Die herrschende Krisenanalyse sieht die angeblich überbordende Staatstätigkeit als Krisenursache. Die darauf aufbauende Krisenpolitik zeitigt in vielen Ländern katastrophale soziale und wirtschaftliche Ergebnisse. Auch wenn bei verschiedenen Staaten Unzulänglichkeiten bestehen, bestehen wesentliche Ursachen für die noch immer andauernde Krise, nämlich die Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Volkswirtschaften, die immer ungleichere Verteilung der Einkommen und die unregulierten Finanzmärkte, fort. Zur Krisenbewältigung sind gesamtwirtschaftliche (Finanzierungs-)Zusammenhänge zu beachten und Maßnahmen für eine gerechtere Verteilung zu setzen – durch kräftige Lohnsteigerungen und Umschichtung der Steuerlast auf die Vermögenden.
Forderungen nach einer steuerpolitischen Korrektur der sehr ungleichen Verteilung werden von der ökonomisch vorherrschenden Meinung zumeist im Konflikt mit den wirtschaftspolitischen Zielen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gesehen. Demnach ist jede Steuererhöhung automatisch dem Verdacht der Wachstums- und Beschäftigungsfeindlichkeit ausgesetzt und damit politisch leicht zu diskreditieren. Eine höhere Umverteilung ist aus dieser Sicht mit geringeren Leistungsanreizen und Nachteilen im internationalen Steuerwettbewerb verbunden. Dies führe zu Wohlfahrtsverlusten und auch zu weniger Wachstum und Beschäftigung. Eine ungleichere Verteilung hingegen wirke sich positiv aus und bringe Wohlfahrtsgewinne mit sich.
Eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung führt jedoch systematisch zu anderen Schlüssen. Das gilt gerade für solche wirtschaftlichen Entwicklungsphasen, die durch nachfrageseitige Beschränkungen gekennzeichnet sind und in denen der private Konsum durch die Ungleichheit beeinträchtigt ist. In diesem Fall sollte eine Verringerung der Ungleichheit angestrebt werden. Denn es ist davon auszugehen, dass der private Konsum einkommensabhängig ist. Wenn durch eine schwache Entwicklung des privaten Konsums Absatz- und damit Profitabilitätserwartungen der privaten Unternehmen nicht erfüllt werden, werden diese außerdem nicht ausreichend investieren. Unter diesen Voraussetzungen ist von einer Harmonie des verteilungspolitischen Ziels mit den Wachstums- und Beschäftigungszielen auszugehen.
„Neoliberales Wunschkonzert“ zur Beschneidung des Sozialstaats
Die gängige Kriseninterpretation sieht eine angeblich überbordende Staatstätigkeit als Krisenursache. Demnach hätten „zu hohe“ Staatsausgaben zur krisenhaften (Staatsschulden-)Entwicklung geführt. Doch weder die Höhe noch die Entwicklung der Staatsausgaben einzelner Länder korreliert mit ihrem Status als „Krisenland“. Denn sowohl in den von der Krise besonders betroffenen Ländern wie Spanien, Irland und Italien als auch in wirtschaftsstarken „Exportüberschuss-Ländern“ wie Deutschland und Österreich sind die Staatsausgaben als Anteil am Bruttoinlandsprodukt bis kurz vor der Krise gesunken. Der massive Anstieg der Staatsausgabenquoten in beiden Länderkategorien ist eindeutig durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verursacht: Der Staat hatte konjunkturbedingte Einnahmenausfälle zu verkraften, musste Konjunkturpakete auflegen und Rettungspakete für die maroden Banken schnüren.
Die aus einer falschen Analyse resultierende budgetäre Kürzungspolitik löst keine Probleme, sondern führt zu katastrophalen Ergebnissen: die gleichzeitige, das Konjunkturtief verstärkende Konsolidierungspolitik ist nur das Rezept für einen schweren, anhaltenden Wirtschaftseinbruch im Euroraum. Diese Politik hat aber nicht nur ökonomische Kosten. Fast alle Errungenschaften der Arbeitnehmer/-innen und ihrer Gewerkschaften stehen unter Druck. Zudem ist eine politische Radikalisierung zu befürchten. Unter dem Titel „Konsolidierung“ wurde gewissermaßen ein „neoliberales Wunschkonzert“ zur Beschneidung des Sozialstaats veranstaltet.
Neben den unterregulierten Finanzmärkten sind die wirtschaftlichen Ungleichgewichte (Leistungsbilanzüberschüsse und –defizite) zwischen den einzelnen Ländern und die ungleichere Einkommensverteilung die wichtigsten Krisenursachen in der Euro-Zone. Sie führten zu Blasen auf den Finanz- und auch den Immobilienmärkten, deren Platzen vorhersehbar war. Dabei haben sowohl Griechenland und die anderen „Krisenländer“ als auch die Exportüberschuss-Länder wie Deutschland Probleme. Denn die Gefahr, dass die massiv aufgebauten Forderungen, etwa Deutschlands, gegenüber Importüberschuss-Ländern entwertet werden, also deren Auslandschulden nicht zurückgezahlt werden (können), ist hoch.
Die Leistungsbilanzungleichgewichte im Euroraum (Leistungsbilanzsaldo in Mrd. Euro)