüfung soll künftig zugleich auch die Vermittlung und -prüfung von „grundlegenden Werten der Rechts- und Gesellschaftsordnung Österreichs“ (IntG 2017) stattfinden.
Anlass für eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Maßnahme: Welche politischen Interventionen könn(t)en zu gelingender Deutschförderung beitragen, welche sind hinderlich und wie lässt sich das Verhältnis von Deutschförderung, ‚Wertebildung‘ und gesellschaftlicher Integration überhaupt bestimmen?
Deutsch als Zweitsprache in der Erwachsenenbildung
Der wissenschaftliche Fachbereich Deutsch als Zweitsprache (in Folge: DaZ) setzt sich mit der Frage auseinander, „wie die aus der (amtssprachlichen) Dominanz des Deutschen erwachsenden Nachteile“ für mehrsprachige bzw. nicht-deutschsprachige Personen reduziert werden können (Dirim 2013). Ziel ist es, zur Gleichstellung von DaZ und DaM (Deutsch als Muttersprache) sprechenden Personen beizutragen. Die Entwicklung und Evaluation von Modellen und Unterrichtsmethoden, die die Deutschaneignung unterstützen sollen, ist daher ein zentrales Anliegen des Fachbereichs. Zudem ist die Einnahme einer machtkritischen Perspektive auf Sprache in der Migrationsgesellschaft wesentlich. Denn Sprache bzw. Deutsch ist stets eingebettet in (integrations-)politische, kulturelle und soziale Rahmenbedingungen und durch Sprache können gesellschaftliche Ein- und Ausschlüsse produziert werden.
Integration > Deutschförderung
Aus einer solchen Perspektive scheint die im öffentlichen Diskurs stattfindende Gleichsetzung von Integration mit dem Nachweis von Deutschkenntnissen sowie die Gleichsetzung von Sprache mit Deutsch äußerst problematisch. Laut Integrationsgesetz 2017 beziehen sich etwa Integrationsmaßnahmen maßgeblich auf Deutschkurse und es wird, sofern von Sprachförderung die Rede ist, vornehmlich auf Deutschkurse Bezug genommen (siehe IntG 2017). Deutschkenntnisse werden dann als Allzwecklösung für Integration propagiert, der Komplexität von Integrationsprozessen wird hingegen nicht Rechnung getragen. Integration im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe bedarf weit mehr als der Aneignung von Deutsch. Ebenso wird dadurch die Komplexität von mehrsprachigen Verhältnissen der Migrationsgesellschaft, die in Österreich längst Realität darstellen, ignoriert. Zum einen sind gerade bei Erwachsenen je nach Lebenssituation unterschiedliche Deutschkenntnisse notwendig und erlernbar. Zum anderen können sich gerade Erwachsene auch (noch) ohne Deutschkenntnisse in gesellschaftliche Bereiche einbringen. Schließlich wird durch die Gleichsetzung von Integration mit dem Besuch von DaZ-Kursen auch aus den Augen verloren, dass Sprache v. a. außerhalb von Kursen – durch Sprachkontakte – gelernt wird.
Motivation und Teilhabe statt Sanktionierung und Prüfung
Bei Nichterfüllung der gesetzlich vorgegebenen Maßnahmen drohen den betreffenden Personengruppen aufenthaltsrechtliche und/oder finanzielle Sanktionen. Aus sprachdidaktischer Perspektive sind derartige Sanktionen kontraproduktiv und widersprechen pädagogischen Grundlagen (de Cillia 2012). Vielmehr sind die Schaffung von Motivation und positiven Lernanreizen ausschlaggebende Aspekte für das Erlernen einer Sprache. Zwang und Druck beeinträchtigen die Lernfähigkeit und damit den Spracherwerb massiv. Aus Sicht der Initiativgruppe DaF/DaZ/Basisbildung (2018) sollte Deutschlernen daher nicht strikt „vorgeschriebenen Normen unterliegen, sondern muss den Bedürfnissen und Realitäten der Lernenden angepasst werden“. Lernungewohnte Lernende, d. h. Kursteilnehmer_innen mit wenig bis keiner Schulerfahrung, benötigen mehr Zeit, sich ein bestimmtes Deutschniveau anzueignen, als lerngewohnte Lernende, d. h. Kursteilnehmer_innen mit Schul- bzw. Universitätserfahrung. Gerade im Kontext Flucht ist für eine gezielte Deutschförderung die Gewährleistung einer stressfreien Lernatmosphäre ohne Zeitdruck besonders notwendig, da es sich hier häufig um Personen handelt, die traumatische Erfahrungen gemacht haben und in sozial prekären Verhältnissen leben.
