Diggin‘ for Gold: Wasserstoff als voraussetzungsvoller Hoffnungsträger in der Energiewende

08. September 2022

Steigende Energiepreise, verfehlte Klimaziele und Abhängigkeit von billigen russischen Rohstoffen sind ein explosiver Mix, der die Bevölkerung Europas auf eine harte Bewährungsprobe stellt. Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern wird damit jetzt zu einer hohen politischen Priorität. Im Zuge dessen gilt grüner Wasserstoff als Allheilsbringer, doch er kann seinen Beitrag nur unter den richtigen Rahmenbedingungen und in den effizientesten Anwendungsmöglichkeiten leisten.

Die Europäische Kommission hat nun mit der Genehmigung des „Important Project of Common European Interest“ (IPCEI) „Hy2Tech“ eine Grundlage für Investitionen in grüne Wasserstofftechnologie- und Infrastrukturentwicklung gelegt. Österreich ist mit vier Teilprojekten beteiligt und hat, spät aber doch, eine eigene Wasserstoffstrategie vorgelegt. Ein energie- und industriepolitisch bedeutsames Unterfangen.

Wasserstoff kennt viele Farben

Wasserstoff kann auf die unterschiedlichsten Arten hergestellt werden und ist damit nicht automatisch klimaneutral. Er entsteht durch die Aufspaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff unter der Hinzuführung von Energie. Zentral ist also, auf Basis welcher Energiequellen das erfolgt. So gibt es „braunen“ Wasserstoff aus der Vergasung von Kohle, „grauen“ Wasserstoff aus der Nutzung fossiler Energie, „roten“ Wasserstoff durch die Nutzung von Atomstrom oder eben „grünen“ Wasserstoff durch die Verwendung überschüssiger Energie aus Wind, Wasser oder Sonnenenergie. Nur grüner Wasserstoff trägt dabei tatsächlich zu einer CO2-freien Wirtschaft bei. Als hochwertiger, sauberer und hochenergetischer Energieträger lässt er sich speichern und kann hohe Temperaturen, welche in Industrieprozessen wie in Hochöfen benötigt werden, erzeugen. Diese Eigenschaften werden besonders für die Dekarbonisierung der industriellen Produktion (sowie des Schwerverkehrs und anderer „hard-to-electrify“-Sektoren) dringend benötigt, wie die „Hydrogen Roadmap Europe“ zeigt. Es handelt sich also um einen Hoffnungsträger für die Energiewende, wenn auch einen voraussetzungsvollen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Der Wettlauf um den grünen Wasserstoff hat begonnen: IPCEI Hy2Tech und Hy2Use

Mit der Neuausrichtung der Europäischen Wirtschaftspolitik im Windschatten des Europäischen Grünen Deals und der grundsätzlich neu ausgerichteten und 2021 nochmals aktualisierten EU-Industriestrategie versucht die Europäische Union, aktiv steuernd in die wirtschaftliche Entwicklung einzugreifen und Entwicklungspfade vorzugeben. Ein Instrument dazu sind großangelegte Beihilfen in Form der Important Projects of Common European Interest (IPCEIs). Staatliche Beihilfen sollen spitzen- und schlüsseltechnologische Großinvestitionen koordinieren und fördern, um die grüne und digitale Transformation in Europa zu beschleunigen. Dafür sind sie vom generellen Verbot staatlicher Beihilfen ausgenommen. Darüber hinaus sollen sie durch gezielte angewandte Forschung, Entwicklung und Innovation die strategische Autonomie Europas stärken und Front-Runner Technologien erstmalig bis zur industriegewerblichen Nutzung vorantreiben.

