Jobkiller Digitalisierung? Zumindest bislang nicht

22. August 2017

In den letzten 20 Jahren hat die Zahl der Arbeitsplätze in Österreich zugenommen. Die Digitalisierung ist dabei nicht der einzige Treiber, dennoch sehen wir, dass in stärker digitalisierten Branchen mehr Arbeitsplätze entstanden als weggefallen sind. Können wir davon ausgehen, dass diese Entwicklung anhält und was muss getan werden, damit neu entstehende Arbeit auch „gute Arbeit“ ist?

Veränderungen am Arbeitsmarkt 1995 bis 2015

Es gibt viele Spekulationen darüber, ob und wie die Digitalisierung in den kommenden Jahren den Arbeitsmarkt verändern wird, aber wie sieht es mit den Evidenzen der vergangenen Jahre aus? Denn die Digitalisierung hat ja nicht erst gestern begonnen, sondern ist eine bereits Jahrzehnte andauernde technologische Entwicklung. In einer Studie für das Bundeskanzleramt aus dem Jahr 2016 wurde der österreichische Arbeitsmarkt zwischen 1995 und 2015 untersucht. 2015 waren laut Labour Force Survey 471.000 Personen mehr unselbstständig und selbstständig beschäftigt als im Jahr 1995. Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ermöglicht – in geringerer Detailtiefe – auch den Zeitvergleich der Entwicklung von Vollzeitäquivalenten: Laut VGR gab es 2015 um 444.000 mehr Vollzeitäquivalente als 1995. Die Beschäftigung ist also gestiegen, allerdings gab es Branchen, in denen Beschäftigung weggefallen ist und solche, in denen die Beschäftigung gestiegen ist:

Anteile an der Gesamtbeschäftigung auf Detailebene, 1995 und 2015

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Quelle: Labour Force Survey (für 1995 zum Teil geschätzt) – Eigene Berechnung und Darstellung. © A&W Blog
Quelle: Labour Force Survey (für 1995 zum Teil geschätzt) – Eigene Berechnung und Darstellung.

–          In der Landwirtschaft sind Zahl und Anteil der Beschäftigung deutlich gesunken.

–          In den Branchen der Sachgüterproduktion sind viele Bereiche anteilsmäßig gleichgeblieben. In einigen Bereichen (Nahrungsmittel, Textil, Druck, sonstige Waren) sind die Anteile zurückgegangen, sodass 2015 nur mehr 16 Prozent der Beschäftigten (gegenüber 21 Prozent 1995) in der Sachgüterproduktion waren.

–          Im Handel ist es zu einer Verschiebung vom Einzelhandel zum Großhandel gekommen; nach wie vor ist aber der Handel einer der wichtigsten Beschäftigungszweige.

–          Hohe und steigende Beschäftigungsanteile weisen Tourismus, Verwaltung, Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen auf.

–          Die stärksten Anteilssteigerungen gab es bei den unternehmensnahen Dienstleistungen und im IKT-Bereich.

Die Studie versucht nun, diesen einzelnen Branchen Digitalisierungsindizes zuzuweisen. Für Österreich gibt es auf Branchenebene bislang noch keinen derartigen Index. Daher wurde aus der Befragung „IKT-Nutzung in Unternehmen 2013“ auf grober Branchenebene ein Index konstruiert, der mithilfe diverser anderer internationaler Branchenindizes (etwa von strategy& oder McKinsey) plausibilisiert und ergänzt wurde. In der Studie finden sich die detaillierten Werte des Index (der Werte zwischen 0 und 1 hat) – hier sei nur die Zusammenfassung auf Ebene der VGR-Wirtschaftsbereiche wiedergegeben:

Index des Digitalisierungsgrades der Beschäftigung für die VGR-Wirtschaftsbereiche der österreichischen Volkswirtschaft

Land- und Forstwirtschaft, Fischerei0,200
Bergbau; Herstellung von Waren0,332
Energie, Wasserversorgung; Abfallentsorgung0,365
Bau0,236
Handel0,387
Verkehr0,303
Beherbergung und Gastronomie0,273
Information und Kommunikation0,564
Finanz- und Versicherungsdienstleistungen0,476
Unternehmensbezogene Dienstleistungen und Realitätenwesen0,344
Öffentliche Verwaltung0,335
Erziehung und Unterricht; Gesundheits- und Sozialwesen0,322
Sonstige Dienstleistungen0,294

Quelle: Eigene Berechnungen (Methodik in der Studie genau erklärt).

Wie lassen sich die Beschäftigungsveränderungen in den Branchen nun im Lichte der Digitalisierung beurteilen? Zum einen muss betont werden, dass es neben der Digitalisierung noch ganz andere Entwicklungen gegeben hat, die die Beschäftigung beeinflusst haben. Positiv sind hier etwa der demographische Wandel und die damit verbundenen Beschäftigungszuwächse im Gesundheits- und Sozialwesen zu nennen oder die veränderten Konsumgewohnheiten, die zu mehr Beschäftigung im Freizeitbereich geführt haben; negativ hat etwa die Finanzkrise auf die Beschäftigung im Bankenbereich gewirkt. Zum anderen zeigt sich, dass es keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Beschäftigungsentwicklung gibt: In manchen stark digitalisierten Branchen nimmt die Beschäftigung zu (unternehmensnahe Dienstleistungen), in anderen nimmt sie ab (z. B. Finanzbranche).

