Digital Services Act: Die Regulierung der Datenökonomie ist eröffnet

05. August 2020

Das Unbehagen mit der digitalen Wirtschaft ist keineswegs neu: Debatten über die Beeinflussung von Wahlen, Hate Speech, prekäre Arbeitsbedingungen der Gig-Economy/Sharing Economy, die Datenübermittlung der EU-Mitgliedsländer an die USA unter dem nun von Max Schrems und NOYB vor dem EuGH gekippten „Privacy Shield“, Vermietungen über Nächtigungsplattformen wie Airbnb, der Boom des Online-Handels, nochmals beschleunigt durch SARS-CoV-2 … Es ist klar, dass es moderne Regelungen für die digitale Wirtschaft braucht, um die Demokratie zu schützen, einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen und grundlegende Errungenschaften des ArbeitnehmerInnen- und KonsumentInnenschutzes zu verteidigen.

Regulierung für Plattformen, Cloud-Dienste, Suchmaschinen

Im Dezember 2019 hat sich die EU dazu aufgemacht, die Regulierung und Steuerung der ökonomischen Wirkungen der zunehmenden Digitalisierung der EU-Volkswirtschaften und der Gesellschaft in Angriff zu nehmen. Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission COVID-19-bedingt mit 27. Mai 2020 erneuert, hält die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen am Plan fest, mit Ende 2020 einen Vorschlag für eine EU-Gesetzgebung zu digitalen Diensten (Digital Services Act) vorzulegen. Im Kern soll damit die 20 Jahre alte E-Commerce-Richtlinie überarbeitet werden. Nach derzeitigem Stand der Debatte wird der Digital Services Act aber auch gleichzeitig eine Marktregulierung und Marktsteuerung mit sich bringen. Dies betrifft voraussichtlich auch die Regulierung von Plattformdiensten, Cloud-Diensten, Suchmaschinen und anderen digitalen Angeboten. Mit einem Instrument samt Ex-ante-Regel soll der Markt entsprechend gesteuert werden, damit große „systemische“ AnbieterInnen den Marktzugang nicht versperren oder NutzerInnen faktisch gar keine Wahl bleibt, als im vorgegebenen System zu verharren (locked-in).

Beschleunigte Debatte zur Ausformung von Digitalmärkten

Seit Ende 2019 hat sich pandemiebedingt der Diskurs um Regulierung und Steuerung von Digitalmärkten massiv beschleunigt. Hier einige Schlaglichter:

1. Facebook wird, Stand Juli 2020, von über 1.000 Konzernen mit einem Werbeboykott belegt, darunter Coca-Cola und Volkswagen. Sie wollen Druck erzeugen, damit der Konzern nachhaltig gegen Hetze und Manipulationsversuche von Wahlen vorgeht – sich also stärker selbst reguliert. Facebooks Börsenkurs erreicht ein Allzeithoch.

2. Der Rektor der TU München, Thomas Hofmann, sowie der Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, schlagen die Schaffung eines europäischen digitalen Raums vor. Als digitale Daseinsvorsorge unter dem Vorzeichen europäischer Werte, die eine Alternative zu strukturell aus den USA und China agierenden Telekommunikations- und Plattformkonzernen mit starken Monopoltendenzen bietet. Finanziert werden soll dieses Gemeinschaftsprojekt über den European Recovery Plan.

3. COVID-19 führt(e) dazu, dass Tech-Plattformen seit März 2020 merkbar systematischer gegen Hassrede und Verschwörungstheorien vorgehen. Eine britische ForscherInnengruppe schätzte allerdings, dass Technologiegiganten wie Google und Amazon in diesem Jahr über automatisierte Werbungsplatzierung (unwissentlich) etwa 20 Mio. Dollar an Websites zahlen werden, die über ihre digitalen Werbeplattformen COVID-19-Fehlinformationen verbreiten.

Europäisches Parlament: Der Rahmen für Digitalmärkte wird abgesteckt

Diese wenigen Beispiele belegen, dass Europa dringend handeln muss, will es seinen Fehler der letzten 10 Jahre – nämlich keine vertiefte Regulierung anzustreben – nachhaltig ausmerzen. Im Europäischen Parlament beschäftigen sich derzeit bereits drei Ausschüsse mit Aspekten der Regulierung digitaler Dienste, wobei der Binnenmarktausschuss (IMCO), der auch für KonsumentInnenschutz zuständig ist, nach außen die zentralste Rolle spielt. Hier steht jedenfalls eine Novellierung der E-Commerce-Richtlinie im Fokus – jener Richtlinie, die weitgehend auch das Handeln von Plattformen im Binnenmarkt regelt.

