Umverteilung durch gerechtere Steuerpolitik: Eine makroökonomische Begründung

15. November 2013

Die herrschende Krisenanalyse sieht die angeblich überbordende Staatstätigkeit als Krisenursache. Die darauf aufbauende Krisenpolitik zeitigt in vielen Ländern katastrophale soziale und wirtschaftliche Ergebnisse. Auch wenn bei verschiedenen Staaten Unzulänglichkeiten bestehen, bestehen wesentliche Ursachen für die noch immer andauernde Krise,  nämlich die Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Volkswirtschaften, die immer ungleichere Verteilung der Einkommen und die unregulierten Finanzmärkte, fort. Zur Krisenbewältigung sind  gesamtwirtschaftliche (Finanzierungs-)Zusammenhänge zu beachten und Maßnahmen für eine gerechtere Verteilung zu setzen – durch kräftige Lohnsteigerungen und Umschichtung der Steuerlast auf die Vermögenden.

 

Forderungen nach einer steuerpolitischen Korrektur der sehr ungleichen Verteilung werden von der ökonomisch vorherrschenden Meinung zumeist im Konflikt mit den wirtschaftspolitischen Zielen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gesehen. Demnach ist jede Steuererhöhung automatisch dem Verdacht der Wachstums- und Beschäftigungsfeindlichkeit ausgesetzt und damit politisch leicht zu diskreditieren. Eine höhere Umverteilung ist aus dieser Sicht mit geringeren Leistungsanreizen und Nachteilen im internationalen Steuerwettbewerb verbunden. Dies führe zu Wohlfahrtsverlusten und auch zu weniger Wachstum und Beschäftigung. Eine ungleichere Verteilung hingegen wirke sich positiv aus und bringe Wohlfahrtsgewinne  mit sich.

Eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung führt jedoch systematisch zu anderen Schlüssen. Das gilt gerade für solche wirtschaftlichen Entwicklungsphasen, die durch nachfrageseitige Beschränkungen gekennzeichnet sind und in denen der private Konsum durch die Ungleichheit beeinträchtigt ist. In diesem Fall sollte eine Verringerung der Ungleichheit angestrebt werden. Denn es ist davon auszugehen, dass der private Konsum einkommensabhängig ist. Wenn durch eine schwache Entwicklung des privaten Konsums Absatz- und damit Profitabilitätserwartungen der privaten Unternehmen nicht erfüllt werden, werden diese außerdem nicht ausreichend investieren. Unter diesen Voraussetzungen ist von einer Harmonie des verteilungspolitischen Ziels mit den Wachstums- und Beschäftigungszielen auszugehen.

„Neoliberales Wunschkonzert“ zur Beschneidung des Sozialstaats

Die gängige Kriseninterpretation sieht eine angeblich überbordende Staatstätigkeit als Krisenursache. Demnach hätten „zu hohe“ Staatsausgaben zur krisenhaften (Staatsschulden-)Entwicklung geführt. Doch weder die Höhe noch die Entwicklung der Staatsausgaben einzelner Länder korreliert mit ihrem Status als „Krisenland“. Denn sowohl in den von der Krise besonders betroffenen Ländern wie Spanien, Irland und Italien als auch in wirtschaftsstarken „Exportüberschuss-Ländern“ wie Deutschland und Österreich sind die Staatsausgaben als Anteil am Bruttoinlandsprodukt bis kurz vor der Krise gesunken. Der massive Anstieg der Staatsausgabenquoten in beiden Länderkategorien ist eindeutig durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verursacht: Der Staat hatte konjunkturbedingte Einnahmenausfälle zu verkraften, musste Konjunkturpakete auflegen und Rettungspakete für die maroden Banken schnüren.

Die aus einer falschen Analyse resultierende budgetäre Kürzungspolitik löst keine Probleme, sondern führt zu katastrophalen Ergebnissen: die gleichzeitige, das Konjunkturtief verstärkende Konsolidierungspolitik ist nur das Rezept für einen schweren, anhaltenden Wirtschaftseinbruch im Euroraum. Diese Politik hat aber nicht nur ökonomische Kosten. Fast alle Errungenschaften der Arbeitnehmer/-innen und ihrer Gewerkschaften stehen unter Druck. Zudem ist eine politische Radikalisierung zu befürchten. Unter dem Titel „Konsolidierung“ wurde gewissermaßen ein „neoliberales Wunschkonzert“ zur Beschneidung des Sozialstaats veranstaltet.

Neben den unterregulierten Finanzmärkten sind die wirtschaftlichen Ungleichgewichte (Leistungsbilanzüberschüsse und –defizite) zwischen den einzelnen Ländern und die ungleichere Einkommensverteilung die wichtigsten Krisenursachen in der Euro-Zone. Sie führten zu Blasen auf den Finanz- und auch den Immobilienmärkten, deren Platzen vorhersehbar war. Dabei haben sowohl Griechenland und die anderen „Krisenländer“ als auch die Exportüberschuss-Länder wie Deutschland Probleme. Denn die Gefahr, dass die massiv aufgebauten Forderungen, etwa Deutschlands, gegenüber Importüberschuss-Ländern entwertet werden, also deren Auslandschulden nicht zurückgezahlt werden (können), ist hoch.

Die Leistungsbilanzungleichgewichte im Euroraum (Leistungsbilanzsaldo in Mrd. Euro)

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Quelle: EU-Kommission (Mai 2014) inkl. Prognose, eigene Berechnungen

Die gesamtwirtschaftlichen Finanzierungssalden beachten!

