Nur mit Zugang zu sauberer und leistbarer Energie ist eine Teilhabe am modernen gesellschaftlichen Leben überhaupt möglich. Rasant steigende Energiepreise, eine ungleiche Verteilung der Systemkosten und beschränkte Möglichkeiten des Technologiewechsels von Fossil auf Erneuerbar sind Herausforderungen im Kampf gegen Energiearmut und damit eine Frage der Energiegerechtigkeit. Werden die Nationalen Energie- und Klimapläne diesen Aufgaben gerecht?
Energiearmut als vielschichtiges Problem
In den letzten Wochen sind die Energiepreise förmlich explodiert. Viele Energieversorger ziehen mit der internationalen Preisentwicklung mit und erhöhen ihre Tarife. Mehrkosten, die die angespannte finanzielle Lage vieler Haushalte in der Corona-Pandemie weiter belasten. Hinzu kommen mittelfristig noch die steigenden Systemkosten für den notwendigen Infrastrukturausbau sowie den technologischen Umstieg auf ein nachhaltiges Energiesystem. Zur Abfederung der steigenden Kosten braucht es ein Paket bestehend aus Soforthilfemaßnahmen und mittelfristigen Maßnahmen, u. a. mit einem Abschaltverzicht, der Erhöhung von Heizkostenzuschüssen sowie der Errichtung eines Klima- und Energiehilfsfonds.
Relevante Faktoren: Haushaltseinkommen, Preisdynamik, Wohnverhältnisse, Wissen
Energiearmut ist dabei ein komplexes Phänomen, welches nicht nur über finanzielle Unterstützungen zu lösen ist. So spielen neben Preisdynamiken unterschiedliche Wohnverhältnisse bzw. die Gebäudeausstattung, das Wissen über die richtige Energienutzung sowie der Wohnort eine wichtige Rolle im Verständnis von und im Kampf gegen Energiearmut. Die aktuellen Versuche, Energiearmut in ihrer Komplexität zu erfassen, greifen dabei oftmals zu kurz, stellen sie doch meist auf rein monetäre Größen ab. Im Frühjahr 2021 erfasste die Statistik Austria zum dritten Mal in Folge Energiearmut in Österreich anhand des Anteils der Energiekosten am Haushaltseinkommen. Das Energy Poverty Observatory, das europäische Kompetenzzentrum zum Thema Energiearmut, stellt auf einen breiteren Ansatz ab. Erfasste Komponenten sind Rückstände bei Energierechnungen, die Höhe der absoluten Energiekosten, deren relativer Anteil am Haushaltseinkommen sowie der subjektive Indikator, den „Wohnraum angemessen warm“ halten zu können.
Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, wies erst kürzlich auf einer Podiumsdiskussion zum Thema „Klima und das Finanzsystem“ darauf hin, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn die Regierungen der europäischen Mitgliedstaaten einerseits die Energiewende rasch vorantreiben und andererseits besonders vulnerable Gruppen vor Energiearmut verstärkt geschützt werden.
Es stellt sich daher die Frage, wie mit dem Thema Energiearmut in den bereits vorliegenden Nationalen Klima- und Energieplänen (NEKP) der Mitgliedstaaten umgegangen wird und welche Dimensionen von Energiearmut darin aktiv adressiert werden. Die NEKP als Governance-Instrumente sind Teil des Clean Energy Packages und mussten von allen EU-Mitgliedstaaten bis Ende 2019 vorgelegt werden. Darin wurden geplante Strategien und Maßnahmen zur Adressierung von Energiearmut explizit ausgewiesen. Obwohl seitdem die Energie- und Klimaziele sowie deren Koordination mit sozialen Zielen im Sinne einer Just Transition nachgeschärft worden sind, bleiben die NEKP eine wichtige Grundlage über die präferierten Zugänge und Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten.
Energiearmut bekämpfen: eine Frage der Gerechtigkeit
Eine wesentliche Voraussetzung für eine aktive Teilhabe am modernen gesellschaftlichen Leben ist der Zugang zu sauberer und leistbarer Energie. Wenn dieser Zugang erschwert oder beeinträchtigt wird, leidet auch die individuelle Lebensgestaltung und soziale Inklusion darunter. Das Konzept der Energiegerechtigkeit bietet zur Analyse der unterschiedlichen Initiativen im Kampf gegen Energiearmut einen wertvollen Ausgangspunkt. Energiegerechtigkeit umfasst ethische Aspekte des Energiesystems und wird im Rahmen der umfassenden Klima- und Umweltgerechtigkeitsliteratur diskutiert. Energiearmut wird analytisch aus Perspektive der Energiegerechtigkeit als ein in den soziopolitischen und wirtschaftlichen Kontext eingebettetes Phänomen verstanden.
Über den analytischen Zugang der „drei Grundprinzipien“ der Energiegerechtigkeit kann das Phänomen Energiearmut erfasst und beschrieben werden. Dieser Zugang eignet sich auch für einen Ländervergleich existierender Strategien und Maßnahmen. Die „drei Grundprinzipien“ entsprechen dabei den drei Dimensionen der Ungleichheit, die mit dem Energiesystem verflochten sind. Energiearmut ist dabei nicht ausschließlich als Phänomen der Verteilungsungerechtigkeit zu sehen, sondern auch durch Anerkennungs- und Verfahrensungerechtigkeiten geprägt. Die Art und Weise, wie Herausforderungen erkannt, Maßnahmen konzipiert und ausgestaltet werden, kann diese Ungerechtigkeiten beseitigen oder sie potenziell verstärken, wenn Aspekte nicht erkannt oder nur unzureichend adressiert werden.