Die Europäische Kommission hat eine Reihe von Initiativen im Politikbereich Digitalisierung angekündigt. Bis Ende des Jahres 2020 wird sie auch einen Legislativvorschlag zur Überarbeitung der rechtlichen Regelungen bei wirtschaftlichen Aktivitäten auf Online-Plattformen vorlegen. Dabei geht es auch um die Arbeitsbedingungen von FahrradbotInnen, Reinigungskräften, Kreativschaffenden, ÜbersetzerInnen, ClickworkerInnen, FahrerInnen. Sie alle erbringen Dienstleistungen, die zunehmend über Internetplattformen vermittelt, abgewickelt und auch bezahlt werden. Mit dem Partizipationsprojekt #policyhack konnten PlattformarbeiterInnen direkt an diesem eher formaldemokratischen Prozess teilhaben und ihre Anliegen einbringen.
Digital Services Act: Einbindung von ArbeitnehmerInnen?
Die zwanzig Jahre alte E-Commerce-Richtlinie ist der zum jetzigen Zeitpunkt einzige geltende Rechtsrahmen für „digitale Dienste der Informationsgesellschaft“. Derzeit wird sie von der Europäischen Kommission unter dem Titel Digital Services Act überarbeitet. Die Europäische Kommission erarbeitet nun eine Neuregelung des Online-Geschäftsverkehrs und damit eine Neuordnung des digitalen Binnenmarktes und des europäischen Datenraumes, soziale Fragen rangieren dabei unter „fernen liefen“. Dazu wurde vonseiten der Europäischen Kommission bis Anfang September eine sogenannte öffentliche Konsultation durchgeführt, an der sich vor allem Digitalkonzerne, Lobbyverbände und Interessensvertretungen beteiligen. So wurden überwiegend die Perspektiven von Regierungen, öffentlichen Institutionen, Thinktanks sowie betroffener Organisationen aufgenommen. Ein Teil des Fragebogens richtete sich spezifisch an CrowdworkerInnen. Er enthielt Fragen zu den Arbeitsbedingungen auf digitalen Plattformen, zum Beispiel: Wie sehr mischt sich die Plattform in die Arbeit ein? Wer bestimmt den Preis? Wer trägt das Risiko, wenn etwas schiefgeht? Welche Probleme gibt es? Besteht eine Abhängigkeit zur Plattform? Verhindert die Plattform, dass sich Beschäftigte zu Tarifverhandlungen zusammenschließen? Die Ergebnisse der Konsultationen sollen dann in den EU-Rechtsvorschlag zu den digitalen Diensten eingearbeitet werden, der Ende 2020 veröffentlicht werden soll.
Die Erfahrung vergangener politischer Prozesse hat gezeigt, dass es gerade großen Online-Plattformen gelingt, ihre Positionen und Forderungen erfolgreich in politische Entscheidungsprozesse einzubringen. Das ist auch das Ergebnis einer Durchleuchtung der Lobby-Aktivitäten der Gig-Plattformunternehmen von Arbeiterkammer und Corporate Europe Observatory, die etwa zeigt, dass die Dienstleistungsrichtlinie sowie die schon genannte E-Commerce-Richtline durch Interventionen in EU-Institutionen nunmehr so ausgelegt und angewendet werden, dass nationale behördliche Beschränkungen umgangen und Sozial- und Arbeitsstandards unterlaufen werden. Demgegenüber sind Beschäftigte in der Plattformwirtschaft aufgrund ihrer gesellschaftlichen Lage in ihren Möglichkeiten, sich organisiert, abgestimmt bzw. kollektiv einzubringen, deutlich benachteiligt.
Deswegen hat die Arbeiterkammer Wien PlattformarbeiterInnen auf die laufende Kommissionsarbeit aufmerksam gemacht und zu einem #policyhack geladen. In diesem wurden die Anliegen gemeinsam diskutiert und über das Formular Stellungnahmen aus unmittelbarer ArbeitnehmerInnen-Perspektive eingebracht. Auf der eigens eingerichteten Website www.policyhack.eu stand zudem eine Anleitung zum Ausfüllen der öffentlichen Konsultation zum Download zur Verfügung.
Plattformarbeit in der Praxis: viele Vorgaben, wenig Einblick oder Mitsprache
Am Partizipationsformat #policyhack nahmen sowohl selbstständige als auch unselbstständige FahrradbotInnen sowie eine Freelance-Texterin teil. In sehr kleinem Rahmen konnten die TeilnehmerInnen intensiv über die Gemeinsamkeiten ihrer Arbeitsbedingungen diskutieren. Aus diesem Austausch über den Arbeitsalltag als CrowdworkerInnen, kombiniert mit der Beantwortung der Fragen aus dem Fragebogen, lassen sich zentrale Schlüsse für eine soziale Digitalisierungspolitik ziehen.
