Baustelle Ganztagsschulen und Nachmittagsbetreuung

14. Oktober 2022

Ganztagsschulen und Nachmittagsbetreuung sind immer noch die Stiefkinder der österreichischen Bildungspolitik. Nicht fertig gedachte Konzepte führen zu unklaren Verantwortlichkeiten und deutlichen Abstimmungsproblemen zwischen den Akteuren. Der Ausbau geht langsamer voran als ursprünglich geplant, da es sowohl an Personal als auch an Finanzierung mangelt. Dadurch kann das Ziel, die Chancengerechtigkeit von Kindern zu erhöhen, nicht ausreichend erreicht werden.

Hohes Potential im Ausbau der Ganztagsschulen

Ganztagsschulen bieten für Eltern und Kinder individuell und für unsere Gesellschaft und Wirtschaft als Ganzes Chancen. Sie liefern einen wichtigen Beitrag für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sind ein Standortfaktor für Gemeinden und fördern Bildungsgerechtigkeit. Dies sehen auch Vertreter:innen der Gemeinden so. Gemäß einer Erhebung unter Österreichs Gemeinden sieht der weit überwiegende Teil der Befragten viele Vorteile in der ganztägigen Betreuung, etwa für die Erwerbstätigkeit der Eltern oder die Chancengleichheit der Kinder.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Status quo – Betreuungssicherheit nur in Städten?!

Obwohl die positiven Effekte bekannt sind, hinkt der Ausbau den Zielen weit hinterher. So soll laut Bildungsinvestitionsgesetz bis 2025 eine Betreuungsquote von 40 Prozent erreicht werden. Im Schuljahr 2019/2020 besuchten lediglich 32 Prozent der Schüler:innen in der Primarstufe eine Ganztagsschule oder eine Form der Nachmittagsbetreuung. Besonders in kleinen Gemeinden fehlt häufig ein Angebot. Gleichzeitig zeigen sich auch nach Bundesland deutliche Unterschiede.

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Kompetenzwirrwarr und fehlende Handlungsspielräume

Sowohl die Zuständigkeiten als auch die Finanzierung der Ganztags- und Nachmittagsbetreuung für Schüler:innen sind kompliziert organisiert. Für Personal und Finanzierung gibt es gemischte Zuständigkeiten aller drei Gebietskörperschaftsebenen. Die Ganztagsbetreuung für Schüler:innen beinhaltet sowohl schulische als auch außerschulische Angebote. Je nachdem unterscheiden sich auch die agierenden Akteur:innen und deren Zuständigkeiten.

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Der hohe Verflechtungsgrad führt zu einem enormen Abstimmungsbedarf, der in der Praxis jedoch oftmals nicht erfüllt werden kann. So zeigen sich Abstimmungsprobleme hinsichtlich gemeinsamer Zielsetzungen, Schnittstellenprobleme und Parallelstrukturen.

Bei der schulischen Tagesbetreuung sind die Gemeinden als Schulerhalter in der Regel für die Infrastruktur, die Mittagsverpflegung und Freizeitangebote zuständig. Bund und Länder geben den normativen Rahmen sowie Qualitätsstandards vor. Betreffend Personal sind die Länder für das Lehrpersonal zuständig, die Gemeinden für den Freizeitteil sowie für Unterstützungspersonal. In der Praxis ergibt dies, dass es zumeist mindestens zwei verschiedene Dienstgeber gibt.

Zwei zentrale Hemmnisse: Personalmangel und Finanzierungslücken

Für das Gelingen des Ausbaus der Ganztagsschulen und der Nachmittagsbetreuung gibt es einige entscheidende Punkte.

  • Die Finanzierbarkeit der erforderlichen Investitionen in Infrastrukturen wie Gebäude und Räumlichkeiten.
  • Die langfristige Finanzierung des laufenden Betriebes.
  • Große Probleme zeigen sich, ausreichend qualifiziertes Personal zu finden, insbesondere in den Volksschulen. Besonders schwer wiegt der Fachkräftemangel bzgl. Inklusion und Chancengleichheit: Für die Betreuung von Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf fehlen zusätzliche Fachkräfte dringend.
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Ganztagsschulen und Nachmittagsbetreuung professionalisieren

Ganztagsschulen und Nachmittagsbetreuung sind essenziell für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie sind ein Hebel, um den erhöhten Arbeitskräftebedarf in vielen Branchen zu decken, sind substanziell für die Bildungsgerechtigkeit sowie ein zentraler Standortfaktor für Gemeinden und Städte.

Angesichts der Vielzahl an Hemmfaktoren, welche einen raschen Ausbau behindern, sollte das Ganztagsschulkonzept grundlegend evaluiert und weiterentwickelt werden. Das bedeutet neben einer deutlichen Vereinfachung der Kompetenzen eine Verlässlichkeit und Planbarkeit der langfristigen Finanzierung und auch eine pädagogische Professionalisierung. Wäre etwa das gesamte Personal in einer Hand, könnte dies zu mehr Effizienz und besserer pädagogischer Arbeit führen. Wäre die laufende Finanzierung über den Finanzausgleich gesichert, wäre dies ein wichtiger Anreiz, auch im ländlichen Raum die Angebote auszubauen.

Weder die Rahmenbedingungen noch die gelebten Konzepte sind derzeit ausreichend, um echte Chancengerechtigkeit der Kinder zu erreichen. Eine evidenzbasierte Entwicklung und Begleitung von Ganztagsschulen und Nachmittagsbetreuung ist daher dringend nötig.

Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft eine bessere Zusammenarbeit der Gebietskörperschaften. Zu nennen sind etwa das gemeinsame Erarbeiten von Zielen und das Herunterbrechen derselben auf alle Gebietskörperschaften. Auch eine stärkere Bündelung des Know-hows bei der Umsetzung und in weiterer Folge verbesserte Beratung der Gemeinden durch ein Kompetenzzentrum pro Bundesland, das Gemeinden bei der Weiterentwicklung der Qualität, der Kooperation mit außerschulischen Partner:innen und der Schule unterstützt, wäre hier ein wichtiger Hebel zur Weiterentwicklung.

Schließlich muss auch das Personal stärker im Fokus stehen. Die Qualität steht und fällt mit den Fachkräften, die mit den Kindern arbeiten. Eine Fachkräfteoffensive sowie bessere Rahmenbedingungen für die Arbeit in der Nachmittags- und Freizeitbetreuung sind unumgänglich. Ganztagspädagogik muss weiters Teil der Lehrer:innenaus- und -weiterbildung werden.

In Summe haben die aktuellen Erhebungen jedenfalls gezeigt, dass es für die Weiterentwicklung nicht reicht, nur mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Das Ganztagsschulkonzept muss insgesamt weiterentwickelt werden.

Daten zur Studie „Ausbaupotenziale in der schulischen und außerschulischen Tagesbetreuung. Status Quo und Voraussetzungen für einen weiteren Ausbau“ (2022): Studie des KDZ, Projektleitung Dr.in Karoline Mitterer, Literatur- und Dokumentenrecherche, Sekundärdatenanalyse, Empirische Erhebungen in Form von sechs Qualitativen Interviews und einer Online-Befragung von Vertreter:innen von Gemeinden und Städten (n=158 vollständige Antworten, Rücklaufquote von 12 Prozent).