Gerade das enge Zusammenwirken von „Gig-Plattformen“ mit der Europäischen Kommission hat die EU zu einem sicheren Hafen für die Onlineplattformen gemacht. Eine neue Studie kommt nun zu dem Schluss, dass Maßnahmen gegen den starken Einfluss der Gig-Economy überfällig und dringend notwendig sind.
Europa steht vor einer Herausforderung: Plattformen wie Airbnb und Uber haben gängige Geschäftsmodelle verändert. Dies hat einerseits für TouristInnen und TaxifahrerInnen durchaus Vereinfachungen und manche Vorteile gebracht. Die Kehrseite jedoch sind zunehmender Druck auf bezahlbaren Wohnraum und ernste Herausforderungen für die ArbeitnehmerInnenrechte. Trotzdem finden sich nur wenige Maßnahmen von den EU-Institutionen, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Ganz im Gegenteil: Oft verteidigt die EU Geschäftsmodelle der Gig-Plattformen sogar aktiv.
Ein Grund dafür ist die erfolgreiche Lobbyarbeit der Gig-Plattformen. Der von der Arbeiterkammer und dem Corporate Europe Observatory veröffentlichte Bericht „Über Influential? – Wie Gig-Plattformen Sozial- und ArbeitnehmerInnenrechte untergraben“ zeigt, wie es einer relativ kleinen Gruppe von LobbyistInnen erfolgreich gelungen ist, einen engen Kontakt mit der Europäischen Kommission aufzubauen.
Die Herausforderung
Gig-Plattformen sind schwerer zu regulieren als herkömmliche Dienstleistungsunternehmen. Sie operieren oft aus dem Ausland. Dadurch wird in vielen Fällen eine Zusammenarbeit mit Behörden aus anderen Ländern erforderlich, um bestimmte Maßnahmen durchsetzen zu können.
Außerdem präsentieren sich die Plattformen oft erfolgreich als bloße Vermittler, ohne Verantwortung tragen zu müssen, wie andere Betriebe sie beispielsweise hinsichtlich Arbeitsbedingungen oder VerbraucherInnenschutz haben. Große Dienstleistungsunternehmen wie Amazon Mechanical Turk, TaskRabbit oder Deliveroo können sich den Pflichten eines Arbeitgebers entziehen, mit der Folge, dass Gig-ArbeitnehmerInnen nicht die gleichen Rechte wie andere ArbeitnehmerInnen in Anspruch nehmen können.
In den letzten Jahren gab es viele Meinungsverschiedenheiten zwischen Behörden und der Zivilgesellschaft auf der einen sowie den Plattformen auf der anderen Seite. Am deutlichsten ist der Konflikt zwischen Uber und TaxifahrerInnen sowie zwischen Städten beziehungsweise Gemeinden und Airbnb. Ein Beispiel: Die öffentliche Hand ist bestrebt, die illegale Vermietung von Wohnraum über Plattformen wie Airbnb zu stoppen, da dies zur Verschlechterung des Zugangs zu erschwinglichen Wohnungen beiträgt. Eben jene Plattformen nutzen jedoch jeden gesetzlichen Spielraum, um die Zusammenarbeit mit Behörden abzulehnen.
Der Druck der Mitgliedsländer hat dazu geführt, dass Plattformen nach Brüssel gegangen sind und sich dadurch der Konflikt auf die europäische Ebene verlagert hat. Durch Interventionen bei den EU-Institutionen wollen Plattformen Beschränkungen, denen sie auf nationaler oder lokaler Ebene ausgesetzt sind, umgehen.
Die Brüsseler Lobbying-Szene
Es gibt viele Lobbygruppen in Brüssel, die die großen Plattformen vertreten. In Verbänden wie der European Digital Markets Association (EDiMa) arbeiten sie mit anderen digitalen Unternehmen zusammen, um ihre Interessen zu vertreten. Im Rahmen des Europäischen Internetforums treffen sie sich mit den Mitgliedern des Europäischen Parlaments, um ihre Agenda im Europäischen Parlament vorzustellen. Über die Organisation DigitalEurope pflegen Plattformen den Kontakt mit Unternehmensgruppen aus anderen Sektoren. Hinzu kommt die Gründung verschiedener Branchenverbände zur Verteidigung spezifischer Brancheninteressen. Ein Beispiel für Letztere ist die European Holiday Home Association (EHHA), die alle wichtigen Plattformen für kurzfristige Mietunterkünfte umfasst.
Die Beteiligung der Plattformen ist unterschiedlich. In der Regel sind die aktivsten Plattformen diejenigen, deren Interessen infrage gestellt werden. In dieser Hinsicht fallen vor allem Uber und Airbnb auf. Der bevorzugte Weg der Plattformen, ihre Geschäftsinteressen durchzusetzen, erfolgt insbesondere über Allianzen mit Teilen der Europäischen Kommission.