Einbettung in die Gesellschaft statt “teaching to the test”
In der Erwachsenenbildung ist insbesondere die lebensweltliche Anwendung der deutschen Sprache Ziel des Deutschlernens. Im Fokus der DaZ-Förderung sollte daher die lebenspraktische Kommunikationsfähigkeit der Lernenden in der deutschen Sprache stehen, nicht das altbekannte ‚teaching/learning for the test‘. Eine Bindung der DaZ-Förderung an die Niveaustufen des ursprünglich für den Fremdsprachenunterricht konzipierten Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GERS) scheint in diesem Kontext nur begrenzt sinnvoll. Ob eine Deutschprüfung auf dem Niveau A1, A2 oder B1 abgelegt wurde, sagt wenig über die Fähigkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe der Lernenden aus.
Für erfolgreiche DaZ-Förderung wäre es demnach zweckmäßig, DaZ-Kurse stärker bzw. überhaupt in die Bildungslandschaft der Region, Gemeinde oder Stadt einzubetten. DaZ-Kurse sollten mehr als Unterstützung und Motivation für den außerhalb des Kurses stattfindenden Deutscherwerb betrachtet werden (Plutzar 2010). Dieser kommt allerdings oft zu kurz. In Hinblick auf die Schaffung positiver Lernreize und Motivation wäre daher an mehr gesellschaftliche Teilhabe unabhängig eines Nachweises von Deutschkenntnissen oder auch in Kombination mit dem Besuch von Deutschkursen zu denken. So könnte sich ein freier Arbeitsmarktzugang durchaus förderlich, unterstützend und motivierend auf die DaZ-Aneignung auswirken und den Deutscherwerb sogar fördern, indem dadurch Kontakt mit deutschsprechenden Menschen ermöglicht wird.
Entkoppelung von Wertekursen und Sprachbildung
Die Einführung von Sprachbildung als Wertebildung bringt insbesondere zwei Problematiken mit sich. Zum Ersten ist es schwierig bis unmöglich, auf den Sprachniveaus A1, A2 bzw. B1 eine inhaltliche Auseinandersetzung über ‚Werte‘ und unterschiedliche ‚Werthaltungen‘ zu gestalten (vgl. Netzwerk SprachenRechte 2018). Zum Zweiten deutet eine Analyse der Unterrichtsmaterialien, die für die ‚Wertebildung‘ konzipiert wurden, auf eine fragwürdige Banalisierung und Kulturalisierung von Inhalten hin. Ein überhöhtes ‚österreichisches Wir‘ wird ‚rückständigen‘ und ‚unzivilisierten‘ Lernenden gegenübergestellt. Dabei werden Lernende als Mangelwesen positioniert, die es zu erziehen gilt. Auch Lehrende bringt eine solche Zusammenlegung von DaZ- und Wertekursen in eine schwierige Rolle: Indem sie nicht mehr nur Deutsch, sondern auch ‚österreichische Werte‘ vermitteln sollen, werden sie gewissermaßen zur „verlängerte(n) Instanz repressiver staatlicher Integrationspolitik und deren eurozentristischer Wertevorstellung“, wie die Initiativgruppe DaF/DaZ/Basisbildung (2018) kommentiert.