Die Motivation für die TeilnehmerInnen, über digitale Plattformen anzubieten, entsteht vor allem aufgrund der möglichen Flexibilität, niedriger Ein- und Ausstiegsbarrieren und teilweise aufgrund Spaß an der Arbeit selbst. Keine der anwesenden Personen würde ihre Arbeit aber als selbstbestimmt bezeichnen. Betreffend Arbeitsorganisation geben Plattformen zeitliche und räumliche Vorgaben, die erfüllt werden müssen. Die Rahmenbedingungen werden teilweise algorithmisch festgelegt (z. B. Auftragszuteilung), und bei Nichteinhalten der Bedingungen können automatisiert Konsequenzen ausgelöst werden (z. B. unbezahlte Pausen, Ablehnung der Auftragsleistung, Benachteiligung bei der Schichtplanung). Die FahrradbotInnen beschreiben häufige technische und organisatorische Schwierigkeiten, die sich auf den Stundenlohn auswirken, wenn dadurch weniger Aufträge erfüllt werden können.
Alle Teilnehmenden sind sich einig, dass sie keinen Einfluss auf die Preissetzung der von ihnen erbrachten Dienstleistungen haben. Diese hänge auch von der Auftragslage und der Anzahl der „konkurrierenden“ PlattformarbeiterInnen ab. Ein freier Dienstnehmer fügt hinzu: „Ich bin selbstständig, aber habe über keinen Aspekt meiner Arbeit irgendeine Kontrolle“. Dieses Ausgeliefert-Sein kann als Grundgefühl bezeichnet werden, das sich mit Arbeit in der Gig Economy einzustellen scheint.
Die Arbeitsorganisation und Preissetzung für Dienstleistungen sind in vielen Aspekten auch intransparent. Ein Teilnehmer formuliert in Bezug auf die Auftragsvergabe: „Die Wege des Algorithmus sind unergründlich“. Das Entgelt der Freelance-Texterin berechnet sich pro Wort und richtet sich nach einer Bewertung, die beispielsweise auch davon beeinflusst wird, wie oft und wie schnell sie die Aussendungen der Plattform liest. Sie beschreibt, dass ein Auftraggeber etwa einen Text reklamierte, aber dann beide Texte „zum Preis von einem“ veröffentlicht hat. Beeinflussen konnte sie das nicht; gefunden hat sie es nur durch Zufall. Sie weiß nicht, wer ihr Auftraggeber ist, denn anstatt eines Namens sieht sie nur eine lange Nummer.
Auch ein Fahrradbote merkt an, dass er noch nie Vorgesetzte gesehen hat: „Es gibt scheinbar keinen Chef“. Die Kommunikation mit der Plattform läuft ausschließlich über einen Chat. „Es gibt keine Telefone in diesem Unternehmen“, sagt eine Teilnehmerin.
Die Texterin versteht ihre Arbeit über die Plattform „mehr als Hobby“, da ihre Bezahlung zu gering ist, um dies als Motivation zu verstehen. Die FahrradbotInnen sehen ein solches Selbstverständnis kritisch, denn für sie handelt es sich nicht um „bezahlte Fitness“, sondern um ihren Lebensunterhalt, „und der ist auch noch schwer“. Leider wüssten viele ihrer KollegInnen nicht, in welchem Arbeitsverhältnis sie sich befinden. Ansprüche auf Urlaub oder Bezahlung im Krankenstand sind oft unbekannt. Kollektive Tarifverhandlungen gibt es derzeit nur für die angestellten CrowdworkerInnen und es sei schwierig, mit den vielen freien DienstnehmerInnen in Kontakt zu kommen. Die Fluktuation sei hoch und die Plattformunternehmen wollen vor allem „wachsen, wachsen, wachsen“.
Eine Teilnehmerin war überzeugt, dass alle Menschen, die Arbeit verrichten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wirtschaftlich abhängig sind. Die anderen CrowdworkerInnen stimmten zu und sind sich einig, dass überall dort, wo wirtschaftliche Abhängigkeit besteht, auch kollektive Lohn- und Gehaltsverhandlungen möglich sein sollten.
Plattformen sozial regulieren
Der #policyhack der Arbeiterkammer Wien hat gezeigt, wie wertvoll eine Beteiligung von Beschäftigten an sachpolitischen Prozessen und Positionsentwicklungen ist. Es ist offen, ob die Arbeitsrealitäten und Anliegen der größer werdenden Gruppe von PlattformarbeiterInnen beim Entwurf des Digital Services Act Berücksichtigung finden, ob ihre Rechte anerkannt und geschützt werden. Bisher war das nicht der Fall, Arbeitsbedingungen auf Plattformen sind trotz einer Vielzahl rechtspolitischer Ansätze noch weitgehend unreguliert. Für den in Aussicht gestellten „Schutz von Grundrechten im Internet“ ist eine rechtliche Anerkennung von plattformbasierter oder -vermittelter Arbeit als Arbeit essenziell. Erst damit wäre Kontrolle über einige Aspekte der eigenen Arbeit möglich oder etwa auch kollektive Verhandlungen. Die Digitalisierung der Arbeitswelt könnte ohne diese soziale Regulierung strukturelle Diskriminierung potenzieren, zur gesellschaftlichen Entsolidarisierung beitragen, weite Lebensbereiche prekarisieren und entdemokratisieren. Das wäre das Gegenteil von Emanzipation durch technologischen Fortschritt.