Die Nutzung fossiler Energieträger hat in den letzten Jahrhunderten ein enormes wirtschaftliches Wachstum ermöglicht. Die Folgen, die dies für das globale Klima hat, machen jedoch deutlich, dass es so nicht weitergehen kann. Die EU hat sich daher auf ambitionierte Klimaschutzziele festgelegt, die aber auch mit Kosten verbunden sind. Was ist dran an der Befürchtung, dass Unternehmen wegen dieser Kostenbelastung abwandern?
Klimapolitik und Energiepolitik sind aufs Engste miteinander verknüpft. So stammen in Österreich etwa drei Viertel der Treibhausgasemissionen aus dem Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) bei der Verbrennung fossiler Energieträger. Zugleich hat die Nutzung fossiler Energien der Wirtschaft in den letzten Jahrhunderten ein enormes Wachstum beschert. Ende des 18. Jahrhunderts gelang mit der Dampfmaschine erstmals die Umwandlung von Verbrennungswärme in mechanische Energie. Seither ist eine Unzahl von Produktionsvorgängen vom Antrieb durch Menschen oder Tiere unabhängig geworden. Dies ermöglichte in den letzten zwei Jahrhunderten einen Aufschwung der industriellen Produktion, der zuvor schlicht undenkbar war. Gleichzeitig wurden in ebenso wachsendem Maß fossile Brennstoffe – zunächst Kohle, später Erdöl und Erdgas – genutzt, sodass Maschinen von der Verfügbarkeit biogener Brennstoffe – vor allem Holz – unabhängig wurden. Das damit einhergehende Wirtschaftswachstum hat die Welt von Grund auf verändert.
Krisenanfälligkeit & Klimawandel
Zwei Vorgänge machen allerdings deutlich, dass diese Entwicklung nicht für immer so weitergehen kann. Zum einen zeigte die Ölkrise 1973, dass die wachsende Abhängigkeit von Erdöl zu geopolitischen Gefahren führen und ein sparsamer Umgang mit der Ressource Erdöl Vorteile haben kann. Zum anderen verdichteten sich in den 1980er-Jahren die Hinweise, dass die steigenden CO2-Emissionen eine Erwärmung des Klimas bewirken und damit eine Gefahr für Landwirtschaft, Wetter und Meeresspiegel darstellen. Letzteres wird derzeit als drängendere Gefahr angesehen, was die EU dazu veranlasst hat, ein ambitioniertes System der Beschränkung des Ausstoßes von Treibhausgasemissionen aus großen Industrieanlagen und Kraftwerken ins Leben zu rufen: den EU-Emissionshandel, nach dem englischen Begriff „Emission Trading System“ häufig als ETS abgekürzt.
„Cap and Trade“ – Der Handel mit Emissionen
Jedes Emissionshandelssystem weist zwei zentrale Bestandteile auf: Erstens wird ein zulässiger Schadstoffausstoß für jedes teilnehmende Unternehmen festgelegt; zweitens erhalten die teilnehmenden Unternehmen die Möglichkeit, das Emissionsrecht bei Unterschreitung dieser Menge an andere zu verkaufen bzw. es bei Überschreitung von anderen zu kaufen. Ein solches System wird mit den englischen Begriffen kurz „Cap and Trade“-System genannt. Im optimalen Fall, so die ökonomische Theorie, führt dies dazu, dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen mit dem geringstmöglichen Kostenaufwand geschieht.
Die EU als Vorreiter
Im Jahr 2005 war die EU der erste Wirtschaftsraum weltweit, der ein System des Emissionshandels für Treibhausgase einführte. Die Teilnahme ist für große Industrieanlagen und für kalorische Kraftwerke verpflichtend. Bis 2012 legten die Mitgliedsstaaten die Gesamtmenge an zulässigen Emissionen fest, seit 2013 erfolgt dies auf EU-Ebene. Im Rahmen des Klima- und Energiepakets für 2020 wurde vereinbart, dass die Emissionen der ETS-Betriebe im Jahr 2020 um 20 Prozent geringer sein sollen als 2005. Die Reduktion soll schrittweise erfolgen: In der Periode zwischen 2013 und 2020 soll die Menge der gesamten Emissionen jedes Jahr um 1,74 Prozent verringert werden. Als die EU-Kommission dies 2008 vorschlug, rechnete sie mit einem Anstieg des Preises für eine Tonne CO2 auf 30 bis 40 Euro bis 2020. Inzwischen hat die Wirtschaftskrise zu einem Überangebot an Zertifikaten geführt. Ihr Preis ist folglich verfallen und liegt derzeit bei etwa 7,50 Euro pro Tonne CO2, ohne Aussicht auf Erholung bis 2020. Dadurch lohnen sich weder Forschung und Entwicklung noch Investitionen in Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Emissionen.
Wettbewerbsnachteile durch den ETS?
