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Risiken struktureller Prekarisierung auf Plattformen Plattformarbeit kann sich aufgrund ihrer Flexibilität und leichten Zugänglichkeit zum Vor- oder Nachteil der ArbeiterInnen entwickeln. Derzeitig sind die Arbeitsbedingungen auf Plattformen für ArbeiterInnen jedoch meist nicht nur nachteilig, sondern können sich gar als prekär erweisen.
1. Außerkraftsetzung des Arbeitsrechts und private Regulierung auf Plattformen Die Online-Plattformen selbst stellen sich gerne als reine „Vermittler“ dar. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass Plattformen das Arbeitsverhältnis mit und zwischen den PlattformkundInnen und PlattformarbeiterInnen streng regulieren. In den AGBs, die vor der Registrierung per Mausklick akzeptiert werden müssen, wird ein Angestelltenverhältnis der ArbeiterInnen meist ausgeschlossen. Damit manövrieren die Plattformen das Arbeitsverhältnis geschickt aus der arbeitsrechtlich geschützten Zone hinaus und weder das Plattformunternehmen selbst noch die Unternehmen der Plattformkundschaft sind den ArbeiterInnen gegenüber zu arbeitsrechtlichen Mindeststandards verpflichtet , wie unter anderem kollektivvertraglich geregelten Löhnen.
Doch Plattformen gehen noch einen Schritt weiter. In einem globalen Arbeitsmarkt mit einem undefiniert großen Angebot an PlattformarbeiterInnen herrscht ein Machtungleichgewicht zugunsten der PlattformkundInnen. Während im öffentlich regulierten Arbeitsmarkt ein solches Ungleichgewicht durch das Arbeitsrecht ausbalanciert werden soll, bringen die AGBs der Plattformen das Machtverhältnis meist noch weiter aus der Balance. Klauseln, nach denen die Bezahlung einer erbrachten Leistung ohne Begründung verweigert werden kann, bieten nicht schutzbedürftigen ArbeiterInnen, sondern nutznießenden KundInnen Schutz. Damit handelt es sich auf Plattformen nicht nur um einen öffentlich deregulierten Arbeitsmarkt , sondern in der Tat um einen privat regulierten Arbeitsmarkt, in dem ArbeiterInnen nach den Regeln profitorientierter Unternehmen zu spielen haben.
2. Abwälzung finanzieller Risiken von Unternehmen auf ArbeiterInnen und deren finanzielle Ausbeutung Auch wenn Unternehmen damit werben, dass ArbeiterInnen auf Plattformen völlig frei ihr unternehmerisches Potenzial entfalten könnten, birgt deren rechtliche Positionierung als unabhängige DienstnehmerInnen ausbeuterisches Potenzial. Auf vielen Plattformen müssen ArbeiterInnen das finanzielle Risiko für mögliche Leerläufe zwischen bezahlten Aufträgen selbst tragen, unvergütet in die Auftragssuche investieren und Arbeitsmaterial selbst bereitstellen. Und das meist ohne soziale Absicherung und bei schwindend geringer Entlohnung von ungefähr 2 Dollar pro Stunde im niedrig qualifizierten Bereich. Auch wenn das unternehmerische Risiko auf die PlattformarbeiterInnen abgewälzt wird, die Gewinne machen die Unternehmen, die sich die Kosten für die Anstellung von MitarbeiterInnen sparen und vom Lohndumping auf Plattformen mit global konkurrierenden ArbeiterInnen profitieren.
Der dazugehörige neoliberale Diskurs um das unternehmerische Selbst führt dazu, dass selbst die Verantwortung für die finanzielle Ausbeutung von den Unternehmen auf die ArbeiterInnen übertragen wird. Ihr Status als Selbstständige wird zur Erklärung für ihre finanzielle prekäre Lage: Verdienen PlattformarbeiterInnen nicht genug, so bedeutet dies in der unternehmerischen Leistungsgesellschaft, sie haben nicht hart genug, nicht gut genug, nicht lang genug gearbeitet. Dabei haben viele ArbeiterInnen, vergleichbar mit früheren Phasen des prekären Unternehmertums, letztendlich unfreiwillig oder aus einem Mangel an sicheren Alternativen die Selbstständigkeit auf Plattformen gewählt . Die individuelle Selbstausbeutung von PlattformarbeiterInnen ist damit als Symptom der strukturellen Ausbeutung von ArbeiterInnen durch Unternehmen zu verstehen.
