Hartz IV – Klassenkampf von oben

03. Juli 2017

Darum ginge es wohl in Wahrheit bei Hartz IV für Österreich: Die Löhne im unteren Bereich weiter abzusenken und die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit zu beschädigen, ohne dass Langzeitarbeitslose bessere Arbeitsmarktchancen hätten.

„Die Presse“ hat kürzlich einen ganzen Schwerpunkt dem Thema Notstandshilfe, Hartz IV und der Frage, kann Sozialabbau nach dem Modell Hartz IV Arbeitslosigkeit senken, gewidmet. Tenor: Die Notstandshilfezahlen würden in Österreich steigen, in Deutschland dagegen habe Hartz IV Arbeitslosigkeit und Ungleichheit – laut dem deutschen ifo-Institut – gesenkt. So die Behauptung. Und zwischen den Zeilen: Die Notstandshilfe verfestige Arbeitslosigkeit eher als das Hartz-IV-Modell.

Effekte nur bei Niedriglohnbeziehern

Mit Gewissheit gesagt werden kann aber nur, dass Hartz IV die „Fast-Gratisarbeit“ durch Ein-Euro-Jobs forciert und jeden, der eine Hartz-IV-Leistung braucht, zwingt, praktisch alles, was er hat, zu verwerten. Dass dadurch die Ungleichheit gesunken sei, folgt wohl eher dem Motto: Wenn immer mehr immer noch weniger haben, sind sie auch immer gleicher.

Hart belegt wird das aber ebenso wenig wie die Behauptung, dass Hartz IV Beschäftigung geschaffen habe. Sachlich und faktenbezogen betrachtet geht das auch gar nicht. Der deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger erklärt den deutschen Arbeitsmarkterfolg mit der starken Exportindustrie, dem Überwinden der Wiedervereinigungsprobleme und letztlich mit dem Sinken des Arbeitskräftepotenzials. Nichts davon kann auf Hartz IV zurückgeführt werden.

Tatsächlich hat sich die erwerbsfähige Bevölkerung in Deutschland zwischen 2005 und 2015 um vier Prozent verringert, in Österreich dagegen ist sie im selben Zeitraum um drei Prozent gestiegen. Das macht den entscheidenden Unterschied.

Die Beschäftigung ist dagegen auch in Österreich ziemlich parallel zu Deutschland gestiegen und gleichzeitig wurden hier (wie in der Schweiz) auch noch viele ausgewanderte Deutsche integriert. Zu behaupten, diese seien durch Hartz IV mobilisiert worden, ist unterstellend und entlarvend zugleich. Es sind ja die besonders Leistungsstarken ihrer Profession, die bei uns oder in der Schweiz Arbeit gefunden haben, keine Drückeberger, die erst durch Hartz IV motiviert werden mussten. Entlarvend: Es zeigt, dass auch den Hartz-IV-Befürwortern bewusst ist, dass dieses Modell eine Schikane darstellt, die sich zum Vertreiben von Menschen eignen könnte.

Hartz IV hatte allerdings sehr wohl einschneidende Effekte: So ist der Anteil der Niedriglohnbezieher auf Basis der Bruttostundenverdienste in Deutschland zwischen 2006 und 2014 von 20,3 auf 22,48 Prozent angestiegen (Österreich: von 14,19 auf 14,76 Prozent). Gleichzeitig ist die Effektivität deutscher Transferleistungen auch infolge von Hartz IV deutlich geringer als hierzulande: So reduziert sich die Armutsgefährdungsquote in Deutschland durch Transferleistungen nur um 8,4 Prozentpunkte auf 16,7 Prozent gegenüber 11,7 Prozentpunkten in Österreich auf 13,9 Prozent. Die Armutsgefährdung unter Arbeitslosen in Deutschland ist mit einem Anteil von 69 Prozent Armutsgefährdeter überhaupt am höchsten in der EU (Österreich 45 Prozent).