Da es sich um die Förderung und Umsetzung großer industriepolitischer Projekte handelt ist auch klar, dass die an den IPCEI beteiligten Unternehmen über entsprechende Mittel zur Mitfinanzierung verfügen müssen. Es ist aufgrund des Charakters der Projekte notwendig, Know-how, etwa in Form von Patenten, einzubringen und über Unternehmensstrukturen zu verfügen, die langfristige, länderübergreifende Kooperationen tragen können. So sind Staaten und Unternehmen, die über die institutionellen und finanziellen Ressourcen verfügen, im Wettbewerb um IPCEI-Beihilfen im Vorteil.

Nichtsdestotrotz soll die europäische Wasserstoffwirtschaft durch das IPCEI „Hy2Tech“, das auf hochtechnologische Innovationen ausgerichtet ist, mit 14,2 Milliarden Euro auf- und ausgebaut werden. 5,4 Milliarden Euro sollen dabei die Mitgliedstaaten aufbringen und 8,8 Milliarden Euro die privaten Investitionen ausmachen, welche durch den IPCEI angestoßen werden. Das erste „Wasserstoff-IPCEI“ beinhaltet 41 integrierte Teilprojekte aus insgesamt 15 Mitgliedstaaten, an denen 35 europäische Unternehmen beteiligt sind. Vier davon stammen aus Österreich (AVL List, Christof Industries, Robert Bosch und Plastic Omnium New Energie Wels). Darüber hinaus sind im „industriellen Ökosystem Wasserstoff“ rund 300 weitere Partnerorganisationen wie Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Start-Ups und KMUs indirekt beteiligt.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Den Boden dafür hat unter anderem die European Clean Hydrogen Alliance („ECH2A“) bereitet, mit deren Hilfe die europäische Wasserstoffstrategie umgesetzt werden soll. Sie hat Akteure aus Verwaltung, öffentlichem Sektor, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Industrie zusammengeführt, um Wasserstoffprojekte zu entwickeln, die innovativ und skalierbar sind. Das zweite Wasserstoff-IPCEI „Hy2Use“ ist auch auf die industrielle Anwendung von Wasserstofftechnologie gerichtet und befindet sich aktuell in der finalen Phase vor der Genehmigung. Zusammen soll so die gesamte europäische Wasserstoff-Wertschöpfungskette wettbewerbsfähig und nachhaltig gestaltet werden. Das beinhaltet Primärenergie- und Wasserstoffproduktion, Konversion, Transport und Verteilung und diverse Endnutzung. Oder: „von der Entwicklung und der Hochskalierung neuer hocheffizienter Elektrolyseprozesse und Brennstoffzellensysteme über innovative Speicher und Transporttechnologien bis zur Nutzung von Wasserstoff in Industrie und schwer zu elektrifizierenden Bereichen im Mobilitätssektor, wie etwa im Schwerverkehr, in der Schiff- und Luftfahrt. Das Vorhaben steht somit auch voll im Einklang mit der erst im Juni veröffentlichten nationalen Wasserstoffstrategie,“ wie das österreichische Klimaschutzministerium schreibt.

Late to the party, aber doch noch mit dabei: Die österreichische Wasserstoffstrategie

Die Europäische Union, Deutschland und andere Mitgliedsstaaten haben schon vor geraumer Zeit ihre eigenen Wasserstoffstrategien vorgelegt. Österreich war bis zuletzt säumig, konnte aber Ende Mai endlich eine eigene Wasserstoffstrategie vorlegen. Ein längst überfälliger Schritt für Versorgungssicherheit, Energiewende und den Erhalt von Beschäftigung und Wertschöpfung in der österreichischen Industrie.

Die österreichische Wasserstoffstrategie priorisiert nun erstmals die potenzielle Anwendung von erneuerbarem Wasserstoff fest. Das ist aufgrund der begrenzten Erzeugungs- und Importmengen wichtig, um das hochwertige Gut „grüner Wasserstoff“ zielgerichtet und effizient in der Energiewende zur Anwendung zu bringen.

