Offensive Arbeitsmarkt: Was nun getan werden muss

15. September 2020

Der österreichische Arbeitsmarkt leidet massiv unter den Folgen der gesundheitspolitischen Reaktionen auf die Corona-Pandemie. Die Arbeitslosigkeit ist um fast 23 Prozent höher als im Vorjahr, die Beschäftigung ist um knapp 2 Prozentpunkte zurückgegangen und mehr als 450.000 Beschäftigte sind immer noch in Kurzarbeit. Es ist also hoch an der Zeit für eine beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitische Offensive, mit vier Eckpunkten: Qualifizierung, öffentliche Beschäftigung, bessere Einkommenssicherung und ein gut ausgestattetes Arbeitsmarktservice.

Abruptes Ende einer mehrjährigen Erholungsphase

Seit 2015 ging die Arbeitslosigkeit kontinuierlich zurück, bis der Lockdown zu einem Rekordanstieg führte. Trotz leichter Erholung infolge der Lockerung der gesundheitspolitischen Einschränkungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens ist derzeit nicht davon auszugehen, dass ohne zusätzliche Maßnahmen die größte Arbeitsmarktkrise seit dem 2. Weltkrieg im nächsten Jahr überwunden sein wird.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Gegensteuern gefragt

Die hohe Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung verringern zu wollen, ist zunächst eine wirtschaftspolitische Herausforderung: Mehr öffentliche Investitionen und eine gestärkte Binnennachfrage sollen wieder zu steigender Beschäftigung führen. Erste Maßnahmen in diese Richtung wurden bereits getroffen, sowohl auf europäischer Ebene wie auch in Österreich, wo etwa die AK im Mai bereits weitreichendere Vorschläge unter dem Titel „Österreich neu starten“ veröffentlichte.

AK „Offensive: Arbeitsmarkt“

Unter dem Titel „Offensive: Arbeitsmarkt“ haben wir nun in der AK ein neues Maßnahmenpaket erarbeitet, das u.a. auf Erfahrungen und Erkenntnissen aus einem Dialog mit Betroffenen und an Arbeitsmarktpolitik Interessierten basiert, etwa im Rahmen der gleichnamigen Diskussionsveranstaltungen. Ausgangspunkt waren vier große Fragen:

  1. Wie können das berufliche Wissen und Können der ArbeitnehmerInnen, egal beschäftigt oder gerade arbeitslos, erhöht und an sich ändernde Anforderungen der Unternehmen angepasst werden?
  2. Was ist zu tun, dass die ohnehin schon sehr hohe Langzeitbeschäftigungslosigkeit nicht noch weiter wächst, wie kann dauerhafte Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt zurückgedrängt werden?
  3. Reicht die existenzielle Absicherung von Arbeitslosen auch in Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, kann mit ihr die Gefahr von Verarmung breiter Bevölkerungsgruppen ebenso vermieden werden wie Einbrüche in der konjunkturpolitisch so wichtigen Binnennachfrage?
  4. Ist die zentrale öffentliche Institution für die Umsetzung der Arbeitsmarktpolitik ausreichend mit Ressourcen ausgestattet, um ihre Aufgaben zu erfüllen?

Eine Qualifikationsoffensive für Beschäftigte und Arbeitsuchende – arbeitsmarktpolitisches Gebot der Stunde