Die Kostenbelastung durch den Emissionshandel kann grundsätzlich für jene Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil darstellen, die mit Produzenten aus Drittstaaten konkurrieren, die keine derartige Kostenbelastung tragen müssen. Der Schlüsselbegriff lautet hier „Carbon Leakage“. Dies bezeichnet die Verlagerung von Produktionsbetrieben aus einem Staat, in dem CO2-Emissionen mit Kosten verbunden sind, in einen Staat, in dem keine oder geringere CO2-Kosten anfallen. UnternehmensvertreterInnen argumentieren, dass die zu erwartenden hohen CO2-Kosten in der EU die Industrie aus Europa vertreiben würden. Sie haben erreicht, dass den Betrieben die Grundausstattung mit Zertifikaten in fast allen Produktionssparten kostenlos zugeteilt wird. Allerdings ist umstritten, ob „Carbon Leakage“ tatsächlich eine Gefahr darstellt. Die Gründe für Unternehmensverlagerungen systematisch zu identifizieren ist schwierig. Grundsätzlich siedeln sich private Unternehmen dort an, wo die Profiterwartung am höchsten ist. Produktionsunternehmen, die umfangreiche Teile ihrer Assets in Anlageninvestitionen gebunden haben, können freilich nicht rasch auf veränderte Profiterwartungen reagieren. Wesentlichste Faktoren für Unternehmensverlagerungen auf der Kostenseite sind Arbeitskosten, Energiekosten und Steuern. Daneben spielen die physische Nähe zu Rohstoffen bzw. Vorprodukten sowie die Nähe zum Absatzmarkt eine Rolle, aber auch die Qualität der Infrastruktur, beispielsweise für Energie oder Transport. Weiters spielt für die Profiterwartung auch ein stabiles regulatorisches Umfeld eine wichtige Rolle. Alle diese Faktoren sind schon seit Langem wirksam und führen zu strukturellen Veränderungen im Wirtschaftsgefüge in den letzten Jahrzehnten: So wächst etwa in Österreich der tertiäre Sektor stärker als der primäre und teilweise auch als der sekundäre; die Produktion verlagert sich von der Grundstoffindustrie hin zur weiterverarbeitenden Industrie; die wissensbasierte Produktion gewinnt an Bedeutung. Die Kostenbelastung durch CO2-Zertifikate kommt also zu diesen Veränderungen noch dazu.
Die Bedeutung von Energiekosten für die Industrie
In den meisten Fällen werden sich die Kosten für die Zertifikate wie ein Zuschlag auf die Energiekosten auswirken. Je wichtiger Energie als Produktionsfaktor und je höher damit auch die Zertifikatskosten für ein Unternehmen sind, desto größer ist ihre Bedeutung als Standortfaktor. Eine Untersuchung für Deutschland hat gezeigt, dass jene Sektoren, deren Energiekosten mehr als sechs Prozent ihres Umsatzes ausmachen, einen Anteil von 1,5 Prozent an der gesamten Wertschöpfung haben. Bezogen auf die Wertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes ist das ein Anteil von acht Prozent. Auch wenn ihr Anteil also nicht sehr groß ist, wäre eine Abwanderung dieser Unternehmen für die Wirtschaft tatsächlich eine Gefahr – und das in Zeiten, in denen mit den Industrialisierungszielen der EU wieder eine Besinnung auf die Bedeutung der Realwirtschaft zu beobachten ist.
Sonderposition der EVUs
Anders ist die Situation bei den Energieversorgern. Während Produktionsunternehmen ihren Standort grundsätzlich verlagern können, gilt dies für Energieversorger wegen ihrer nötigen Nähe zu den EndverbraucherInnen nicht. Sie müssen daher nicht vor „Carbon Leakage“ geschützt werden. Die Politik hat darauf reagiert, seit 2013 werden Energieversorgern keine Zertifikate mehr gratis zugeteilt. Da diese Unternehmen ihre Zertifikatskosten großteils auf die EnergieverbraucherInnen überwälzen können, ist für sie der Anreiz, auf erneuerbare Energieträger umzustellen, recht gering. Ob im produzierenden Bereich „Carbon Leakage“ wirklich stattfindet, ist Gegenstand einiger wissenschaftlicher Untersuchungen. Sie haben alle gezeigt, dass bislang kein Unternehmen aufgrund der unterschiedlichen CO2-Preise seinen Standort verlagert hat. Eine Schlussfolgerung kann sein, dass die Gratiszuteilung der Zertifikate einen wirksamen Schutz dagegen darstellt. Es kann aber auch sein, dass die Gefahr übertrieben wurde. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Für energieintensive Produktionsunternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, dürfte bei einem wesentlichen Anstieg des CO2-Preises – der wohl erst deutlich nach 2020 zu erwarten ist – ein Schutz vor „Carbon Leakage“ zweckmäßig sein, wenn andere Wirtschaftsräume keine vergleichbaren Maßnahmen zum Klimaschutz setzen. Dies ist einer der Gründe, warum die EU mit Nachdruck auf einen internationalen Klimaschutzvertrag drängt, der bei der Klimakonferenz in Paris Ende dieses Jahres abgeschlossen werden soll.
Dieser Beitrag ist eine gekürzte und aktualisierte Fassung von „Energiepolitischer Rahmen“ in Arbeit & Wirtschaft 7/2014.