Während die Europäische Union von der „Industriellen Renaissance“ träumt, klagt die europäische Industrie über hohe Energiepreise. Sie droht trotz großzügiger Sonderregelungen mit Abwanderung, würden die vergleichsweise hohen Energiepreise doch die internationale Wettbewerbsfähigkeit gefährden. Doch welche Rolle spielen Energiekosten tatsächlich für die Industrie? Und sind großzügige Ausnahmen, etwa wie bei der Finanzierung erneuerbarer Energie, tatsächlich gerechtfertigt? Ein genauerer Blick zeigt, dass die einseitige Fokussierung auf Energiepreise zu kurz greift. Energiepreise spielen selbst für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit meist nur eine untergeordnete Rolle.
„Es ist fünf vor zwölf. Wenn wir es nicht schaffen, wettbewerbsfähige Energiepreise sicherzustellen, werden wir im internationalen Wettbewerb nicht bestehen können“ meinte WKO-Präsident Christoph Leitl Ende vergangenen Jahres. Weiters begründet Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender der voest alpine, den Bau eines neuen Werkes in Texas mit den dort günstigen Energiekosten: „Wir können uns in den USA in einem politisch stabilen, kalkulierbaren Umfeld kostengünstig mit Energie versorgen“.
Zwei Stimmen unter vielen von denen man Ähnliches zu hören bekommt – und sie finden offenbar Gehör! Das zeigt sich etwa an der Förderung erneuerbarer Energie. Die Erzeugung von erneuerbarem Strom, wie aus Wind- oder Sonnenkraft oder auch Biomasse wird gefördert. Das Geld dafür kommt aus Beiträgen der Stromendverbraucher. Allerdings erhält die Industrie hier großzügige Ausnahmen. Diese Ausnahmeregelungen führen auf der anderen Seite zu höheren Kosten für die privaten Haushalte.
Ausnahmen für Alle
Nun konnte Deutschland offenbar in letzter Sekunde im Annex der EU-Beihilfeleitlinien eine lange Sektorenliste verankern, für die Ausnahmen erlaubt sind. In dieser Liste enthalten sind nicht nur exportorientierte Sektoren mit hohem Energieverbrauch, sondern bspw. auch die Erzeugung von Matratzen, Möbeln, Juwelen oder Bürsten. Damit sind für die Industrie weiterhin großzügige Ausnahmen möglich und ein EU-Wettlauf der Subventionen ist vorprogrammiert.
Tatsächlich schlagen sich Energiepreise nur in wenigen Industriesektoren wesentlich zu Buche. Für den überwiegenden Teil der Industrie spielen sie neben technischer und sozialer Infrastruktur sowie anderen Kostenfaktoren in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit nur eine untergeordnete Rolle. So bleiben die Energiekosten beispielsweise im Wettbewerbsranking des World Economic Forum völlig unberücksichtigt. In diesem Ranking finden sich unter den Top 10 Ländern gleich sechs europäische Länder sowie noch drei asiatische Länder (mit noch deutlich höheren Erdgaspreisen).
Energiepreise im internationalen Vergleich
Die Energiepreise sind in Europa deutlich höher als in den USA. So spricht etwa die Internationale Energieagentur von doppelt so hohen Preisen in Europa. Allerdings unterscheiden sich die Preise auch innerhalb der USA deutlich und Ausnahmeregelungen bleiben in diesem Vergleich weitgehend unberücksichtigt. Price Waterhouse Cooper verglich im Auftrag von Österreichs Energie die Strompreise in Österreich, Deutschland und Massachusetts (ein US-Bundesstaat mit ähnlichen Strukturmerkmalen) am Beispiel eines Industrieunternehmens mit 15GWh Jahresverbrauch. Das Ergebnis: „Deutsche Industrieunternehmen, welche sich im internationalen Wettbewerb befinden, haben (allerdings) Möglichkeiten die EEG-Umlage zu reduzieren, wodurch der Strompreis auf ein ähnliches Niveau wie in den beiden Vergleichsländern (Anm.: Österreich, USA) sinkt.“
Entwicklung der (Industrie-)Gaspreise in Europa und den USA seit 1978