Die Antwort auf die erste Frage ist einfach und klar. Es braucht eine Qualifikationsoffensive in der österreichischen Arbeitsmarktpolitik. Im Kern aus zwei Gründen: In der aktuellen und wohl bis 2022 reichenden Arbeitsmarktkrise ist es sinnvoll, das Angebot an Arbeit durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu verknappen. Neben der Corona-Krise wirken ja die Digitalisierung und die Klima-Krise weiter – der wirtschaftliche Strukturwandel wird sich beschleunigen (müssen), die Chancen auf gute und möglichst stabile Arbeit von ArbeitnehmerInnen werden davon abhängen, ob sie diesen Strukturwandel in ihrem beruflichen Wissen und Können auch nachvollziehen können. Zudem sind in der Corona-Krise doch deutliche Mängel bei der Versorgung der Bevölkerung mit sozialen Dienstleistungen, insbesondere bei der Betreuung und Pflege Älterer, sichtbar geworden. Eine der wichtigsten Bedingungen für die wirtschaftliche Erholung in Österreich und für ausreichend soziale Dienstleistungen ist unbestritten eine entsprechende Weiterentwicklung der beruflichen Qualifikationen der ArbeitnehmerInnen. Und dazu muss auch die Arbeitsmarktpolitik ihren Beitrag leisten.

Die Bundesregierung hat Ende Juli die Einrichtung einer „Corona-Arbeitsstiftung“ (CAST) beschlossen, für die nach den vorliegenden Informationen 700 Mio. Euro an zusätzlichen Mitteln für Maßnahmen der beruflichen Aus-, Weiter- und Umqualifizierung von geplanten 100.000 Beschäftigten und Arbeitsuchenden bereitgestellt werden sollen. Darüber hinaus haben sich die Bundesregierung und die Sozialpartner entschlossen, in der nächsten Phase der COVID19-Kurzarbeit einen Schwerpunkt auf berufliche Qualifikation während der Kurzarbeit zu setzen.

Beides sind Schritte in die richtige Richtung. Insbesondere bei der Umsetzung der CAST müssen allerdings ein paar Grundsätze gelten:

  • Bei den Qualifikationsmaßnahmen muss das Ziel der Abschluss einer zertifizierten und öffentlich anerkannten Berufsausbildung sein – etwa Lehrabschlüsse oder höhere Bildungsabschlüsse.
  • Das sogenannte Fachkräftestipendium muss auf tertiäre Ausbildungen wie etwa im Bereich Gesundheits- und Pflegeberufe ausgeweitet werden und auch finanziell attraktiver gemacht werden. Denn allein in diesen Berufen werden in den nächsten Jahren rund 75.000 zusätzliche FacharbeitnehmerInnen benötigt.
  • Die Qualifikationsmaßnahmen der CAST müssen für alle ArbeitnehmerInnen offenstehen – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder ihren sogenannten „Reintegrationschancen“ nach dem vielbeschworenen „Algorithmus im AMS“. Das heißt, es muss auf ausreichende Teilnahme von Frauen geachtet werden und es müssen berufliche Ausbildungen auch Arbeitsuchenden mit schlechten Deutschkenntnissen ermöglicht werden.
  • Insbesondere eher bildungsfernen Arbeitsuchenden ist eine gute Berufs- und Bildungsberatung und auch eine Begleitung während längerer Ausbildungen zu ermöglichen, um Fehlausbildungen und Bildungsabbrüche so gering wie möglich zu halten und die Betroffenen nicht um ihre Hoffnungen und die Früchte ihrer Anstrengungen zu bringen.

Jobgarantie jetzt – Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit und öko-sozialen Wandel verbinden

Verfestigte Arbeitslosigkeit lässt sich nur mit sehr hohem Aufwand für die Betroffenen und die öffentlichen Institutionen abbauen. Verarmung, soziale Isolation, zunehmende Gesundheitsprobleme, Verlust von Selbstwert und Sinn im Leben sind vielfach dokumentierte Folgen für die Betroffenen. Für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft bedeutet hohe Langzeitarbeitslosigkeit hohe Ausgaben, Verlust von Beschäftigungspotenzialen und soziale Spannungen. Es sollte naheliegen, durch arbeitsmarktpolitische Interventionen einen weiteren Anstieg von Langzeitarbeitslosigkeit in der aktuellen Krise zu vermeiden bzw. die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen.

