Sozial-ökologische Maßnahmen anhand des Beispiels des Kampfes gegen Energiearmut

19. Januar 2021

Die Klimakrise verlangt von uns nicht weniger als eine Neu- und Umstrukturierung unserer Art zu produzieren und zu konsumieren. Bei diesem Prozess dürfen aber die erkämpften Errungenschaften des Wohlfahrtsstaates nicht untergraben werden, und der soziale Zusammenhalt muss erhalten bleiben. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten haben diesen Anspruch auch im European Green Deal mit dem Bekenntnis „Leaving no one behind“ festgehalten. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, braucht es in der Maßnahmenumsetzung ein Zusammenwirken zwischen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Zielen. Doch manchmal stehen diese Ziele im Widerspruch zueinander. Das lässt Zielkonflikte entstehen. Maßnahmen so umzusetzen, dass sie sowohl der sozialen als auch der ökologischen und wirtschaftlichen Dimension gerecht werden, ist aber notwendig, um einen sozial verträglichen Umbau voranzutreiben. Hierbei muss und wird auch der Kampf gegen Energiearmut eine wichtige Rolle spielen, an dessen Beispiel sich die Bandbreite der aktuellen Maßnahmen in der Europäischen Union zeigt.

Die Suche nach Synergiemöglichkeiten zwischen sozialen und ökologischen Zielen

Die Klimakrise stellt auch den Wohlfahrtsstaat und die Erbringung seiner gesellschaftlich wertvollen Leistungen vor große Herausforderungen. Die budgetären Mittel sind begrenzt, und gleichzeitig muss eine vielfältige Palette an notwendigen und wichtigen Aufgaben, wie z. B. Infrastrukturen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen etc., finanziert werden. Die dabei entstehenden Zielkonflikte müssen daher in die Diskussion eingebracht, zwischen den Stakeholdern ausverhandelt und in möglichst breitem Konsens aufgelöst werden. Einpreisungen von Umweltauswirkungen, wie zum Beispiel die Besteuerung von Treib- oder Heizstoffen, treffen – wenn sie ohne Begleitmaßnahmen gesetzt werden – unverhältnismäßig stark einkommensschwache Bevölkerungsgruppen. Soziale Spannungen und ein Schwinden des Rückhalts für klima- und energiepolitische Maßnahmen können die Konsequenzen sein. Beiden Gefahren muss entgegengewirkt werden, indem nach Synergiemöglichkeiten zwischen sozialen und ökologischen Zielen gesucht wird. Wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen müssen daher beim Umbau unserer Systeme in Richtung Nachhaltigkeit soziale und ökologische Fragen gemeinsam denken, um eine „sozial-ökologische“ Politik zu stärken.

Was sind „sozial-ökologische“ Politikmaßnahmen?

In der aktuellen Literatur über die Schlüsselelemente einer sozial-ökologischen Politik wird immer wieder auf Konzeptionen von Gerechtigkeit und Gleichheit verwiesen, die jedoch nicht im Detail erläutert werden und eher auf abstrakter Ebene verharren. Max Koch, Ian Gough und Eloi Laurent definieren sie als Politiken, die in ihren Auswirkungen sowohl „ökologisch vorteilhaft“ als auch „sozial gerecht“ sind. Eine sozial-ökologische Politik hat das Ziel, den sozialen und ökologischen Fortschritt zu unterstützen. Fortschritt wird in diesem Zusammenhang explizit als Kampf gegen Ungleichheiten und für Gerechtigkeit und mehr Fairness verstanden – sowohl innerhalb als auch zwischen den Generationen. Diese abstrakten Vorstellungen müssten allerdings konkretisiert werden, um Handlungsempfehlungen in Richtung einer sozial-ökologischen Wende für die Politik ableiten zu können.

Fragen nach konkreten Auswirkungen für die unterschiedlichen AkteurInnen und eben auch für alle Bevölkerungsgruppen sind von großer Bedeutung für die Maßnahmenentwicklung und die zu erfüllenden Anforderungen an eine sozial-ökologische Politik. Maßnahmen müssen dabei nicht nur bezüglich ihrer Auswirkungen auf die gegenwärtige Situation untersucht, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Intergenerationalität analysiert werden. Das heißt, es muss ebenso die Frage beantwortet werden, wie sie sich auf künftige Generationen auswirken. Hierbei wird vor allem auf den Umweltschutz fokussiert.

