Mehrsprachigkeit vermag sowohl Katalysator für die schulische Entwicklung von Kindern zu sein als auch Hindernis dafür. Dies hängt stark davon ab, ob schulorganisatorische bzw. didaktische Rahmenbedingungen andere Erstsprachen als Deutsch als Defizit behandeln oder sie in Kombination mit der Unterrichtssprache fördern.
Die Vielfalt der Herkünfte und Umgangssprachen
Seit Langem wird ein sorgloser Umgang mit der Globalkategorie “Migrationshintergrund” (d.h. je nach Definition ein oder beide Elternteile bzw. selbst im Ausland geboren) als problematisch betrachtet. Denn hinter diesem breiten Label verbergen sich nicht nur unterschiedlichste Herkunftsländer. Auch die Zuwanderungsgeschichte und der soziale Hintergrund variieren teils eklatant. In schulpolitischen Statistiken wird daher vor allem mit der Kategorie der Erst- bzw. Umgangssprache gearbeitet, um Kinder mit Deutsch als Erstsprache von jenen mit anderen Erstsprachen zu unterscheiden. Damit wird stärker auf ihr Verhältnis zur dominanten Unterrichtssprache Deutsch fokussiert, wenngleich eine andere Erstsprache keineswegs – wie oftmals impliziert – automatisch mit niedrigen Zweitsprachkompetenzen in Deutsch einhergehen muss.
Insgesamt sind Österreichs Schulen in stetig steigendem Maße von Mehrsprachigkeit geprägt: Sprachen laut Schulstatistik im Schuljahr 2005/2006 noch knapp 16% unter den SchülerInnen der 8. Schulstufe eine andere Umgangssprache als Deutsch, so betrug ihr Anteil im Schuljahr 2011/12 bereits 21%, 2015/16 war diese Zahl bereits auf 27% angestiegen. Unter diesen mehrsprachigen SchülerInnen kamen 2011 die meisten Mütter aus der Türkei sowie Bosnien/Herzegowina und Serbien, mit einigem Abstand dann aus Rumänien, Kosovo, Kroatien, Polen, Ungarn, Ägypten, Mazedonien, Russland, Philippinen, Slowakei, Tschechien, Albanien und Slowenien. Inzwischen ist infolge der Fluchtbewegungen seit 2015 auch der Anteil syrischer, irakischer und afghanischer Kinder angewachsen (vgl. Schulstatistik 2015/16).
Mehrsprachigkeit: Zwischen Katalysator und Hindernis für Schulerfolg
Die Bedeutung einer anderen Umgangssprache für die schulische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen kann sehr unterschiedlich ausfallen. Während die mehrsprachige Entwicklung bei einigen ein Katalysator für schulischen Erfolg sein kann, stellt sie sich bei anderen als Hindernis dar, das sich im späteren Schulleben in schlechteren Schulleistungen niederschlägt. Dieses Fazit lässt sich aus der aktuellen Studie “Migration und Mehrsprachigkeit (MiMe)” von Barbara Herzog-Punzenberger (Johannes-Kepler Universität Linz) ziehen. Darin analysiert sie Ergebnisse der Bildungsstandards-Testungen (BIST) der 8. Schulstufe (2011/12) und widerlegt nicht nur hartnäckige Stereotype über Zuwanderungsgruppen, sondern verdeutlicht auch die Komplexität des Zusammenhangs von Migrationshintergrund und schulischer Leistung.
Denn der Blick auf schulische Leistungen zeigt: Unter Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch schneiden z.B. in Mathematik, einige Sprachgruppen zumindest ähnlich wie SchülerInnen mit deutscher Erstsprache ab (z.B. polnisch, slowakisch oder ungarischsprachige SchülerInnen) während andere teilweise deutlich – bis zu zwei Lernjahre – darunterliegen. In Englisch liegen einige Sprachgruppen hingegen sogar über den Ergebnissen ihrer MitschülerInnen mit deutscher Erstsprache (z.B. polnisch, tschechisch, slowakisch, ungarischsprachige SchülerInnen) – hier werden die ungleichen Ausgangssituationen für verschiedene Herkunftsgruppen also noch deutlicher sichtbar.
Hinsichtlich der Ursachen für die teils gegensätzlichen Ergebnisse der unterschiedlichen Sprachgruppen weist die Studie auf ein Bündel an Faktoren hin.
Schulische Selektionsmechanismen
Schulische Selektionsmechanismen spielen nach der MiMe-Studie eine besondere Rolle in der Konservierung dieser ungleichen Ausgangsbedingungen für Kinder. Schon an der ersten Nahtstelle zwischen Kindergarten und Volksschule zeigen dies die unterschiedlichen Rückstellungszahlen in die Vorschulstufe: Während unter SchülerInnen der 8. Schulstufe des Jahres 2011/12 nur 15% der Kinder mit österreichischen Eltern rückgestellt worden waren, traf dies für Kinder kosovarischer (29%), mazedonischer (33%), albanischer (33%) oder türkischer (33%) Eltern in doppelt so hohem Ausmaß zu.
Diese institutionelle Separation setzt sich auch am Übergang in die Sekundarstufe I fort, selbst wenn man nur die im Inland geborenen Kinder berücksichtigt (die also grundsätzlich alle dasselbe Bildungssystem durchlaufen haben): Während es Kinder österreichischer Eltern in der 8. Schulstufe des Schuljahres 2011/12 zu über einem Drittel an die AHS geschafft hatten, lag die AHS-Beteiligung bestimmter Herkunftsgruppen deutlich darunter (z.B. Türkei, Kosovo, Mazedonien), andere Gruppen hingegen waren sogar überdurchschnittlich stark an der AHS vertreten (z.B. Ägypten, Polen, Russland, Slowakei) (siehe Abbildung).