Die jüngste Reform des Gelegenheitsverkehrsgesetzes räumt digitalen Plattformen im Personentransportsektor einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber etablierten Taxiunternehmen ein. Internationale Vergleiche zeigen, dass die langfristig negativen Folgen für Umwelt, den urbanen Verkehr, Arbeitskräfte und KundInnen vor allem die Bevölkerung vor Ort zu tragen hat. Für die aus dem Ausland operierenden digitalen App-Anbieter, wie Uber und Bolt, ein äußerst einträgliches Geschäft. Wie konnte es dazu kommen?
„Gig Work“ und Plattformen in den USA
Die jüngsten politischen Entwicklungen in den USA lassen die Börsenkurse für digitale Plattformunternehmen im Personentransportsektor (insbesondere Uber und Lyft) nach oben schießen. Die nicht zuletzt durch die COVID-19-Krise stark beeinträchtigte Branche – weniger Tourismus und Berufsverkehr bedeuten weniger Taxifahrten – hat in den USA eine neue „Landmark decision“ zu verzeichnen. Am Tag der Wahl eines neuen US-Präsidenten wurde die Bevölkerung Kaliforniens – von der Weltöffentlichkeit kaum bemerkt – auch zur Abstimmung über die sogenannte „Proposition 22“ zur Urne gebeten. Die jüngste und laut „New York Times“ in der Geschichte Kaliforniens teuerste Kampagne, die zur Annahme der „Proposition 22“ geführt hat, bedeutet die Bestätigung des digitalen Geschäftsmodells von Uber, Lyft & Co, mit selbstständigen FahrerInnen zu kooperieren. Die sogenannten „Gig Workers“ dürfen weiterhin ohne Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung mit dem eigenen Pkw über die App vermittelte Fahrdienste anbieten und müssen nicht – wie in einem kürzlich verabschiedeten kalifornischen Gesetz („Assembly Bill 5“) vorgesehen – angestellt werden.
Freie Fahrt für Uber, Bolt & Co auch in Österreich?
Ebenfalls von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, ist in Österreich noch rechtzeitig vor der Weihnachtspause des Nationalrats am 10.12.2020 ein neues Gelegenheitsverkehrsgesetz beschlossen worden, bei dem digitale Plattformen wie Uber und Bolt aufatmen werden. Das Gesetz sieht vor, dass die Preisbindung für Taxifahrten (Tarifordnung) weitgehend aufgehoben werden soll und digitale Plattformunternehmen ihrem Algorithmus freie Fahrt bei der Ermittlung des Fahrpreises lassen können. Von Preisrabatten – wie „jede Fahrt nur 5 Euro, egal wohin“ – bis zum sogenannten „surge pricing“, bei dem automatisch der Preis nach oben springt, wenn in einem Gebiet mehr Menschen eine Taxifahrt nachfragen, als FahrerInnen zur Verfügung stehen, ist innerhalb des gesetzlichen Rahmens alles möglich. Bei schlechtem Wetter, Konzerten, Fußballspielen usw. kann der Preis dann für eine Fahrt durchaus auf bis zu 100, 200 Euro ansteigen. Vor allem für die aus dem Ausland operierenden digitalen App-Anbieter, wie Uber und Bolt, ein äußerst einträgliches Geschäft. Da für jede Fahrt durch die Plattform eine fixe Abgabe abgezogen wird (ohne dass in Österreich dafür Umsatzsteuer zu entrichten ist), eint die digitalen Plattformen daher nur noch ein gemeinsames Interesse: möglichst viele Autos (sogenannte Uber-Partner) auf die Straße zu bringen. Sichtbarer Ausdruck dieses Interesses sind die Statistiken zur Entwicklung der Taxis und Mietwagen in Wien zwischen 2014 (Ubers Markteintritt) und 2019. Während die Zahl der Taxis weitgehend konstant blieb, ist die Anzahl der Mietwagenunternehmen (mit denen digitale Plattformen kooperieren) von 1.218 (2014) auf 2.839 (2019) und damit um 130 Prozent angestiegen, wie die Bundeswettbewerbsbehörde in einem aktuellen Bericht ausführt. Die Folgen für die Umwelt (mehr CO2-Ausstoß), den urbanen Verkehr (Staus und Verkehrskollaps wie in New York oder Berlin), die FahrerInnen (bei steigendem Wettbewerbsdruck sinken die Einkommen) und KundInnen (es gibt keine verlässlichen Preise und Verfügbarkeiten eines Taxis) hat vor allem die Bevölkerung vor Ort zu tragen.
Wie konnte es zu dieser Entwicklung kommen?