Energiegerechtigkeit als Ausgangspunkt

Ein guter Ausgangspunkt für den Versuch einer Operationalisierung wäre zum Beispiel anhand des Konzepts der Energiegerechtigkeit darstellbar. Energiegerechtigkeit bezeichnet dabei eine Form von Gerechtigkeit, die zwei wesentliche Dimensionen abdeckt: einerseits die intergenerationale Dimension mit dem Fokus auf Umweltschutz und andererseits die intragenerationale Dimension, die sich erstens auf Verteilungsgerechtigkeit, also auf die gesellschaftliche Zuteilung von Ressourcen und den Zugang zu Energie bezieht, und zweitens auf die sogenannte „Anerkennungsgerechtigkeit“, die sich auf die Bedürfnisse von Bevölkerungsgruppen in Anbetracht („Anerkennung“) ihrer unterschiedlichen Ausgangslagen konzentriert. Die Anerkennungsgerechtigkeit hat daher die Situation der Schwächsten in der Gesellschaft im Fokus und fordert die Politik dazu auf, die problematische Situation der Ärmsten in der Gesellschaft in Bezug auf die Befriedigung ihrer grundlegenden energetischen Bedürfnisse anzuerkennen.

Auf Basis dieser grundlegenden Überlegungen können Politiken entlang von vier analytischen Kategorien klassifiziert werden:

  • Trade-off: Maßnahmen, die dem Umweltschutz dienen, aber weder der Verteilungs- noch der Anerkennungsgerechtigkeit gerecht werden,
  • Co-Benefits: Maßnahmen, die dem Umweltschutz dienen und teilweise auch zur Verteilungs- und/oder Anerkennungsgerechtigkeit beitragen,
  • Neutral: Maßnahmen, die zwar nicht dem Umweltschutz dienen, aber teilweise zur Verteilungs- und/oder Anerkennungsgerechtigkeit beitragen,
  • Sozial-ökologisch: Maßnahmen, die sowohl Umweltschutz fördern als auch zur Verteilungs- und/oder Anerkennungsgerechtigkeit beitragen.
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Diese Kategorisierung ermöglicht nun auch einen analytischen Blick auf Maßnahmen im Kampf gegen Energiearmut, um feststellen zu können, ob sie einem sozial-ökologischen Anspruch gerecht werden.

Energiearmut im Fokus

Energiearmut ist ein hartnäckiges soziales Problem, das allgemein eine Situation definiert, in der Personen oder Haushalte nicht in der Lage sind, in ihren Häusern angemessen zu heizen, zu kühlen oder andere erforderliche Energiedienstleistungen zu erschwinglichen Kosten zu beziehen. Energiearmut stellt die Menschen vor eine Reihe von sozialen und gesundheitlichen Problemen, da eine gesellschaftliche Teilhabe nur mit einem leistbaren Zugang zu Energiedienstleistungen möglich ist. Zwar sind zumeist einkommensarme Haushalte betroffen, doch wird Energiearmut durch mehr Faktoren als nur das Einkommen bestimmt. Auch zum Beispiel ein schlechter thermischer Zustand der Wohnhäuser, ineffiziente Geräte und hohe Energiepreise spielen hier eine große Rolle. Energiearmut ist somit nicht nur eine Konsequenz niedriger Einkommen, sondern eine komplexe Materie, die eine angemessene Sozial- und Energiepolitik erfordert.

Im Kontext der Energiewende gewinnt das Thema Energiearmut noch zusätzlich an Bedeutung. Der Kampf gegen Energiearmut kann auf unterschiedlichen Wegen angegangen werden: erstens über eine Senkung des Energieverbrauchs durch verstärkte Maßnahmen im Bereich der energetischen Sanierung und der Energieeffizienz, zweitens über die Möglichkeit der Teilhabe an neuen Technologien für energiearme Haushalte, die dadurch ihre Energiekosten senken können. Damit dies gelingt, müssen Politiken und Maßnahmen bewusst so gestaltet werden, dass Synergien zwischen Themenfeldern ermöglicht werden, die auf den ersten Blick gar nicht als zusammenhängend erscheinen. Um festzustellen, auf welche Art und Weise Maßnahmen gegen Energiearmut in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgestaltet sind und ob diese einem sozial-ökologischen Anspruch gerecht werden, wurden in vorliegender Analyse 274 Politikmaßnahmen gegen Energiearmut anhand der oben dargestellten Kategorien analysiert und in Form eines Index abgebildet. Dabei wurde insbesondere auf Maßnahmen in den Bereichen der thermischen Sanierung, der erneuerbaren Energien, der Heizsysteme und der Bewusstseinsbildung fokussiert. Die Hintergrundinformationen über die Maßnahmen lieferte das EU Energy Poverty Observatory.

Sozial-ökologisches Potenzial von Maßnahmen gegen Energiearmut in EU-Staaten

Jede Maßnahme wurde so den analytischen Kategorien „Sozial-ökologisch“, „Co-Benefits“, „Neutral“ und „Trade-off“ zugeteilt und erhielt dabei eine Punkteanzahl zwischen 0 und 1 im Verhältnis zu ihrem sozial-ökologischen Potenzial. Je näher die Gesamtpunkteanzahl an 1 heranreichte, desto mehr entsprach die Maßnahme einem sozial-ökologischen Anspruch (Tabelle 2).