Der maltesische Berichterstatter Alex Agius Saliba (von der sozialdemokratischen S&D Fraktion) hat Mitte April 2020 einen Bericht vorgelegt, der erste Einblicke in die Regulierungswünsche der EU-ParlamentarierInnen erkennen hat lassen. Der Bericht erweckt bei uns den Anschein, dass an den zentralen Prinzipien der Regulierung nicht gerüttelt werden soll. Einerseits ist dies das Herkunftslandprinzip, das eine Zuständigkeit des Sitzlandes für das Tätigwerden einer Plattform oder eines Service Providers im Binnenmarkt festlegt („internal market clause“). Andererseits geht es darum, dass es in der EU für Provider und Plattformen auch weiterhin keine Verpflichtung geben soll, die Inhalte z. B. auf Plattformen zu überwachen („no general monitoring obligation“). Saliba platzierte den Grundsatz „Was offline illegal ist, ist auch online illegal“, um damit ein Level Playing Field nicht zuletzt zwischen weiterhin analog vermittelten Markthandlungen und eben digital vermittelten zu garantieren. Der Berichterstatter sprach sich neben der Stärkung der Informationsverpflichtungen von Plattformen auch für die Etablierung von Verfahren aus, die die Bestimmung der Identität und Erreichbarkeit von MarktteilnehmerInnen gewährleisten.

Der Kern der neuen Regulierung – das lässt auch dieser Entwurf erkennen – dürfte die Frage der Behandlung von illegalen Inhalten sein (und des damit einhergehenden Haftungsregimes). Hier wird auf einen „Notice-and-Action“-Mechanismus abgestellt, der bei Einmeldung an die Plattform greifen soll. Dieses Konzept bleibt aber vage, da der Berichterstatter den derzeitigen Zugang, dass illegale Inhalte erst nach Entdecken durch Dritte und Kenntnisnahme durch die Plattform entfernt werden müssen, nicht ändern möchte. Eine Einsicht, die sich in Brüssel seit 2018 entwickelt hat, spiegelt der Berichtsentwurf allerdings wider: Die Notwendigkeit einer vorgängigen Ex-ante-Regulierung von großen, systemischen Plattform-/Telekommunikationsanbietern, die als „Online-Gatekeeper“ den Markt dauerhaft strukturieren und beherrschen. Hier haben die drei federführenden Einheiten in der Kommission – die für Wirtschaft, Digitales und Wettbewerb zuständigen Generaldirektionen – augenscheinlich gelernt, dass Ex-post-Verfahren keine Lenkungseffekte auf digitalen Märkten entfalten können. Selbst sehr hohe Strafen sind von den großen und kapitalstarken Plattformen in der Risikomatrix miteinkalkuliert und tangieren sie daher nicht mehr substanziell.

Der EU-Abgeordnete Saliba schließt seinen Bericht einerseits mit der Einmahnung klarer Regeln für AnbieterInnen aus Drittländern in Sachen E-Commerce-Marktplätze und einem starken Schutzmechanismus zur Verhinderung des Inverkehrbringens gefährlicher Produkte. Andererseits fordert der Berichterstatter eine effektivere Vollziehung bei der EU-weiten Durchsetzung digitaler Regulierung, wobei nach seinen Vorstellungen künftig eine EU-Digital-Regulierungsbehörde dabei eine wesentliche, auch entscheidungsbefugte Rolle ausfüllen soll. Eine Präsentation im Rahmen eines Online-Stakeholder-Meetings eines Mitautors (Klemens Himpele für die Stadt Wien) am 6. Mai hat gezeigt, dass der Berichterstatter Interessenbekundungen etwa nach einem Zugang zu Daten (für administrative Zwecke im Gesetzesvollzug) oder die kritische Rolle des Sektors Wohnen mit Bezug zu Entwicklungen der Plattformökonomie in der EU zwar reflektiert. Allerdings werden daraus keine Ableitungen für seinen Bericht (im Sinne des Einbringens entsprechender Anträge) angestellt. Die hohe Relevanz des Themas und die teilweise bereits eingeschränkte Darstellung der Regulierungsoptionen haben dazu beigetragen, dass im Mai für einen nicht legislativen Initiativbericht bemerkenswerte 919 Abänderungsanträge vorgelegt wurden.

Änderungsanträge, Kompromisse und öffentliche Konsultation

Eine zusammenfassende Darstellung von Änderungsanträgen ist an dieser Stelle nicht möglich. Die zentralen Linien der Auseinandersetzung verlaufen im Binnenmarktausschuss im Bereich der Haftung von Plattformen, der Pflichten gegenüber NutzerInnen, der Moderation von Inhalten bzw. der Abstellung illegaler Inhalte sowie der Thematik Rechtsdurchsetzung im Binnenmarkt. Grundsätzlich steht der Ausschuss einer Ausdehnung der Regulierungsreichweite auf Plattformen aus Drittstaaten positiv gegenüber. Das Thema des Zugangs zu Daten zu Vollziehungszwecken wurde zwar im Rahmen von Änderungsanträgen verstärkt dargestellt, wurde bisher aber kein zentrales Thema in der Diskussion. Dominant ist hier der Kampf gegen Hass und Spaltung. Allerdings gibt es deutliche Signale aus der EU-Kommission, dass man die Bedeutung des Zugangs zu Daten durchaus im Blick hat. Schließlich muss gerade die Kommission ein hohes Interesse daran haben, dass die Vollzieh- und Durchsetzbarkeit von Gesetzen in der EU gewährleistet ist.