Einbindung statt Assimilation
Für eine gelingende Deutschförderung bleibt zweifelhaft, inwiefern die Vermittlung und das Abprüfen von Werten im Rahmen von Deutschkursen der Deutschförderung dienlich ist.
Es gilt festzuhalten: DaZ-Förderung ist ein zentraler Bestandteil für die gesellschaftliche Gleichstellung und Integration von mehrsprachigen bzw. nicht-deutschsprachigen Personen in Österreich. Allerdings ist DaZ-Förderung lediglich ein Teil des Weges zum Ziel. Integration bedarf einer gesellschaftlichen Einbindung, die über den DaZ-Kurs hinausgeht. Gleichzeitig kann sich eine solche Einbindung wiederum förderlich für den Deutscherwerb auswirken.
Mit der Maßnahme Sprachbildung als Wertebildung wird vor diesem Hintergrund eine falsche Richtung eingeschlagen. Statt bedarfsorientiert auf die Einbindung der Lernenden zu fokussieren, wird hier in einem infantilisierenden Duktus die Vermittlung ‚richtiger Werte‘ nahegelegt. Mit Deutschlernen hat das nur wenig zu tun. Statt zu überlegen, wie Deutschlernen besser mit anderen gesellschaftlichen Bereichen verschränkt werden könnte, werden DaZ-Kurse damit zu assimilativen Verhaltenskursen gemacht.
Mehrsprachiges, zielgruppenspezifisches Beratungs- und Begleitungsangebot
Hilfreich für eine erfolgreiche Integration im Sinne der Teilhabe an der Gesellschaft wäre jedenfalls, den Fokus auf das Verständnis der Anforderungen und Regeln zu legen, die für die Teilnehmer_innen und ihre Bedürfnisse spezifisch sind. Diese wirken oftmals unbewusst und implizit und können nicht durch die bloße Vorlage bestimmter ‚Werte‘ verinnerlicht werden. Gerade angesichts der nur elementaren Deutschkenntnisse im Bereich A1, A2 bzw. B1 scheint es sinnvoller, in mehrsprachige Beratungs- und Begleitangebote zu investieren.
Wenig vorhanden sind Deutschlernangebote, die über das Niveau B1 hinausreichen und eine Verschränkung von Deutschlernen und gesellschaftlicher Teilhabe bieten – zu denken ist hierbei etwa an einen Ausbau des Angebots von Pflichtschulabschlusskursen. Denn teilweise besuchen Lernende zwar sehr lange diverse DaZ-Kurse, kommen letztlich aber zu keinem formalen Abschluss. Für den Zugang zu weiteren Institutionen, Einrichtungen, Firmen etc. und damit auch für die Möglichkeit, außerhalb des DaZ-Kurses Kontakt mit deutschsprechenden Menschen zu haben, werden formale Abschlüsse allerdings oftmals vorausgesetzt.
Zudem wäre es angebracht, statt in die Ausbildung von ‚Wertebildner_innen‘ zu investieren, mehr zielgruppenspezifische Weiterbildungsangebote für DaZ-Lehrkräfte vorzusehen. So geht etwa im Bereich Flucht die Aneignung und Vermittlung von Deutsch mit spezifischen Herausforderungen einher, denen Lehrkräfte oftmals nicht von vornherein gewachsen sind (Wege für Lehrkräfte zeigt etwa das Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in dieser Broschüre auf).
Und schließlich ist insbesondere für geflüchtete Teilnehmer_innen von Deutschkursen der Ausbau des psychosozialen und psychotherapeutischen Angebots notwendig. Nur dadurch kann im Deutschkurs der Fokus auf die Vermittlung und die Förderung der deutschen Sprache statt auf die psychosoziale Betreuung von Lernenden gelegt werden.
Im Sinne eines Verständnisses von Integration, das auf Chancengleichheit und gesellschaftlicher Teilhabe basiert, sind demnach noch viele Maßnahmen zu setzen.