Ein wichtiger Ansatz dafür wäre neben der derzeit eingesetzten Transitbeschäftigung in sozialökonomischen Betrieben und ähnlichen Beschäftigungsprojekten bzw. der „Eingliederungsbeihilfe“ genannten Lohnsubvention für Arbeitgeber eine Jobgarantie: Wer länger als 2 Jahre arbeitslos ist, sollte die Möglichkeit einer Beschäftigung auf einem dauerhaft geförderten Arbeitsplatz erhalten. Diese Arbeitsplätze sollten die Versorgung der Bevölkerung mit sozialen, ökologischen und auch kulturellen öffentlichen Dienstleistungen verbessern – die ja in vielen Bereichen dank einer überzogenen Austeritätspolitik in den letzten Jahrzehnten deutlich schlechter geworden ist. Mit dem Modell „Chance 45“ hat die AK einen Ansatz entwickelt, mit dem für bis zu 40.000 langzeitarbeitslose Personen sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden könnten. Sinnvolle Beschäftigungen auch deshalb, weil die lokale Bevölkerung bei ihrer Schaffung miteinbezogen werden sollte – die BürgerInnen bestimmen, welche öffentliche Dienstleistung in ihrer Kommune geschaffen oder ausgebaut werden soll. Der Preis dafür – Nettokosten für die öffentliche Hand von rund 300 Mio. Euro – erscheint nicht zu hoch. Zumal die Evaluierung eines ähnlichen Projektes – der leider Anfang 2018 gestoppten Aktion 20.000 – im Hinblick auf die schwierigen Rahmenbedingungen sehr positiv ausgefallen ist.

Im aktuellen Regierungsübereinkommen gäbe es einen Ansatz für die Realisierung von solchen Initiativen, die den Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit mit dem Auf- bzw. Ausbau von öffentlichen Diensten in der Daseinsvorsorge verbinden. Die Nettokosten für die öffentlichen Kassen sollten die Regierung nicht abhalten, sondern eher anspornen, ihr Vorhaben auch umzusetzen – für die nächsten beiden Jahre sollten daher dem AMS die dafür notwendigen 300 Mio. Euro zur Verfügung gestellt werden.

Womit auch die Dimension des sogenannten Förderbudgets des AMS Österreich für die Jahre 2021 und 2022 beschrieben ist – es wird rund 2 Mrd. Euro in den beiden Jahren für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gegen die Arbeitsmarkt-Krise brauchen: Ausgangsniveau vor der Arbeitsmarktkrise war ein Budget von 1,25 Mrd. Euro. Dazu kommen 700 Mio. Euro für die Qualifizierungsoffensive unter der Marke „Corona-Arbeitsstiftung“ und bis zu 300 Mio. Euro für den Einstieg in die Jobgarantie für Langzeitarbeitslose.

Höhere Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit – weniger Armut, mehr Binnenkonsum, bessere Vermittlungsergebnisse

Nein, die Höhe der Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung reicht nicht aus, um Verarmung von Haushalten mit Arbeitslosigkeit zu vermeiden, sie reicht nicht aus, um gerade für die lokale Wirtschaft schädliche Konsumeinbrüche zu verhindern. Nein, sie reicht nicht aus, um zu vielen Arbeitsuchenden längere Ausbildungen finanziell zu ermöglichen und ihnen eine auch etwas längere Suche nach einem neuen Arbeitsplatz zu ermöglichen, auf dem sie ihr berufliches Können auch voll einsetzen können. Wie sehr und wie rasch auch Haushalte mit relativ hohem Einkommen vor Arbeitslosigkeit mit der Gefahr dauerhafter Verarmung stehen, hat etwa eine gemeinsam von IFES und SORA durchgeführte Studie zur „Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit“ aus dem Jahr 2014 gezeigt.

Bislang behilft sich die Bundesregierung mit zeitlich befristeten Maßnahmen, wie die Erhöhung der Notstandshilfe auf das Niveau des Arbeitslosengeldes, oder beschließt Einmalzahlungen. Gerade in diesen Tagen erhalten ja Arbeitslose, die in den Monaten Mai – August 2020 für mindestens 60 Tage Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen haben, 450 Euro. All das ist besser als nichts, es löst allerdings das Grundproblem zu niedriger Geldleistungen bei Arbeitslosigkeit nicht.

