100 Prozent Strom aus erneuerbarer Energie bis 2030: Aber wie?

05. Dezember 2018

Die Förderung erneuerbarer Energien zur Stromproduktion hatte zu Beginn das Ziel, möglichst große Mengen an Erzeugungskapazitäten zu fördern, um deren technologische Entwicklung in Gang zu setzen und um Erfahrungen aller beteiligten Akteurinnen und Akteure mit den neuen Technologien zu ermöglichen. Mit dem bisherigen Ökostromfördersystem wurden die Ausbauziele erreicht. Doch um das ambitionierte Ziel – 100 % Strom aus erneuerbarer Energie bis 2030 – erreichen zu können, ist eine grundlegende Reform des Fördersystems unabdingbar.

Mittlerweile sind die Erzeugungskapazitäten aus Windkraft und Photovoltaik (mit gemeinsam über 10 %) so groß, dass ihre Integration ins Stromsystem eine Herausforderung darstellt. Gleichzeitig können über neue Vergabeverfahren die Nachteile der bisher regulativ, per Verordnung, festgelegten Fördertarife (nämlich Produktion weitgehend unabhängig vom Bedarf) vermieden werden. Die Einführung einer Marktprämie statt eines fixen Tarifs würde die Anreize zur Systemintegration erhöhen, da sich die ProduzentInnen am Marktpreis und damit am Bedarf orientieren müssen. Eine Ausschreibung dieser Prämie – anstatt der derzeit verwendeten regulativen Festlegung – würde außerdem Effizienzpotentiale bei der Gestaltung der Vergütung heben und so helfen, den Systemwandel bezahlbar zu machen.

Ambitionierte Ziele

Derzeit werden rund 84 % des Stromverbrauchs aus erneuerbarer Energie gedeckt. Rund 18 % entfallen auf geförderten Ökostrom, zwei Drittel auf Großwasserkraft (66 %). Der Rest setzt sich überwiegend aus Importstrom sowie aus Strom von KWK-Anlagen, also gasgeführten Fernwärmekraftwerken, zusammen.

Um die Ziele der vollständigen Dekarbonisierung des österreichischen Stromsystems zu erreichen, gilt es bis 2030 in erster Linie die steigende Nachfrage durch Ökostrom abzudecken sowie den Import durch inländische Produktion zu ersetzen. Da elektrische Energie auch im Verkehr (E-Mobilität), bei der Wärme (z. B. stromgeführte Wärmepumpen) oder dem Produktionsprozess (etwa zur Herstellung von Wasserstoff) eingesetzt wird, ist mit einem deutlichen Nachfragezuwachs zu rechnen. Je nach Prognose sind daher bis zum Jahr 2030 rund 30 Terrawattstunden (TWh) an zusätzlicher erneuerbarer Stromproduktion notwendig – das entspricht dem Drei- bis Vierfachen im Vergleich zu der bisher geförderten Ökostrommenge (also ohne Großwasserkraft) und würde bedeutet, dass insgesamt rund 50 % mehr Strom erzeugt wird als heute. Eine weitere Förderung von erneuerbaren Energien ist dabei notwendig, weil zu derzeitigem Markt- und Emissionspreisniveau neue Anlagen für erneuerbare elektrische Energie nach wie vor nicht profitabel gebaut und betrieben werden können.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Herausforderung Einspeisetarife

Das Einspeisetarifsystem mit regulierten Tarifen, welches derzeit verwendet wird, vergütet jede eingespeiste Kilowattstunde (kWh) Strom unabhängig von äußeren Faktoren zu einem fixen Preis. Das bedeutet: Unabhängig vom Zeitpunkt der Erzeugung bzw. der aktuellen Nachfrage nach Strom bekommt der Anlagenbetreiber über die gesamte Förderperiode (z. B. 13 Jahre) einen Fixpreis für jede produzierte Kilowattstunde Strom.

