Der Lockdown im März 2020 hatte drastische Folgen für viele, und die Bewältigung der Krise wird uns noch lange beschäftigen. Im Rahmen der umfassenden nationalen und europäischen Krisenbewältigungsmaßnahmen schüren manche die Angst vor hohen Inflationsraten. Die Einschätzungen der meisten ExpertInnen deuten jedoch auf mittelfristig eher sinkende Preise hin. Die Deflationstendenz sollte mit allen Mitteln bekämpft werden, damit ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert werden kann.
Sind die Sorgen vor steigender Inflation berechtigt?
Manche ÖkonomInnen warnen vor hohen Inflationsraten, die uns in Zukunft noch bevorstehen würden. Sie argumentieren dies häufig mit den umfangreichen und kreditfinanzierten Rettungs- und Konjunkturpaketen und mit der Ausweitung der Notenbankbilanzen im Rahmen ausgedehnter Anleihekäufe. Der Hintergrund der Warnungen dieser ExpertInnen könnte aber auch in einer reflexartigen Ablehnung expansiver Fiskalpolitik (Konjunkturpakete) liegen. Ihre Präferenzen liegen in der Austeritätspolitik, die bereits in der letzten Finanzkrise 2008 verheerende wirtschaftliche und politische Folgen hatte.
Die meisten ExpertInnen sind sich jedoch einig, dass genau entgegengesetzte Tendenzen eintreten werden, nämlich das Stagnieren oder sogar Sinken der Preise. Das birgt die Gefahr des Auftretens von „Attentismus“. Gemeint ist damit, dass KonsumentInnen sich in Erwartung sinkender Preise in starker Nachfragezurückhaltung üben. Dies führt zu Insolvenzen und einer weiteren Erhöhung der Arbeitslosigkeit. Wenn sich diese Vorgänge wiederholen und gegenseitig verstärken, entsteht eine Deflationsspirale. Das Beispiel Japan zeigt, dass eine solche Spirale ein Land über einen längeren Zeitraum fesseln kann.
Daher ist ein rasches Handeln zur Stabilisierung der Wirtschaft und der Beschäftigung notwendig. Die Europäische Zentralbank (EZB) verfolgt ein Inflationsziel von knapp unter 2 Prozent. Gemäß diesem Ziel muss sie auch über expansive Geldpolitik aktiv eine Deflation verhindern – was deutlich einfacher ist als das spätere Entfliehen aus einer einmal in Gang gesetzten Deflationsspirale.
Weltweite Unsicherheit drückt die Inflation
Zwei Argumente stützen die These von niedrigen Inflationsraten. Erstens nimmt die weltweite Unsicherheit von KonsumentInnen aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen deutlich geringeren Einkommen stark zu. Wer sich Sorgen um die eigene Zukunft macht, verschiebt nicht unbedingt nötige Käufe vorsichtshalber und trägt somit zum Attentismus bei. Zweitens werden die niedrigen Rohölpreise auch in naher Zukunft nicht wesentlich steigen, was ebenfalls zum stagnierenden Preisniveau beiträgt.
Eine Inflationsrate auf normalem Niveau, bei etwa 2 Prozent, wäre in Zeiten von COVID-19 ein Anzeichen dafür, dass die Beschäftigung wieder steigt und KonsumentInnen wieder zuversichtlich in die Zukunft blicken. Dies wäre in der aktuellen Situation ein mehr als nur wünschenswertes Signal. Doch die Messung dieser Signale kam in den letzten Monaten gehörig durcheinander.
Messung von Inflation in Krisenzeiten
Zu Beginn der COVID-19-Krise waren ungefähr ein Viertel der ca. 40.000 zu erhebenden Preise von Gütern und Dienstleistungen von Ausfällen betroffen, weil den PreiserheberInnen die Geschäftstüren verschlossen blieben und die herkömmliche Messung des Verbraucherpreisindexes (VPI) nicht mehr möglich war. Wie aber geht Eurostat – die Europäische Statistikbehörde – mit diesen Herausforderungen um?
Die methodischen Empfehlungen und Grundsätze von Eurostat zielen darauf ab, dass der Warenkorb selbst stabil bleibt und für alle Güter und Dienstleistungen auch Preise erhoben werden sollen. Diese können notfalls durch telefonische Auskünfte oder Online-Recherchen erhoben werden. Nur jene Preise, die auch auf diese Weise nicht ermittelt werden können, sollen durch Preise möglichst gleichartiger Online-Waren ersetzt oder durch verschiedene Fortschreibungsvarianten ergänzt werden. Auf diese Weise konnte ein beträchtlicher Teil der Erhebungsausfälle kompensiert und eine länderübergreifende Vergleichbarkeit gesichert werden.
Außerdem kamen erstmals wöchentlich verfügbare Scanner-Daten der Kassen großer Lebensmittel- und Drogeriemärkte zum Einsatz. Die seit Dezember 2019 verfügbaren Daten wurden bisher noch nicht in die laufenden Indexberechnungen einbezogen. Durch die vorgezogene Anwendung dieser innovativen Erhebungsmethode mussten die Preiserhebungen nicht vor Ort durchgeführt werden. Zudem trägt sie zur weiteren Qualitätssicherung des VPI bei.
Erste Zahlen zeigen deutlichen Rückgang der Inflation
Gemessen am europaweit vergleichbaren Verbraucherpreisindex (HVPI) zeigt sich, dass das allgemeine Preisniveau in der COVID-19-Krise deutlich unter dem EZB-Ziel von knapp unter 2 Prozent liegt. Der kurzfristige Anstieg der Inflation nach dem Jahreswechsel 2019/2020 lässt sich in Österreich einmal mehr auf den Bereich Wohnen (Mieten, Instandhaltung, etc.) sowie auf deutliche Preissteigerungen bei Restaurants und Hotels zurückführen. Auch im Juli begründet sich etwa die Hälfte der gesamten Preissteigerung durch Wohnen und Restaurants. Die ab Juli eingeführte Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie und Beherbergung hatte somit keinen spürbaren Effekt. In der geldpolitisch relevanten Eurozone zeigt sich insgesamt eine deutlich schwächere Entwicklung mit Deflation beispielsweise in Spanien und Griechenland.