Mangel an offenen Stellen

Darum ginge es wohl in Wahrheit bei Hartz IV für Österreich: Die Löhne im unteren Bereich weiter abzusenken und die soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit zu beschädigen, ohne dass Langzeitarbeitslose bessere Arbeitsmarktchancen hätten. Wie Bofinger sagt: Selbst wenn bei Hartz-IV-Einführung alle Arbeitslosen gezwungen worden wären, einen der verfügbaren Jobs anzunehmen, hätte es für 4,8 Millionen Menschen einfach keinen Job gegeben.

It’s stupid: Der Hauptgrund für Arbeitslosigkeit ist noch immer der Mangel an offenen Stellen. Tatsächlich hat sich in Deutschland die Langzeitarbeitslosigkeit ja weiter verfestigt und nicht aufgelöst. Der Anteil der Hartz-IV-Bezieher an allen Arbeitslosen liegt konstant bei 70 (!) Prozent – laut Institut für Arbeit und Qualifikation. Die Eurostat-Langzeitarbeitslosenquote 2015 beträgt in Deutschland 44 Prozent und in Österreich 29 Prozent.

Aber die Ungleichheit sei gesunken? Wie denn, wenn der Anteil der Niedriglöhner weiter ansteigt, sodass diese Menschen trotz Arbeit kaum die Fixkosten des Alltags decken können und das reiche Deutschland die höchste Armutsgefährdungsquote der EU unter Arbeitslosen hat?

Profiteure von Hartz-IV

Angesichts solcher Effekte braucht es schon viel Fantasie, Hartz IV in einen positiven Abbau von Ungleichheit umzudeuten. Hartz IV birgt sogar einen doppelten Mechanismus, Ungleichheit zu vergrößern, in sich: Es zwingt erstens zur Veräußerung selbst kleinster „Vermögen“ und erhöht somit tendenziell die ohnehin schon besonders hohe Vermögensungleichheit in der Gesellschaft. Zweitens zwingt Hartz IV zur Arbeit für Armutslöhnen. Wer kann das wollen oder „gerecht“ finden? Natürlich gibt es da auch Profiteure: Nämlich jene, die aus dieser Umverteilung von unten nach oben ihren Vorteil ziehen können, vereinfacht gesagt: Jene, die auf der sozialen Leiter ganz oben angesiedelt sind und billigere Arbeitskraft einkaufen können.

Eine vom österreichischen Finanzministerium beauftragte und kürzlich bekannt gewordene Studie sagt denn auch: Hartz IV auf Österreich umgelegt, bedeute einen beträchtlichen Anstieg der Armutsgefährdung und nicht abschätzbare gesellschaftliche Folgekosten durch erhöhte Armut. Je nach Variante würde die Zahl der armutsgefährdeten Personen um 90.000 bis 160.000 ansteigen, der Gini-Koeffizient würde sich in Richtung mehr Ungleichheit verschieben. Gut so? Das nennt man dann wohl: Klassenkampf von oben.

Beschäftigungschancen und sozialer Zusammenhalt

Was wir wirklich brauchen, sind echte Beschäftigungschancen und eine ausreichende Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit, wenn der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gewahrt bleiben soll. Hat jemand seine Stelle nach oft jahrzehntelanger Arbeit verloren, etwa weil – wie ganz aktuell in Niederösterreich – ein Betrieb in ein Steuerdumpingparadies abwandert, braucht er Unterstützung bei seiner Wiedereingliederung und nicht Sozialschikane. Einem älteren Arbeitsuchenden seinen Notgroschen von 6.000 oder 7.000 Euro, der für unverhoffte Reparaturen am Eigenheim, für gröbere Zahnprobleme und Ähnliches zurückgelegt wurde, gleich nach Ende des Arbeitslosengeldes abzuknöpfen und ihn durch Zwang zur Fast-Gratis-Arbeit (zu Ein-Euro-Jobs) zum Lohndumper wider seinen Willen zu machen, löst nicht das Problem des Arbeitsmangels. Es ist einfach schikanös, sozial ungerecht und zeugt von mangelndem Respekt gegenüber jenen, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance auf eine reguläre Arbeit haben.