Der Finanzierungssaldo des privaten Sektors (private Haushalte und Unternehmen zusammen), der staatliche Budgetsaldo und der Saldo der grenzüberschreitenden Leistungsbilanz hängen zusammen und saldieren sich immer auf Null. Wenn die privaten Haushalte einer Volkswirtschaft insgesamt mehr Sparguthaben aufbauen, als die privaten Unternehmen insgesamt für kreditfinanzierte Investitionen an Schulden aufnehmen, dann müssen sich zwangsläufig der Staat und/oder das Ausland verschulden. Den Guthaben stehen immer Schulden gegenüber.

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Am Beispiel Österreichs  ist ersichtlich, dass der steigende Überschuss-Saldo des gesamten privaten Sektors mit einer Ausweitung des staatlichen Budgetdefizits weitgehend einhergeht. Weiters ist erkennbar, dass sich seit 2001 das Ausland in Österreich verschuldet. Zudem bauen die Unternehmen seit 2008 per Saldo Finanzvermögen auf. Diese Entwicklung ist zwar weniger drastisch als in Deutschland, signalisiert jedoch auch für Österreich Handlungsbedarf.

Ursachen für den Überschuss bei den privaten Haushalten sind vor allem die steigende Ungleichheit in der personellen Einkommensverteilung und der dadurch bedingte Anstieg der Sparquote. Zwar ist die Sparquote zuletzt spürbar gesunken; jedoch dürfte es sich dabei vor allem um eine kurzfristige Reaktion auf die schlechte konjunkturelle Lage handeln, in der die Haushalte zur Finanzierung ihres Konsumniveaus vorübergehend verstärkt auf Ersparnisse zurückgreifen. Grundsätzlich gilt: Je höher das Einkommen, umso mehr wird davon gespart. Die staatliche Subventionierung kapitalbasierter Pensionsvorsorgen verstärkt dies noch. Dazu kommt die massive Verschiebung in der sogenannten funktionellen Einkommensverteilung zu Lasten von (niedrigen) Arbeitseinkommen und zugunsten der Unternehmens- und Vermögenseinkommen, wie er im Fall der Arbeitseinkommensquote (Lohnquote) zum Ausdruck kommt.

In seinen Ursachen schwerer zu interpretieren ist die erstaunliche Wandlung des Unternehmenssektors vom traditionellen Defizitsektor zum persistenten Überschusssektor im selben Zeitraum. Die steigenden Unternehmensgewinne gehen zu einem beträchtlichen Teil  – anders als etwa aus vorherrschender Sicht zu vermuten – mit einer klaren Schwäche der Realinvestitionen einher, die parallel zum Einbruch des privaten Konsums ebenfalls kaum noch positive Wachstumsbeiträge erzielten.

Wirtschaftspolitische Kehrtwende zu mehr Verteilungsgerechtigkeit!

Notwendig ist eine europäisch koordinierte Vorgangsweise, die diese Entwicklung der Finanzierungssalden und ihre wechselseitigen Zusammenhänge beachtet. Die Exportüberschuss-Länder, vor allem Deutschland, die Niederlande, aber auch Österreich müssen die Reduktion der Leistungsbilanz- und Budgetdefizite anderer Länder dahingehend unterstützen, indem sie ihre eigenen Leistungsbilanzüberschüsse abbauen. Am wichtigsten ist dabei, den Zuwachs der privaten Ersparnisse auf gesamtwirtschaftlicher Ebene zu verringern, bzw. die realen Unternehmensinvestitionen zu steigern.

Eine Fortsetzung der bisherigen Umverteilungspolitik nach oben durch die Senkung von Steuern für Unternehmen und Vermögende ist nicht zielführend. Notwendig ist eine Trendwende zu wieder mehr Verteilungsgerechtigkeit. Dies sollte zum einen durch einen höheren Anteil der Lohn- und Gehaltsempfänger/-innen am gesamtwirtschaftlichen Wohlstandszuwachs erfolgen.

Zum anderen sind steuerpolitische Maßnahmen notwendig, die die Kaufkraft von  Einkommensschichten mit hoher Konsumquote (und niedriger Sparquote) stärkt. Von Einkommensschichten mit hoher Sparquote sollte ein höherer Anteil zur Finanzierung der Staatsaufgaben verlangt werden. Steuerentlastungen, die – mangels ausreichender Staatseinnahmen – auf Kosten von Investitionen in die öffentliche Infrastruktur oder öffentliche Sozialleistungen gehen, würden erst Recht wieder die Binnennachfrage beeinträchtigen und scheiden damit aus.

Alternative Budgetstrategie für Österreich

Angesichts der extrem niedrigen Vermögensteuerquote (nur 1,2 Prozent der Gesamtabgaben) erscheint eine alternative Budgetstrategie für Österreich, die zusätzliche Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und eine Entlastung niedriger und mittlerer Einkommensbezieher/-innen durch mehr Einnahmen aus vermögensbezogenen Steuern finanziert, plausibel (Budgetstrategie). Der jahrzehntelange Steuersenkungswettbewerb der Industriestaaten im Namen des „Standorts“ für Großkonzerne und Vermögende ist zu beenden. Er hat einerseits trotz steigender Gewinne bzw. Vermögen zu stagnierendem Steueraufkommen aus diesen Quellen geführt und andererseits das neoliberale Heilsversprechen – mehr Wohlstand für alle durch weniger Steuern für Konzerne und Vermögende – nicht erfüllt. Das neoliberale Wunschkonzert ist zu beenden, ein steuerpolitischer Kurswechsel notwendig.