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Die Analyse zeigte, dass der größte Teil der Maßnahmen der europäischen Mitgliedstaaten in die Kategorie „Neutral“ fiel (41 Prozent). Der Rest teilte sich entsprechend auf die Kategorien „Sozial-ökologisch“ und „Co-Benefits“ auf. Energiepolitischen Maßnahmen in den Mitgliedstaaten, die entweder „Sozial-ökologisch“ oder „Co-Benefits“ entsprachen, wurden dann für vier wesentliche Zielsetzungen eingeteilt. Die Anteile der Maßnahmen je Kategorie und Zielsetzung sind in Tabelle 3 ersichtlich.

 Sozial-ökologischCo-Benefits
Erneuerbare Energien14%1%
Thermische Sanierung65%6%
Heizsysteme3%31%
Bewusstseinsbildung & Information5%37%
 87%75%
Tabelle 3: Zielschwerpunkte der kategorisierten Maßnahmen

Diese Ergebnisse zeigen, dass sich bereits gesetzte Umweltmaßnahmen entweder direkt oder zumindest über Nebeneffekte auch positiv für die Bekämpfung von Energiearmut ausgewirkt haben. Als Best-Practice-Beispiel für sozial-ökologische Maßnahmen gegen Energiearmut kann die französische Initiative des „Habiter Mieux“-Programms („Besser Wohnen“) genannt werden. Dieses Programm zielt darauf ab, für einkommensschwache Haushalte finanzielle Mittel zur thermischen Sanierung zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig die Leistbarkeit des Wohnraums zu erhalten. Das Programm fördert die thermische Sanierung durch die Bereitstellung finanzieller Mittel in Mietverhältnissen. Dabei wird einerseits ein maximaler Mietzins festgelegt, um die Leistbarkeit zu gewährleisten und eine Überwälzung der Kosten zu verhindern, andererseits wird VermieterInnen eine Steuerreduktion als Anreiz für die Durchführung der Sanierung angeboten.

Die Analyse dieser 247 Maßnahmen zeigte aber jedenfalls auch, dass die Synergien zwischen sozialen und umweltpolitischen Überlegungen noch nicht sehr stark ausgeprägt sind. Die analysierten Maßnahmen sind oftmals nicht ehrgeizig genug, um allen Dimensionen (Beitrag zum Umweltschutz, zur Verteilungs- und Anerkennungsgerechtigkeit) gleichermaßen gerecht zu werden. Im Durchschnitt der bisher ergriffenen Initiativen zeigt sich, dass kein EU-Mitgliedstaat umfassende und als sozial-ökologisch zu klassifizierende Maßnahmen umsetzt.

Allerdings gibt es einige Länder, deren Maßnahmen im Kampf gegen Energiearmut sozial-ökologischen Überlegungen stärker folgen als die anderen Staaten. Dies wird in der Abbildung ersichtlich, die den Punkte-Score für die sozial-ökologische Ausrichtung von Maßnahmen gegen Energiearmut veranschaulicht. Überraschend ist, dass Länder wie Spanien, Estland und Griechenland dahingehend die höchste Punktebewertung erreichen. Ein Zusammenhang mit den jeweiligen Wohlfahrtsstaatsmodellen nach Esping-Andersen konnte dabei nicht festgestellt werden. Über die spezifischen institutionellen, historischen und kulturellen Hintergründe braucht es daher noch weitergehende Forschung.

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Welche Schlüsse können aus der Analyse gezogen werden?

Die Analyse versucht einen ersten Schritt zur Identifizierung und Bewertung von Maßnahmen im Hinblick auf deren sozial-ökologisches Potenzial. Beachtet man den aktuellen Status quo, so zeigt sich am Beispiel von Maßnahmen gegen Energiearmut, dass sozial-ökologische Perspektiven bei Weitem noch nicht die Norm sind, dass sich aber bereits Ansatzpunkte und Potenziale finden lassen. Die Politik kann von solchen bewährten Initiativen lernen und diese aktiv weiterentwickeln, um einkommensschwache Personen und Haushalte am Weg in eine dekarbonisierte Energiewelt nicht zurückzulassen. Anhand der verwendeten Literatur für die Analyse zeigte sich außerdem, dass auch in der Forschung noch einige Schritte unternommen werden müssen, um die theoretischen Konzepte sozial-ökologischer Wohlfahrtsstaatssysteme so zu konkretisieren, dass ihnen in der empirischen Forschung nachgegangen, Best-Practice-Beispiele identifiziert, diese in die jeweilige Praxis übersetzt und als Politikmaßnahmen empfohlen werden können.

Wenn wir die ambitionierten Klimaziele erreichen, dabei niemanden zurücklassen und den Rückhalt innerhalb der Bevölkerung für das große Projekt der Energiewende erhalten wollen, wird in der Maßnahmenplanung und -umsetzung jedenfalls ein stärkerer Fokus auf die Synergien zwischen Klima-, Verteilungs- und Sozialpolitik als bisher notwendig sein.

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