Lob einer beginnenden Arbeitskräfteknappheit. Zur neuen WIFO-Prognose

08. Oktober 2021

Das WIFO erhöht die Prognose für Österreichs Wirtschaftsleistung neuerlich und zwar auf +4,4 Prozent für 2021. Besonders erfreulich entwickeln sich Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosenquote soll bereits 2022 das Niveau vor der COVID-19-Krise erreichen – drei Jahre früher als ursprünglich erwartet. Das zeigt eindrucksvoll: Der Bedarf an Arbeitskräften ist im Konjunkturaufschwung hoch. Jetzt geht es darum, die Arbeitslosen sowie Personen aus der stillen Reserve in offene Jobs mit guten Arbeitsbedingungen zu vermitteln. Ein langsam knapper werdendes Angebot kann dabei helfen.

Wirtschaftsaktivität vieler Branchen über Vorkrisenniveau

Was sich in der quartalsweisen Betrachtung der Statistik Austria für das zweite Quartal bereits andeutete, bestätigt sich auch in der WIFO-Prognose: Die Wirtschaftsleistung zahlreicher Branchen erreicht oder übertrifft im Jahr 2021 bereits das Niveau von 2019. So etwa steigt die Wertschöpfung in der Industrie nach einem Einbruch im Krisenjahr (-7,1 Prozent) um +8,0 Prozent. Ähnliches gilt für Bauwirtschaft, Handel und viele andere wirtschaftliche Dienstleistungen. Andere Branchen hatten in der Krise gar keinen Einbruch und wachsen nun weiter. Die Finanz- und Versicherungsdienstleistungen steigerten ihre Bruttowertschöpfung selbst 2020 um +5,1 Prozent und 2021 um +3 Prozent.

Der Optimismus in diesen Branchen spiegelt sich auch in Rekordeinschätzungen bei Unternehmensbefragungen zur wirtschaftlichen Lage und Zukunftsaussichten wider. Neben der qualitativen Betrachtung durch Befragungen sprechen die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen und Unternehmensentscheidungen eine klare Sprache. Gemäß ersten Einschätzungen erreichen die Dividendenausschüttungen inklusive Sonderdividendenzahlungen bereits heuer wieder das sehr hohe Niveau von vor der Krise.

Beginnende Arbeitskräfteknappheit

Ursprünglich ist das WIFO noch im Sommer davon ausgegangen, dass das Vorkrisenniveau der Arbeitslosenquote erst 2025 erreicht werden wird. Doch sowohl der Einbruch als auch die Erholung sind historisch einzigartig. Nach einem Einbruch im Krisenjahr um -2,0 Prozent wächst die Zahl der ArbeitnehmerInnen im Jahr 2021 um +2,3 Prozent (+82.000) und auch im Folgejahr noch um fast 2 Prozent (+70.000). Im Gegenzug sinkt die Arbeitslosenquote heuer zunächst auf 8,2 Prozent der unselbstständigen Erwerbspersonen und am Ende des Prognosezeitraums 2022 auf das Vorkrisenniveau von 7,4 Prozent. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen wird dann mit 308.000 nur noch um wenige tausend über dem Niveau von 2019 liegen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Noch immer gibt es dreimal so viele Arbeitslose wie Jobangebote beim AMS. Doch die Zahl der gemeldeten offenen Stellen steigt rapide. Darunter sind viele, die es nicht wert sind, besetzt zu werden, weil die Arbeitsbedingungen schlecht und die Löhne niedrig sind. Doch es gibt auch viele offene Jobs mit guten Arbeitsbedingungen und hohen Löhnen. Arbeitslose auf diese Stellen zu vermitteln ist jetzt eine Kernaufgabe des AMS, das dafür aber auch die nötige Personalausstattung braucht.

In manchen vor allem industriell geprägten Regionen und Branchen steigt der Bedarf an Arbeitskräften derzeit schneller als das Angebot. Generell wird das Angebot an Arbeitskräften in den kommenden Jahren nicht mehr so rasch wachsen, einerseits weil eine Pensionierungswelle der Babyboomer-Generation bevorsteht, andererseits weil die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in vielen osteuropäischen Herkunftsländern sogar schrumpft. Dennoch besteht generell kein Mangel an Arbeitskräften. Neben der nach wie vor hohen Zahl an Arbeitslosen ist auch die hohe stille Reserve im Bereich der Älteren, der teilzeitbeschäftigten Frauen, vieler Beschäftigter mit befristeten Stellen und vieler Scheinselbstständiger eine sprudelnde Quelle für zusätzliche Arbeitskräfte.