Es bleibt daher die Forderung aufrecht: Die Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld muss dauerhaft auf 70 Prozent erhöht werden.

AMS – kritische Infrastruktur für ArbeitnehmerInnen und Unternehmen, chronisch unterpersonalisiert und in andauernder Unsicherheit über ihr Budget

In den letzten Wochen und Monaten ist wohl allen Interessierten klar geworden: Ohne die Leistungsfähigkeit des AMS wäre der massive Einbruch auf dem Arbeitsmarkt weder für die Unternehmen noch für die betroffenen ArbeitnehmerInnen zu bewältigen gewesen. Einen Anstieg der Arbeitslosigkeit innerhalb weniger Tage um mehr als 200.000 Personen administrativ und bei der Auszahlung der Geldleistungen zu bewältigen und dazu noch die COVID19-Kurzarbeit mit zum Höhepunkt rund 113.000 Betrieben mit mehr als 1,3 Millionen Beschäftigten in Kurzarbeit abzuwickeln, hat das AMS an den Rand seiner Leistungsfähigkeit gebracht und insbesondere eines sichtbar gemacht: die viel zu dünne Personaldecke im AMS. Die Folgen tragen zunächst die im AMS Beschäftigten – monatelange Überbelastung hinterlässt deutliche gesundheitliche Spuren und trägt wenig zu Motivation und Einsatzbereitschaft bei.

AK und Gewerkschaften kritisieren diesen Umstand schon seit Jahren – denn mehr Beschäftigte im AMS brächten eine bessere Beratung und Vermittlung von Arbeitslosen sowie einen effektiveren Einsatz der Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Allein: Bis auf eine Aufstockung der Planstellen um 400 im Jahr 2016 ist das Bemühen um mehr Personal für das AMS ohne Erfolg geblieben.

Um den drohenden Anstieg der Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern, braucht es deshalb jetzt rasch zusätzliches Personal. Die vom Nationalrat in einem Entschließungsantrag beschlossenen 350 zusätzlichen Planstellen sind dabei zu wenig, denn selbst die konservative Personalbedarfsrechnung des AMS-Vorstandes hat einen zusätzlichen Bedarf von 652 Planstellen ergeben. Die im Raum stehende Streikdrohung der AMS-Belegschaft überrascht daher nicht. Der AMS-Verwaltungsrat sollte rasch eine Personalaufstockung beschließen, damit spätestens im Oktober tatsächlich neue MitarbeiterInnen im AMS aufgenommen werden können.

„Offensive: Arbeitsmarkt“ jetzt rasch umsetzen!

Der massive Einbruch auf dem österreichischen Arbeitsmarkt braucht jetzt rasch eine von Regierung und Sozialpartnern getragene Offensive auf dem Arbeitsmarkt, die folgende Eckpunkte umfasst:

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  • eine Qualifikationsoffensive für Beschäftigte, denn es gilt die Chancen der ArbeitnehmerInnen zu erhöhen, auf einem durch raschen Strukturwandel gekennzeichneten Arbeitsmarkt gut Fuß zu fassen;
  • eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose, denn die Finanzierung von Beschäftigung ist gesamthaft gesehen günstiger als Langzeitarbeitslose dauerhaft zu alimentieren;
  • erhöhte Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung zur Armutsvermeidung, zur Sicherung regional wirksamer Kaufkraft und zur Vermeidung einer volkswirtschaftlich schädlichen Beschäftigung unterhalb der erworbenen Qualifikationen und damit Produktivität;
  • ein personell gut ausgestattetes und damit leistungsfähigeres Arbeitsmarktservice, die zentrale öffentliche Arbeitsmarktinstitution.
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