Damit konnte die Stromproduktion aus erneuerbarer Energie signifikant gefördert werden. Für den weiteren Ausbau bietet dieses System aber nicht genügend Anreize zur Systemintegration der erneuerbaren Energien – und vieles deutet daraufhin, dass die Festlegung des Vergütungsniveaus ineffizient ist. Wie lässt sich das erklären?

Gegenwärtig haben die Betreiber von Ökostromanlagen keinerlei Anreiz, ihre Produktion an die Nachfrage anzupassen. Zum jetzigen Zeitpunkt werden Anlagen so gebaut, dass sie über das Jahr gesehen ein Maximum an Strom produzieren. Da vor allem Photovoltaik und Wind stark variabel einspeisen (abhängig vom Wetter), kann es sein, dass die erzeugte Strommenge dann anfällt, wenn sie nicht gebraucht wird (z. B. bei Starkwind in der Nacht).

„Systemintegration“ heißt, dass Anlagen so ausgerichtet werden, dass Quellen erneuerbarer Energie möglichst zu jenen Zeitpunkten Strom erzeugen, zu denen er auch benötigt wird. Auf der ProduzentInnenseite können dies vielfältige Maßnahmen garantieren – von Zusatzinvestitionen beim Bau der Anlagen (z. B. Schwachwindanlagen, die zwar weniger, aber dafür regelmäßiger Strom produzieren) bis hin zu besserer Vermarktung des eigenen Stroms und Investitionen in die Erhöhung der Vorhersagequalität. In einem fixen Einspeisetarifsystem haben ProduzentInnen aber keinen monetären Anreiz, ihre Erzeugung an Marktpreisen (bzw. Bedarf) auszurichten, da sie unabhängig davon mit einem fixen Tarif entlohnt werden.

Das zweite Problem betrifft die regulative Festlegung der Tarife oder Prämien: RegulatorInnen stehen vor dem Problem, dass Fördertarife entweder den Ausbau zum Stillstand bringen (wenn er zu niedrig gewählt wird) oder aber hohe ProduzentInnenprofite verursachen (wenn er zu hoch gewählt wird). Dies ist deswegen der Fall, weil den RegulatorInnen die tatsächlichen privaten Produktionskosten nicht vollständig bekannt sind. Ein weiterer Nachteil des heute in Österreich verwendeten Systems ist es, dass die gleichen Einspeisetarife unabhängig von der Standortqualität gewährt werden. Sehr windreiche Standorte können daher sehr hohe Profite erzielen, während windarme, für den Ausbau möglicherweise notwendige Standorte nicht kompetitiv sind und deswegen an solchen Standorten nicht gebaut werden kann.

Systemintegration durch Marktprämien

Um die Anreize zur Systemintegration zu erhöhen, empfehlen wir das System fixer Einspeisetarife auf ein Prämiensystem umzustellen: Bei diesem bekommen InvestorInnen eine Marktprämie. D. h., die BetreiberInnen bekommen stets den aktuellen Börsestrompreis zuzüglich eines Aufschlags – der Marktprämie. Die BetreiberInnen sind dann selbst für die Vermarktung am Strommarkt zuständig. Dadurch sind sie teilweise den Strommarktpreisen ausgesetzt und haben so den Anreiz, die Prognosequalität zu verbessern, die Produktion an den Marktanforderungen auszurichten (z. B. Drosselung der Produktion bei negativen Marktpreisen) und bei der Standort- und Technologiewahl (z. B. durch Bau von Schwachwindanlagen) systemkompatible Entscheidungen zu treffen. In einem prämienbasierten System können die ProduzentInnenerlöse also einerseits auch über dem fixen Einspeisetarif liegen (z. B. um 18 Uhr in der Grafik), und andererseits Anreize entstehen, erneuerbare Stromproduktion abzuregeln (da sogar unter Einberechnung der Prämien bei negativen Strompreisen negative Einkommen erzielt werden, z. B. um 3 Uhr in der Abbildung).

