Nach zehn Jahren Dauerkrise ist die EU in schlechter Verfassung. Der Kontinent ist gespalten, doch die Parteinahme „für“ oder „gegen“ Europa geht an der zentralen Konfliktlinie vorbei. Die EU könnte durchaus eine andere Rolle ausfüllen als die des Katalysators einer ungeliebten Globalisierung. Um vom Sündenbock zum Problemlöser zu werden, müsste sie sich von der derzeit dominanten Marktgläubigkeit der Europapolitik lösen und den politischen Gestaltungsanspruch in den Mittelpunkt stellen.
Mangelnde Kooperation in der gespaltenen EU
Auch wenn die Umfragen des Eurobarometers auf eine sich zuletzt stabilisierende Zustimmung zur EU verweisen können, in den Köpfen hat sich das Negativimage der Brüsseler Institutionen längst verfestigt. Es klebt wie Kaugummi an allen europapolitischen Debatten. Die aktuelle Kritik stellt zunehmend den Integrationsprozess an sich in Frage und sieht den Staatenverbund als ursächliches Problem der Krisenerscheinungen unserer Zeit an. Kein Wunder, steht doch die EU in immer kürzeren Abständen am Abgrund der politischen Handlungsunfähigkeit.
Finanzkrise, Eurokrise, soziale Spaltung, Migration, die Ratlosigkeit im Umgang mit dem Aufstieg der Rechtspopulisten sowie in Polen und Ungarn der Rückbau von Rechtsstaatlichkeit und liberaler Demokratie: Es sind einfach zu viele Krisenherde. Sie hinterlassen Europa als einen vielfach gespaltenen Kontinent. Kern vs. Peripherie, Nord vs. Süd, Ost vs. West – kein Fall ist ohne Ausnahmen und kein Mitgliedstaat spricht mit nur einer Stimme. Und doch zeigen Eurokrise, Sozialkrise und Flüchtlingskrise überdeutlich die Spaltungslinien des Staatenverbunds auf. Auf beiden Seiten der jeweiligen Gräben ist die EU immer unbeliebter geworden:
In Südeuropa sieht eine „verlorene Generation“ die Schuld für Jugendarbeitslosigkeitsraten bis über 50 Prozent bei der EU, in Nordeuropa wird angesichts der Tendenz zur Vollbeschäftigung abwehrend auf Ideen des grenzüberschreitenden sozialen Ausgleichs reagiert.
Für den Osten hat Europa im rechtzeitigen Aufbau eines gemeinsamen Grenzregimes versagt, für den Westen liegt das Versäumnis eher in den Mängeln der Dublin-Verordnung zur Binnensteuerung von Migration.
Der gespaltene Kontinent zeigt sich auch mit Blick auf die Zustimmungswerte zur EU. Im Durchschnitt der 28 Staaten werden heute 42 Prozent erreicht (nach einem Tiefstand von 31 Prozent zu Hochzeiten der Eurokrise), doch die Verteilung über die Mitgliedsländer ist höchst divers.