Ineffiziente Anwendungsmöglichkeiten wie für PKW oder Raumwärme dürfen dabei keine Kapazitäten abziehen und damit die Energiewende in der Industrie, der Energiespeicherung oder dem Schiffs- und Flugverkehr gefährden. Denn dort ist keine effizientere Anwendung durch Elektrifizierung technisch verfügbar. Zur Unterstützung der Umsetzung der österreichischen Wasserstoffstrategie wurde, vergleichbar mit ein Dialogprozess, die Plattform „H2Austria“ gestartet, die Akteure aus der Energiewirtschaft, Forschung und den Interessenvertretungen auf nationaler Ebene koordinieren und Synergien schaffen soll.

Die österreichische Wasserstoffstrategie verfolgt vier wesentliche Ziele:

  • Erstens, den Aufbau von Erzeugungskapazitäten für grünen Wasserstoff. Dieser soll in einem ersten Schritt bis 2030 weitgehend in der energieintensiven Industrie genutzt werden und bis zu 80 Prozent des Verbrauchs von fossil erzeugtem Wasserstoff durch erneuerbaren Wasserstoff ersetzen.
  • Zweitens, den Auf- und Ausbau von Infrastruktur durch gezielte Umwidmung bestehender Gasnetzinfrastrukturen, sowie die Prüfung der Errichtung neuer Wasserstoffleitungen bei mangelnder, für die Dekarbonisierung erforderlicher, Infrastruktur in Einbettung in europäische Planungen und Initiativen.
  • Drittens, die Forcierung internationaler Kooperationen und Partnerschaften, unter anderem auch über die IPCEIs Wasserstoff.
  • Viertens, Forcierung zielgerichteter Forschung und Entwicklung zur Sicherung von Wettbewerbsvorteilen durch Technologieführerschaft. Spät aber doch reagiert Österreich damit auf die bereits in Planung oder Umsetzung befindlichen Initiativen in anderen Mitgliedsländern und der Europäischen Union.

Wasserstoff: Quo Vadis?

Ohne den breiten und intensiven Einsatz von Wasserstoff ist eine nachhaltige und grüne Wirtschaft der Zukunft nicht zu denken. Die Produktion von grünem Wasserstoff ist gerade für die Industrie ein bedeutender Baustein in der Dekarbonisierung. Die Europäische Union hat erkannt, dass zur Gestaltung des Umbaus der Wirtschaft, in Richtung einer klimaneutralen Zukunft, eine aktive Industriepolitik notwendig ist. Dies betrifft gerade auch die Förderung und den Auf- und Ausbau wesentlicher energetischer Infrastrukturen, wie des hochwertigen Energieträgers Wasserstoff. Als wichtiges energie- und infrastrukturpolitisches Vorhaben wird die Erzeugung und Verteilung von Wasserstoff nicht nur helfen Europa zu dekarbonisieren, sondern auch Wertschöpfung und Beschäftigung schaffen. Die Europäische Kommission geht von beachtlichen Beschäftigungseffekten aus. Allein durch das erste Wasserstoff-IPCEI „Hy2Use“ sollen unmittelbar 20.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Es ist anzunehmen, dass die mittelbaren Effekte schlussendlich deutlich darüber liegen.

Die Aufgabe einer zielgerichteten Transformationspolitik wird es sein, bestehende strategische Abhängigkeiten für die Erzeugung von Wasserstoff und die Errichtung von Infrastruktur zu reduzieren, insbesondere von fossilen Energieimporten; Aus- und Weiterbildung für die benötigten Fachkräfte zu forcieren und die Rahmengestaltung auf betrieblicher, regionaler und überregionaler Ebene vorausschauend zu betreiben. Darüber hinaus muss klar sein, dass die Förderung über hohe staatliche Beihilfen, die Unternehmen auch dazu anhält, hohe Sicherheit und Qualität in Bezug auf Standort- und Beschäftigung auf jeder Stufe der Wertschöpfungskette zu garantieren.

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