3. Algorithmische Kontrolle der ArbeiterInnen und deren soziale Ausbeutung Das Machtungleichgewicht zwischen Unternehmen, KundInnen und ArbeiterInnen spiegelt sich auch in den Kontrollverhältnissen auf Plattformen wider. Auf Plattformen werden ArbeiterInnen, anstatt von einem menschlichen Management geführt zu werden, von intransparenten Algorithmen kontrolliert. Der Algorithmus bestimmt, welche ArbeiterInnen Zugang zu besser bezahlten Aufträgen bekommen und welche nicht. Für die entscheidenden Rankings werden Faktoren wie die benötigte Zeit für die Auftragsabwicklung, Auftragsperformance und die Bewertung durch KundInnen in Betracht gezogen . Die Bewertungen werden tatsächlich meistens nur einseitig von den KundInnen vergeben, und PlattformarbeiterInnen haben bei unfairer Bewertung kaum Möglichkeit, Beschwerde einzulegen. Innerhalb des vermeintlich neutralen Algorithmus entsteht ein System der Kontrolle ohne Kontrolleur, in dem niemand für Diskriminierungen verantwortlich gemacht werden kann, außer die PlattformarbeiterInnen selbst.
Diese starke algorithmische Kontrolle stellt die vermeintliche Selbstbestimmtheit der ArbeiterInnen als „unabhängige DienstleisterInnen“ infrage, wenn Aufträge jederzeit – auch in der Freizeit – angenommen und so schnell wie möglich erledigt werden müssen, um nicht das Ranking und damit die Einkommensmöglichkeiten existenziell zu gefährden. Die Omnipräsenz des Algorithmus führt außerdem zu einem Zustand der permanenten Überwachung . Das Zusammenspiel mit dem dahinterliegenden Machtungleichgewicht resultiert darin, dass PlattformarbeiterInnen diese externe Kontrolle internalisieren und jederzeit hohe Leistungen erbringen, auch wenn diese in keinem Verhältnis zu der geringen Bezahlung stehen.
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Prekäre Arbeit auf Plattformen: altbekannte Probleme neu entfacht Wenn prekäre Arbeit eine Form der Arbeit ist, die von Ungewissheit, Instabilität und Unsicherheit geprägt ist und in der ArbeiterInnen und nicht Unternehmen die damit verbundenen Risiken tragen , ohne rechtlichen Schutz oder eine angemessene Vergütung zu erhalten, dann trifft diese Definition weitestgehend auf Plattformarbeit zu. Jedoch handelt es sich bei Plattformarbeit nicht um eine neue Form der prekären Arbeit in dem Sinne, sondern um eine Wiederkehr der prekären Arbeit unter digitalem Deckmantel.
Aktuell sind nur ungefähr 2 bis 4 Prozent der europäischen Bevölkerung auf Plattformen tätig , dennoch handelt es sich um eine Entwicklung mit weitreichender Bedeutung. Prekäre Formen der Arbeit auf Plattformen betreffen nicht nur PlattformarbeiterInnen selbst, sondern auch ihre angestellten KollegInnen in regulären Betrieben, deren Arbeitsplätze durch billigere Arbeitskräfte auf Plattformen gefährdet werden . Andererseits gleichen sich Unternehmensmodelle an und reguläre Betriebe werden „plattformisiert“ . Es gilt, was sich auf Plattformen bewährt, wird auch anderswo übernommen , sei es die Deregulierung, die Individualisierung im Sinne des unternehmerischen Selbst oder die erhöhte Kontrolle von Arbeit.
Für einen sozial gerechten Wandel und Digitalisierung von Arbeit Um die Interessen der ArbeitnehmerInnen zurück ins Zentrum zu rücken, muss daher in allen drei Bereichen angesetzt werden. Arbeit auf Plattformen muss besser reguliert werden, sodass ArbeiterInnen vor Ausbeutung durch profitorientierte Unternehmen geschützt werden. Dies kann durch die Einklagung des ArbeitnehmerInnenstatus für manche PlattformarbeiterInnen erreicht werden oder durch die Herstellung von Schutz für alle PlattformarbeiterInnen, beispielsweise unter Anpassung des EU Digital Services Act . Eine rein institutionelle Lösung reicht jedoch nicht, ohne die darunterliegenden Machtungleichheiten infrage zu stellen. Um die Ausbeutung von ArbeiterInnen zu stoppen, braucht es vor allem demokratische Strukturen auf Plattformen und gewerkschaftlichen Zusammenhalt unter PlattformarbeiterInnen. Damit würde die Arbeitswelt nicht nur technologisch, sondern auch sozial gerecht revolutioniert werden.
Interesse weiterzuhören? Im Inequality Talks Podcast der dänischen NGO Mellemfolkeligt Samvirke diskutieren Elise Andrews und Maybritt Hennig zum Thema „New Forms of Precarious Employment in the Platform Economy“ (auf Englisch), nachzuhören auf Podbean oder Spotify .
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