Mit Beginn des Sommers hat das Sekretariat des Binnenmarktausschusses die Kompromiss-Abänderungsanträge vorgelegt. Durch diese Kompromissanträge werden jeweils mehrere Änderungsanträge inhaltlich zusammengefasst, sodass entweder der gebündelte Kompromissantrag bei der Abstimmung im Ausschuss angenommen wird oder – bei Nichtannahme – über alle vorgelegten Anträge einzeln abgestimmt werden muss, was entsprechend zeitintensiv ist. Die Kompromissänderungsanträge versuchen einen gemeinsamen Nenner zu finden, etwa dass es ein anwendbares gesetzliches Regime u. a. auch für Aktivitäten im Beförderungssektor und für die Kurzfristvermietung geben soll. Bezüglich illegaler Inhalte bleiben auch die Kompromisse bei der vorsichtigen Linie, d. h. grundsätzlich müssten Gerichte entscheiden, was im Einzelfall ein illegaler Inhalt ist. Da das Herkunftslandprinzip nicht wirklich verändert werden dürfte, soll durch eine verstärkte gegenseitige Assistenz zwischen dem Herkunftsland und dem Land der digitalen Leistungserbringung (Zielland) der Vollzug im Binnenmarkt verbessert werden.

Fahrplan 2021 für den Digital Services Act

Das Europäische Parlament wird im Oktober-Plenum der Kommission noch Signale auf den Weg mitgeben, in welche Richtung sich der Digital Services Act entwickeln soll. Während dies im Lichte der Öffentlichkeit geschieht, werden die Signale aus der Ratsformation Telekommunikation wohl diffuser und weniger leicht extern feststellbar sein. Kurz vor Weihnachten 2020 will die Kommission ihren Vorschlag beschließen und präsentieren. 2021 beginnt dann die Auseinandersetzung im „Dreieck“ Kommission, Rat und Europäisches Parlament auf Basis dieses Vorschlags. Jedenfalls könnte im Zuge der Erarbeitung des Digital Services Acts der absolute Rekord an Abänderungsanträgen im Europäischen Parlament schon 2021 fallen – nämlich die insgesamt 3.999 Abänderungsanträge, die im Rahmen der Erstellung der Datenschutzgrundverordnung 2016 vorgelegt wurden.

Im Juni 2020 hat die Kommission eine öffentliche Konsultation über ihr lang angekündigtes Gesetzespaket zu digitalen Dienstleistungen gestartet. Rückmeldungen zu Online-Sicherheit, Haftung, Marktbeherrschung, Online-Werbung und intelligenten Verträgen etc. sollen bis 8. September eingeholt werden. Einerseits geht es darum, wie mit dem Digital Services Act die in der E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 festgelegten Regeln aktualisiert werden könnten. Andererseits sollen sogenannte Ex-ante-Vorschriften aufgestellt werden. Damit soll auf Märkten, die durch große Plattformen geprägt sind, fairer Wettbewerb auch für kleine Akteure gewährleistet werden können. Die Ergebnisse der Konsultation sollen in den Rechtsakt, der Ende 2020 von der Kommission veröffentlicht werden soll, einfließen. Umso wichtiger erscheint eine rege Teilnahme an diesem Konsultationsprozess.

Der Digital Services Act wird die Akteure, InteressenvertreterInnen und Stakeholder jahrelang beschäftigen. Mit www.fairdigitaleurope.eu hat der Verband der Öffentlichen Wirtschaft und Gemeinwirtschaft Österreichs (VÖWG) eine Informationsbasis für dieses Thema geschaffen. Ein alle 14 Tage erscheinender Newsletter verdichtet aktuelle Entwicklungen zur Thematik. Eine Anmeldung dazu ist direkt auf der Homepage möglich.

Die Arbeiterkammer Wien lädt PlattformarbeiterInnen ein, ihre Anliegen im Rahmen von zwei Policyhack-Workshops einzubringen. Dabei wird die vorliegende öffentliche Konsultation diskutiert, es werden gemeinsame Anliegen formuliert und noch vor Ort mittels Online-Formular eingebracht.

Nähere Infos und Anmeldung unter policyhack.eu.

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