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Dieses System ist vor allem für relativ große ProduzentInnen (wie z. B. BetreiberInnen von Windkraftanlagen) relevant. Bei sehr kleinen Anlagen ist eine Beibehaltung fixer Einspeisetarife oder einmaliger Investitionsförderung sinnvoll, weil die Hürden zur Teilnahme an den Stromspotmarktpreisen zu groß wären. Die Prämien sollten außerdem zumindest bei Windkraft anhand der naturräumlichen Verfügbarkeit angepasst werden: Windreiche Standorte sollten also geringere Prämien ausbezahlt bekommen als windarme.

Höhere Effizienz durch Ausschreibungen

Anstatt einer administrativen Festlegung der Prämien können Ausschreibungen verwendet werden, um die Höhe der Vergütungen zu bestimmen. Dabei werden die Prämien auktioniert, jene BetreiberInnen, welche die geringsten Prämien bieten, bekommen den Zuschlag. Dieses System schafft bei den BetreiberInnen den Anreiz, ihre privaten Kosten im Auktionierungsverfahren preiszugeben. Somit können die Prämien auf ein Niveau festgelegt werden, welches ausreicht, um Anlagen für erneuerbare Stromproduktion profitabel zu betreiben. Gleichzeitig werden die Prämien aber nicht zu hoch festgelegt, da der Wettbewerb unter den AnbieterInnen dies verhindert. Eine Festlegung einer regulierten Maximalprämie im Auktionsverfahren kann außerdem verhindern, dass marktbeherrschende Akteure bzw. Akteurinnen überhöhte Prämien erhalten. Auktionen haben dabei den Nachteil, dass möglicherweise zu gering geboten wird – und Anlagen aus diesem Grund in Folge nicht realisiert werden. Durch das Auktionsdesign – z. B. Einführung von Pönalen bei Nichtrealisierung von Projekten – kann dem vorgebeugt werden.

Bei Ausschreibungen ist zu berücksichtigen, dass mögliche zusätzliche Politikziele abseits des effizienten Ausbaus der Erneuerbaren (z. B. BürgerInnenbeteiligungen an den Anlagen) im Spannungsfeld zu einer wettbewerblichen Ausrichtung der Ausschreibung stehen: Eine große Anzahl von Regeln im Ausschreibungsdesign verringert die Anzahl der AnbieterInnen und damit den Wettbewerb. Trotzdem sind für einen sozial verträglichen Ausbau von erneuerbaren Energien solche zusätzlichen Ausschreibungskriterien zu berücksichtigen.

Zusammenfassung

Erneuerbare Energien sind mittlerweile auf den Strommärkten etabliert und die derzeitigen Förderregeln bedürfen einer Überarbeitung, um die Anreize zur Systemintegration zu erhöhen – und um die Festlegung der Vergütung effizienter zu gestalten. Marktprämien sind ein bereits in anderen Ländern gut funktionierendes Instrument zur Erhöhung der Systemintegration. Ein Ersatz der regulativen Festlegung von Tarifen oder Prämien durch Ausschreibungen kann gleichzeitig die Effizienz der Tariffestlegung erhöhen. Diese Systemumstellung erfordert Anpassungen bei allen relevanten AkteurInnen und damit verbunden individuelles und institutionelles Lernen. Ein stabiles Umfeld für erneuerbare Energien, welches durch klare Zielvorgaben für jährliche Ausschreibungsmengen und ein langfristiges Commitment zur Dekarbonisierung des Energiesystems gegeben ist, ist deswegen von hoher Wichtigkeit, um die große Herausforderung der Energiewende langfristig zu bewältigen. Auf eine faire Verteilung der Kosten (sowohl der monetären Förderkosten als auch der externen Kosten, denen AnrainerInnen von Produktionsanlagen ausgesetzt sind) ist zu achten, um die Akzeptanz des weiteren Ausbaus zu gewährleisten.