Diese Entwicklung ist überraschend. In Österreich – wie in den meisten europäischen Ländern – gibt es einen gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), in dem Taxis traditionell die „letzte Meile“ zwischen ÖPNV und dem Zielort der reisenden Personen anbieten. Um allen, insbesondere auch sozial schwächeren Personengruppen, eine sichere Taxifahrt im Sinne der Daseinsvorsorge zu ermöglichen und TaxifahrerInnen ein existenzsicherndes Einkommen zu sichern, sind der freien Gewerbeausübung durch Betriebs- und Beförderungspflichten, Tarifordnungen und Konzessionsregeln relativ enge Grenzen gesetzt. Im Jahr 2019 ist ein durch die SPÖ initiiertes einheitliches Gewerbe für Taxis und Mietwagen mit den Mehrheiten aus ÖVP, FPÖ und Teilen der Partei JETZT und mit den Gegenstimmen der NEOS im Nationalrat beschlossen worden, das auch App-basierte Anbieter wie Uber miteinbezieht. Das neue Einheitsgewerbe wurde auf der Grundlage einer Adaption der bestehenden Regelungen für Taxis entwickelt (insbesondere Betriebs-, Beförderungs- und Tarifpflicht; Deutschkenntnisse und Ortskundeprüfung, aber Wegfall der dreijährigen Beschäftigung als Voraussetzung für die Taxikonzession sowie der Rückkehrpflicht für Mietwagen). Dieser für die VertreterInnen der SPÖ selbst überraschend rasch erfolgten Einigung gingen intensive Verhandlungen der hoch konzentrierten und zentralisierten Sozialpartnerorganisationen von Arbeitgeber- und ArbeitnehmerInnenseite voraus (Johnston und Pernicka 2020; Pernicka et al. 2020).
Rund eineinhalb Jahre später, im Dezember 2020, kam es allerdings zu einer überraschenden Wende im Bereich des Gelegenheitsverkehrsgesetzes, das den gewerberechtlichen Bestimmungen angepasst werden musste. Nun wandte sich die ÖVP von der ursprünglichen Intention der Reform ab (und damit auch von ihrem „traditionellen“ Bündnispartner Wirtschaftskammer). Die FPÖ und Teile der SPÖ mutmaßen, dass es während eines Besuches des Bundeskanzlers (ÖVP) im Silicon Valley im Jahr 2019 zu einem Übereinkommen zugunsten von Uber gekommen sein soll. Die gewerberechtliche Novelle könnte dann ein Versuch gewesen sein, mit der FPÖ (damals noch Regierungspartner) den koalitionären Frieden zu wahren; die Grünen, die seit 2020 mit der ÖVP die Regierung bilden, und die zuständige Bundesministerin Gewessler haben sich in einer Regierungsvorlage der Position der ÖVP angeschlossen, ungeachtet der negativen Auswirkungen auf Verkehr und Umwelt. Das reformierte Gelegenheitsverkehrsgesetz sieht nun, wie bereits erwähnt, keine Tarifpflicht für jene Taxidienste vor, die durch Telefon oder digitale App herbeigerufen werden, sehr wohl aber eine für Wagen, die auf Standplätzen warten oder während einer Leerfahrt spontan herbeigerufen werden.
Noch gibt es Spielraum
Das Gelegenheitsverkehrsgesetz setzt den Rahmen für die Verordnungen der Landesregierungen (also für Wien SPÖ und NEOS), die wohl im Frühjahr 2021 erlassen werden. Auch wenn fixe Tarife nicht möglich sind, können anstelle eines Tarifs und im Sinne der Daseinsvorsorge, der Existenzsicherung der TaxifahrerInnen und umweltpolitischer Erwägungen Mindest- und Höchstentgelte (Preisband) für Taxifahrten festgelegt werden. Da die NEOS im Nationalrat für das neue Gelegenheitsverkehrsgesetz und damit für eine weitgehend freie Preissetzung gestimmt haben, ist innerhalb der Wiener Landesregierung von ihnen keine Unterstützung dafür zu erwarten.
Literatur
Johnston, Hannah and Susanne Pernicka (2020). Struggles over the power and meaning of digital labour platforms: a comparison of Los Angeles, New York City, Berlin and Vienna taxi markets. Preprint. Forthcoming in Jan Drahokoupil and Kurt Vandaele (eds.), A Modern Guide to Labour and the Platform Economy. Edward Elgar.
Pernicka, Susanne, Georg Adam, Elias Felten, Vera Glassner, Torben Krings, Eduard Müller, Thomas Paster, Ursula Rami, Bettina Stadler (2020). Kontinuität und Wandel der Sozialpartnerschaft in Österreich. Aktuelle Befunde. WOS Working Paper 01/2020. Johannes-Kepler-Universität Linz.
Weiterführende Literatur
Faire Bedingungen im Taxi-Gewerbe!, Arbeiterkammer Wien: https://wien.arbeiterkammer.at/service/presse/Faire_Bedingungen_im_Taxi-Gewerbe.html