OECD: Steigende Ungleichheit – warum eine Trendumkehr notwendig ist

07. Juli 2015

In den entwickelten Industriestaaten waren die ökonomischen Unterschiede in den letzten 30 Jahren nie höher als heute. Währenddessen vor einigen Jahren die Problematisierung von Ungleichheit als politische Agitation abgetan wurde, sind die inzwischen zahlreich publizierten Statistiken schwer zu widerlegen. Steigende Ungleichheit, eigentlich erschüttert eine derartige Nachricht nur mehr wenig. „Die Welt ist schlecht und ungerecht“ heißt es schon bei Heinrich Heine. Ja, aber: Ist es gut, sich an diesen Zustand zu „gewöhnen“? Keinesfalls, wie der neueste OECD Report in it together zeigt, denn solche sozialen Schieflagen sind selbst für die Ökonomie nachteilig, wird hier vorgerechnet.

Die reichsten zehn Prozent der Gesellschaft verdienen jährlich fast zehn Mal so viel wie die ärmsten zehn Prozent. Das jetzige Verhältnis 9,6:1 lag Anfang der 80er Jahre noch bei 7:1. Dass die Schere weiter aufgegangen ist, hat nicht nur damit zu tun, dass das oberste Prozent bei Einkommen und Vermögen, über das ja viel geschrieben wurde, noch reicher wird, sondern auch damit, dass die Spaltung in der Gesellschaft insgesamt zunimmt.

Anstieg der Einkommensungleichheit (Gini Koeffizienten)

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Quelle: OECD 2014. © A&W Blog
Quelle: OECD 2014.

Ein relevanter Teil der Bevölkerung wird abgehängt

So sind es zudem die untersten 40 Prozent in der Verteilung, die laut OECD in den letzten Jahren zurückgefallen sind, was zunehmend soziale und politische Fragen aufwirft. Denn damit sind es nicht nur „soziale Randgruppen“, die nicht mehr am Zuwachs des ökonomischen Wohlstands teilnehmen, nein, wir sind bereits in der Mitte der Gesellschaft angelangt. Währenddessen es noch einige Unverbesserliche gibt, die meinen die steigende Ungleichheit sei nur eine Folge von statistischen Revisionen, geht die OECD davon aus, dass der Anstieg tief in den ökonomischen Strukturen wurzelt und es deshalb auch schwer sein wird, den Trend umzukehren. Denn mehr als die Hälfte der geschaffenen Arbeitsplätze seit 1995 sind atypische Beschäftigungsverhältnisse. Dieser Trend hat sich mit der Krise verschärft. Seit 2007 sind in den OECD Staaten insgesamt die Standardarbeitsverhältnisse gesunken, einen kleinen Beschäftigungszuwachs gab es in Summe bei den atypischen.

Die Entwicklung der Normal- und atypischen Arbeitsverhältnisse 2007-2013

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Quelle: OECD 2015. © A&W Blog
Quelle: OECD 2015.

Welche Charakteristika haben nun diese neuen Arbeitsverhältnisse? Die gute Nachricht: Sie sind nicht zwangsläufig schlechte Jobs. Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse sind manchmal durchaus gewünschte Arbeitsformen, um die Work-Life-Balance zu erhöhen. Die schlechte Nachricht: diese Beschäftigungsformen, sind in einer Reihe von Aspekten gegenüber den durchgängigen Normalarbeitsverhältnissen schlechter gestellt. So verdienen gerade bei den schlecht bezahlten Jobs, gerade die atypischen noch 20 Prozent weniger als vergleichbare Standardjobs. Sie sind mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eines Jobverlustes konfrontiert, bekommen weniger Weiterbildung und leiden unter signifikant höherem Arbeitsdruck.

Besonders die atypischen, nicht stabilen Beschäftigungsverhältnisse bewirken also das Auseinandergehen der Einkommensschere. Die Hoffnung, dass atypische Verträge schlussendlich zu stabileren und damit besser bezahlten Anstellungen führen, bewahrheitet sich nur in ganz bestimmten Fällen. Hier hängt es vor allem von der Art der Arbeit, von den Qualifikationen und anderen sozialen Merkmalen des Arbeitssuchenden und den Arbeitsmarktinstitutionen ab, ob das gelingen kann. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit und die Einkommensstatistiken zeigen: Gerade den Jungen gelingt es immer schwerer, solche stabilen Jobs zu erlangen.

Steigende Ungleichheit schadet wirtschaftlicher Entwicklung

Auch diese Aussagen sind für viele Menschen nicht neu, überproportional viele Frauen und jüngere Menschen erleben diese Auswirkungen ja auch tagtäglich am eigenen Leib. Doch wird von vielen Seiten argumentiert, dies helfe der Wirtschaft.

Die OECD hingegen, eine Organisation, die gründet wurde, um die wirtschaftlichen Entwicklung zu fördern, kommt zum gegenteiligen Schluss. Die Zunahme der Ungleichheit hat der wirtschaftlichen Entwicklung geschadet. Der Anstieg der Ungleichheit im OECD Raum seit den 1980er Jahren war langfristig mit einem Verlust von fast fünf Prozentpunkten BIP-Wachstum verbunden. Das Wachstum wäre also in vielen Staaten höher, wenn die Ungleichheit nicht gestiegen wäre. Der Effekt ist vor allem auf die steigende Kluft der unteren Einkommen zurückzuführen – der unteren 40 Prozent.

Auswirkung steigender Ungleichheit auf das Wirtschaftswachstum seit den 1980er Jahren

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Quelle: OECD 2015. © A&W Blog
Quelle: OECD 2015.

Ungleichheit lässt sich korrigieren

Deshalb empfiehlt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit eine Reihe von Maßnahmen, die dazu beitragen können, den Trend zu stoppen:

  • Höhere Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben und geringere Lohnunterschiede bremsen den Trend zu mehr Ungleichheit.
  • Die Förderung von Beschäftigungsmöglichkeiten und Verbesserung der Arbeitsplatzqualität – Maßnahmen für mehr und bessere Jobs sind notwendig, um die Einkommenschancen – speziell der einkommensschwachen Gruppen – zu verbessern.
  • Investition in Aus- und Weiterbildung: Fokus auf die ersten Lebensjahre und Familien mit Kindern, sowie auf lebensbegleitendes Lernen schaffen das Potenzial für eine langfristig positive Entwicklung einer Volkswirtschaft.
  • Und last but not least: Die Verbesserung bestehender Steuer-Transfer-Systeme und eine effiziente Umverteilung helfen die sozialen Risiken abzufedern, die sich Menschen in der Krise zunehmend gegenübersehen und verlangen denjenigen einen Beitrag ab, die von immer noch steigenden Wohlstand stärker profitieren als andere.

Weniger Ungleichheit hilft gesamtgesellschaftlich und wirtschaftlich schlussendlich allen. Gut, dass dies auch berechenbar ist. Besser, es wird etwas dagegen getan.