Dennoch tun sich die Unternehmen vielerorts heute schwerer, Stellen zu besetzen, als sie das gewohnt sind. Das hat viele positive Effekte: Unternehmen müssen attraktiver für Arbeitskräfte werden, indem sie bessere Arbeitsbedingungen, flexiblere Arbeitszeiten, höhere Löhne und mehr Wertschätzung bieten. Die Anreize zum Ersetzen körperlich anstrengender und monotoner Tätigkeiten durch Automatisierung steigen, produktivere und besser bezahlte Arbeitsplätze entstehen. Gerade die verkannten LeistungsträgerInnen in Berufen, die sich in der Pandemie als systemrelevant erwiesen haben, dürfen auf bessere Anerkennung ihrer Leistung hoffen.

Weiterhin Probleme im Tourismus und bei der Langzeitarbeitslosigkeit

Doch der Arbeitsmarkt hat auch seine Schattenseiten. Gerade der Tourismus, der in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern eine deutlich größere Wertschöpfung aufweist, erholt sich nur schleppend von Lockdowns und eingeschränktem Reiseverkehr. Viele Beschäftigte wurden zu Beginn der Pandemie über Nacht auf die Straße gesetzt, Kündigung statt Kurzarbeit war die falsche Antwort in der Krise. Deshalb orientieren sich nun viele in Richtung attraktiverer Branchen.

Die Branche wird sich gegenüber ihren MitarbeiterInnen neu aufstellen müssen. Viele Betriebe müssen aktiv MitarbeiterInnen von der Konkurrenz abwerben und können dabei neben besserer Bezahlung auch innovative Formen der Attraktivitätssteigerung einsetzen. Im Saisonbereich könnten das etwa vom Unternehmen gestellte Unterkünfte, Kinderbetreuung und Verköstigung bedeuten. Es geht um mehr Geld, aber auch um mehr Wertschätzung und gute Arbeitsbedingungen.

Auch wenn die Arbeitslosigkeit insgesamt zurückgeht, verbessert sich die Lage für die besonders schwer Betroffenen nur schleppend: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen war im September 2021 um mehr als 20.000 höher als vor der Pandemie. Auch diese Gruppe darf im Aufschwung nicht zurückgelassen werden. Die Maßnahmen dafür sind vielfältig und liegen auf dem Tisch. Sie reichen von einer umfassenden Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche durch das Arbeitsmarktservice bis zur Einführung einer Jobgarantie.

Inflationserwartungen steigen

Das WIFO setzt seine Inflationsprognosen deutlich nach oben, für 2021 von bislang 2,2 auf 2,8 Prozent, für 2022 von 2 auf 3 Prozent. Dies wird als vorübergehend eingeschätzt und mit steigenden Rohstoff- und Energiepreisen begründet, aber auch mit steigenden Preisen in Beherbergung und Gastronomie aufgrund des Auslaufens der temporären Mehrwertsteuersenkung. Eine deutliche Anpassung der Löhne und Sozialleistungen ist notwendig, um den Wohlstand der Masse der Bevölkerung zu erhalten. In den Niedriglohnbereichen der Gastronomie und Beherbergung zeigt sich der hohe Lohnspielraum, wenn die krisenbedingte Mehrwertsteuersenkung in diesen Branchen nicht, das Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung aber sehr wohl auf die Preise überwälzt wird.

Fazit

Die wirtschaftliche Erholung ist deutlich stärker als erwartet. Das schlägt sich auch positiv im Anstieg der Beschäftigung und Rückgang der Arbeitslosigkeit nieder. In manchen Regionen und Branchen herrscht Mangel an Fachkräften. Unternehmen sollten daher rasch erkennen, dass sie nicht nur mit ihren Gütern und Dienstleistungen in Konkurrenz mit anderen stehen, sondern auch um ArbeitnehmerInnen. Ähnlich wie in der Waren- und Dienstleistungswelt sind jene erfolgreich, die das attraktivere Angebot – hier an fairer Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen – haben.

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