Airbnb und Uber in Brüssel
Vor etwa fünf Jahren begannen Airbnb und Uber ihre Lobbying-Arbeit in Brüssel auf der Suche nach Unterstützung bei ihren Konflikten mit nationalen und lokalen Behörden. In der Generaldirektion Binnenmarkt der Europäischen Kommission fanden sie einen BeamtInnenapparat mit ähnlichen Zielsetzungen: Weder die Kommission noch die Plattformen waren an neuen Rechtsvorschriften interessiert. Beide waren mit zwei alten EU-Gesetzen sehr zufrieden: der Dienstleistungsrichtlinie (2006) und der E-Commerce-Richtlinie (2000). Denn beide EU-Gesetze stammen aus einer Zeit, in der Gig-Plattformen ein kaum bekanntes Phänomen waren; beide Rechtsakte bieten Interpretationen, die die Position der Plattformen bei ihren Auseinandersetzungen mit Behörden und Bürgerinitiativen sowie den Gewerkschaften deutlich stärken.
Die E-Commerce-Richtlinie beispielsweise kann als ein Rechtsinstrument für Plattformen verstanden werden, die Zusammenarbeit mit den Behörden zur systematischen Bekämpfung illegaler Aktivitäten zu verweigern. Davon erfasst wäre auch die Möglichkeit, sich lokalen Beschränkungen bei der Vermietung von Wohnungen zu entziehen. Sie kann zudem als Argument dafür verwendet werden, dass Unternehmen auch ohne offizielle Genehmigung, Lizenz oder Betriebserlaubnis ihre geschäftlichen Aktivitäten in einem Mitgliedstaat beginnen. Von den touristischen Vermietungsplattformen kann die Dienstleistungsrichtlinie genutzt werden, um bestimmte behördliche Auflagen für Unternehmen zu umgehen.
Erfolgreiche Kampagne
In den letzten Jahren hat die Kommission mehrere Initiativen ergriffen, um das Wachstum der Gig-Wirtschaft zu unterstützen. Darunter sind auch eine Reihe von Arbeiten zur Sicherstellung einer den Plattformen angemessenen Auslegung des EU-Rechts, die unter dem Titel der „kollaborativen Wirtschaft“ laufen. Außerdem hat die Kommission viele Mitgliedstaaten, darunter Spanien, Frankreich, Belgien und Deutschland, unter Druck gesetzt, Vermietungsplattformen für Touristen in Ruhe zu lassen. Sogar der Gang vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) wurde in einem Fall angedroht.
Bisher war die Lobbyarbeit sehr erfolgreich. Zwar erlitt Uber einen Rückschlag, als es vom EuGH im Dezember 2017 als Taxiunternehmen und nicht nur als Vermittler angesehen wurde, obwohl die Kommission während des Verfahrens Unterstützung für die Plattformen gezeigt hatte. Kurz darauf begann jedoch in der EU ein Streit um die Definition von „ArbeitnehmerIn“ und „ArbeitgeberIn“. Im Ergebnis wurden die Uber-ArbeitnehmerInnen ohne Handhabe im Kampf um ihre Rechte zurückgelassen.
Auch Airbnb hat bei seinen Bemühungen, einen „sicheren Hafen“ vor Regulierung aufzubauen und zu verteidigen, beträchtliche Unterstützung von der Kommission erhalten. Gegenwärtig steht ein Verfahren beim EuGH kurz vor dem Abschluss, bei dem viel für die Vermietungsplattform auf dem Spiel steht. Sollte sie vom Gericht als Vermittler akzeptiert werden, hätte dies erhebliche Auswirkungen auf ganz Europa. Die Versuche, den Zugang zu erschwinglichen Wohnungen zu verteidigen, würden dann erneut unter Druck geraten.
Zeit für Gegenstrategien
Mit dem Gerichtsverfahren von Airbnb vor dem EuGH und anderen geplanten Initiativen in Brüssel sowie einer Kommission, die dem digitalen Sektor hohe Priorität einräumt, verschärft sich ein langer und intensiver Kampf um die Gig-Economy. Das Ergebnis wird letztlich von mehreren Faktoren bestimmt werden. Einer davon ist das Lobbying in Brüssel. Insbesondere Gewerkschaften, VerbraucherInnenverbände und andere soziale Bewegungen müssen eine Gegenstrategie zu dem übermäßigen Einfluss von LobbyistInnen finden. Sozial- und Arbeitsrechtsbestimmungen stehen nach wie vor auf dem Spiel.