Die absolute Veränderung der Beschäftigung und die branchenspezifischen Digitalisierungsindizes

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Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung bzw. wie in der Studie beschrieben. © A&W Blog
Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung bzw. wie in der Studie beschrieben.

In Summe lässt sich allerdings folgender Befund stellen: Sortiert man die Branchen nach ihrem Digitalisierungsgrad, so zeigt sich, dass es in den stärker digitalisierten Branchen insgesamt zwischen 1995 und 2015 mehr Beschäftigungszuwachs als -wegfall gegeben hat. Umgekehrt ist der Zusammenhang in den weniger digitalisierten Branchen.

 ZunahmeAbnahme
Sehr stark digitalisiert209.000-54.000
Stark digitalisiert181.000-21.000
Durchschnittlich digitalisiert275.000-27.000
Mäßig digitalisiert53.000-70.000
Wenig digitalisiert136.000-210.000

Zusammenfassend gesagt: Die Veränderungen der österreichischen Wirtschaftsstruktur haben unterschiedliche Ursachen und können nicht monokausal erklärt werden. Die Digitalisierung ist daher nur eine der Ursachen und kann in zwei Richtungen wirken: Sie kann Beschäftigung erhöhen, weil neue Geschäftsmodelle hinzukommen oder sie kann Beschäftigung senken, weil Menschen durch digitale Maschinen oder Prozesse ersetzt werden. Ersteres sieht man vor allem in der Branche „Information und Kommunikation“, letzteres vor allem in der Finanzwirtschaft. Generell muss aber festgestellt werden, dass in den überdurchschnittlich digitalisierten Branchen die Beschäftigungszunahmen deutlich höher sind als die Zahl der verloren gegangenen Arbeitsplätze.

Kein Grund zur Sorge?

Heißt dies nun, dass ohnehin alles in Ordnung ist und die Digitalisierung ein einziger beschäftigungspolitischer Segen ist? Nein, in keiner Weise. Denn zum einen wissen wir nicht, wie die Qualität der neu entstehenden Arbeitsplätze ist. Und zum anderen wissen wir, dass in den kommenden Jahren gerade in den mittleren Qualifikationen große Umbrüche entstehen. Selbst wenn also neue Arbeitsplätze auch für diese Beschäftigtengruppen entstehen sollten, braucht es hohe Um- und Weiterqualifizierungen. Die Verantwortung dafür darf keinesfalls nur von den Beschäftigten allein getragen werden. Im Gegenteil: Die Gewinne, die aus der Digitalisierung gezogen werden, müssen einen wesentlichen Beitrag zu diesen Qualifizierungskosten leisten. Sei es, indem die Unternehmen bereits intern proaktiv und vorausschauend ihre Belegschaft für die Digitalisierung fit machen oder sei es, indem über höhere bzw. effektivere Besteuerung von (Digitalisierungs-)Gewinnen zusätzliche Steuereinnahmen für das Bildungssystem generiert werden.

Die Digitalisierung wird nicht zu Massenarbeitslosigkeit führen, da auch in Zukunft neue Arbeitsplätze entstehen werden. Wenn wir aber schrankenlose Entgrenzung und unter dem Deckmantel vorgeblicher Notwendigkeiten der Digitalisierung neoliberale Deregulierungen und Monopolisierungen zulassen, wird Arbeit prekärer und entfremdeter. Wir müssen daher alle Mittel des Arbeitsrechts, der Kollektivverträge und der betrieblichen Mitbestimmung dazu nützen, Digitalisierung mitzugestalten in dem Sinn,

–           dass Digitalisierung human und sozial erfolgt,

–           dass der Mensch die Technik bestimmt und nicht umgekehrt,

–           dass es für alle Menschen, die mit Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen, ein gutes Mindestmaß an Arbeits-, Sozial- und Koalitionsrechten gibt

–           und dass jene, die nicht mithalten können, noch immer sinnstiftende und adäquat abgesicherte Beschäftigung haben.

Dafür werden wir eingehend darüber diskutieren müssen, was wir eigentlich mit „guter Arbeit“ meinen und welche Rahmenbedingungen es für diese „gute Arbeit 4.0“ braucht. Digitalisierung mitzugestalten, heißt, sich nicht vor dem technologischen und gesellschaftlichen Wandel zu fürchten, sondern ihn dazu zu nützen, ganzheitliche, selbstbestimmte, sinnstiftende und gesunde Arbeit zu fördern. Neue Geschäftsmodelle werden wir nur erfolgreich umsetzen können, wenn auch die Unternehmensorganisationen und damit die Beschäftigten in die Entwicklung eingebunden sind und diese mitgestalten können. Die GPA-djp hat dafür vorgeschlagen, dass die Sozialpartner gemeinsam sogenannte Experimentierräume definieren, in denen neue Formen der Arbeitsorganisation, der Mit- und Selbstbestimmung befristet und wissenschaftlich evaluiert ausprobiert werden können. Auf diese Art können die Rahmenbedingungen „guter Arbeit 4.0“ im Sinne aller gestaltet und weiterentwickelt werden.